Die Hoffnungen auf einen Neustart der transatlantischen Beziehungen unter Joe Biden sind groß. Doch Ökonomen warnen vor allzu großen Erwartungen an die neue US-Regierung.
Joe Biden
Der neue US-Präsident machte sich kurz nach der Vereidigung direkt an die Arbeit.
Bild: AP
Berlin, Düsseldorf Nicht nur Donald Trump hat das Oval Office verlassen, auch Andrew Jackson wurde von seinem Ehrenplatz entfernt. Trump sah in dem Agitator Jackson, dem siebten Präsidenten der USA, ein Vorbild für seine populistische Politik.
Joe Biden, der neue Herr im Weißen Haus, ersetzte das Jackson-Porträt links neben seinem Schreibtisch durch ein Bild von Benjamin Franklin, dem Naturwissenschaftler und Verfassungsvater. Auch an anderen Stellen in Bidens Büro wird nun an prominente Staatsmänner erinnert. Zum Beispiel mit einer Büste von Franklin D. Roosevelt, der Amerika aus der Weltwirtschaftskrise steuerte und dann durch den Zweiten Weltkrieg.
Die Botschaft, die Biden damit senden will, ist klar: Er will auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis regieren, die Zeit unberechenbarer Bauchentscheidungen ist vorbei. Er will gegen die wirtschaftlichen Nöte der unteren Schichten ankämpfen, die besonders stark unter den Folgen der Pandemie leiden.
„Lasst uns neu anfangen“, rief Biden bei seiner Amtseinführung. Und der 46. Präsident schritt gleich zur Tat. Selten hat eine neue US-Regierung einen so ambitionierten Start hingelegt. Kaum hatte Biden mit schwarzer Maske und blauer Krawatte im Oval Office Platz genommen, unterzeichnete er die ersten Dekrete. Biden wartet nicht, bis sich der neue Kongress auf Gesetze einigt, er nutzt wie auch sein Vorgänger die Präsidialmacht der „Executive Orders“.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt er zu den Reportern, die sich im Oval Office um ihn herum drängeln. Regieren im Notstand: Biden übernimmt die Macht inmitten einer beispiellosen Krise. 400.000 Amerikaner sind der Pandemie zum Opfer gefallen. Zehn Millionen haben ihren Job verloren.
Machtwechsel in den USA
Am Mittwoch wurden Präsident Joe Biden und seine Vizin Kamala Harris vereidigt.
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Und die politischen Lager, Bidens Demokraten und Trumps Republikaner, stehen sich feindselig gegenüber. Der politische Graben, den vier Jahre Trump geschaffen haben, ist so tief wie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr: Ein Großteil der republikanischen Wähler glaubt immer noch an die Mär vom „gestohlenen Wahlsieg“.
Die Lösung dieser Krisen wird in den kommenden Monaten die ganze Energie des neuen Präsidenten absorbieren. „Die Kräfte, die uns spalten“, so Biden, „sind tief und echt“. Seine Außenpolitik wird sich zunächst vor allem aus den innenpolitischen Zielen ableiten.
Für die kommenden Tage sind zwar Telefonate mit anderen Staats- und Regierungschefs geplant. Konkrete außenpolitische Pläne will Biden aber erst im Februar präsentieren.
Nirgendwo scheint die Erleichterung über den Machtwechsel in Washington größer zu sein als in Berlin. „Es gibt mit Biden einen viel breiteren Raum an Übereinstimmungen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag. Gerade sie hatte in den vergangenen vier Jahren Trumps Unbeherrschtheiten ertragen müssen, der Ex-Präsident sah in Deutschland einen Wettbewerber, keinen Partner.
Jetzt herrscht ein neuer Ton in Washington: „Wir werden unsere Allianzen reparieren und uns wieder in der Welt engagieren“, sagte Biden in seiner Antrittsrede. „Nicht um die Herausforderungen von gestern zu bewältigen, sondern die von heute und morgen.“
Angela Merkel empfängt Joe Biden 2013 im Kanzleramt
Als Barack Obamas Vizepräsident hat der 78-Jährige bereits eng mit der Kanzlerin zusammengearbeitet.
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Aus europäischer Sicht hätte Bidens Präsidentschaft nicht besser starten können. Tatsächlich sind die Hoffnung auf einen Neustart der transatlantischen Beziehungen groß. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus fordert jetzt „einen neuen Anlauf für TTIP, also ein Freihandelsabkommen mit den USA“. Nur vereint mit den USA könnten wir gegenüber China Stärke zeigen, sagte Brinkhaus dem Handelsblatt. „Ein solches Abkommen entscheidet über den künftigen Wohlstand Deutschlands und Europas“, betonte auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.
Ökonomen bezweifeln, dass eine Wiederauflage von TTIP auf absehbare Zeit realistisch ist. „Auch Biden steht für „buy american“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Und die Konfliktfelder seien dieselben wie damals, als TTIP scheiterte.
Doch zunächst wird in den USA die innere Krise im Mittelpunkt stehen. Bidens wichtigstes Instrument ist sein „amerikanischer Rettungsplan“. Mit zusätzlichen 1,9 Billionen Dollar will er das Impfen beschleunigen, die wirtschaftliche Not der Bürger lindern und die Unternehmen stützen. Geplant sind erneut Direktzahlungen an die Bürger in Höhe von 1400 Dollar.
Inflationsbereinigt ist das mehr als das Anderthalbfache der Summe, die Präsident Barack Obama während der Finanzkrise mobilisierte. Bereits im vergangenen Frühjahr hatte der Kongress 2,3 Billionen Dollar bereitgestellt.
Biden plant darüber hinaus eine Anhebung des Mindestlohnes von derzeit 7,25 auf 15 Dollar. Er will die Arbeitslosenhilfe von 300 auf 400 Dollar pro Woche erhöhen und die Bezugsdauer bis zum September dieses Jahres verlängern. Für die nicht allzu ferne Zukunft bereitet der neue Präsident ein Infrastrukturprogramm vor, das ebenfalls einige Billionen Dollar beanspruchen soll.
Die Staatsverschuldung – derzeit bei rund 130 Prozent des BIP – bereitet Janet Yellen, der designierten Finanzministerin, offensichtlich kein Problem. „Ohne weitere Maßnahmen riskieren wir jetzt eine längere, schmerzhaftere Rezession und später eine längerfristige Belastung der Wirtschaft“, sagte die 74-jährige Ökonomin bei ihrer Anhörung vor dem Finanzausschuss des Senats. „Auf lange Sicht glaube ich, dass die Vorteile die Kosten bei Weitem überwiegen werden.“
Zusammen mit den bereits von Trump verabschiedeten Corona-Hilfen würden die staatlichen Konjunkturspritzen nach Berechnungen des parteiunabhängigen „Committee for a Responsible Federal Budget“ das Haushaltsdefizit der USA um mehr als fünf Billionen Dollar in die Höhe treiben. Bereits zuvor steuerte die Defizitquote auf einen Wert von mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu.
Und auch das ist Teil der Wahrheit: Das Deficit-Spending ist zwar innenpolitisch motiviert, wird aber auch außenpolitische Wirkung entfalten – und zwar zunächst positive. Amerika heizt die globale Nachfrage an. Davon könnten insbesondere auch Länder wie Deutschland profitieren, deren Geschäftsmodell der Export ist. Das ist aber genau die Arbeitsteilung, auf die sich die Amerikaner nicht mehr einlassen wollten – das gilt sowohl für Trump als auch für Biden.
„Biden wird kaum bereit sein, die USA noch länger in ihrer Rolle als Konsument der letzten Instanz zu belassen, der riesige Handelsbilanzdefizite über Auslandsverschuldung finanziert“, warnt Jens Südekum, Ökonom an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Biden werde Europa und insbesondere Deutschland unter Druck setzen, selber mehr für die globale Nachfrage zu tun – etwa im militärischen Bereich, aber nicht nur dort. Er werde auch generell mehr Importe und den Abbau des notorischen Leistungsbilanzüberschusses fordern.
Auch Merkel stellt sich schon auf harte Debatten ein. Sie vertrete die Interessen der Bundesrepublik, Biden die der USA, sagte sie. Klar sei, dass Deutschland und Europa „mehr Verantwortung“ übernehmen müssten.
Die Corona-Hilfen sind noch nicht einmal der größte Teil von Bidens ehrgeizigen Plänen. Mit seinem Investitionsprogramm „Green New Deal“, das weitere 2,2 Billionen Dollar umfasst, will er den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Pandemie zugleich für einen ökologischen Umbau der US-Wirtschaft nutzen, um das Land bis 2050 klimaneutral zu machen.
Die Anlehnung an Franklin D. Roosevelt und seinen „New Deal“ während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren hat dabei nicht nur symbolische Bedeutung. Auch damals ging es nicht nur darum, die Konjunktur wieder anzuschieben, sondern zugleich eine bessere und gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Dieser Gedanke steckt in Bidens Motto „Built back better“. Ihm und dem progressiven Flügel seiner Partei geht es darum, die soziale Ungleichheit in den USA zu verringern. Dazu sollen nicht nur die Mindestlöhne deutlich angehoben, mehr Jobs geschaffen und Sozialleistungen ausgebaut werden.
Biden plant zudem eine steuerliche Umverteilung und will vor allem die Spitzenverdiener mit Einkommen von mehr als 400.000 Dollar im Jahr stärker belasten. Auch die Körperschaftsteuer für Firmen soll von 21 auf 28 Prozent steigen.
Biden braucht ökonomische Erfolge, möglichst schnell. Seine politischen Gegner lauern auf jeden Fehltritt. Spätestens seit dem Sturm aufgebrachter Trump-Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar ist klar, wie angespannt die Lage in den USA ist. Kann der 78 Jahre alte Biden die gewaltige Herausforderung, ein zerrissenes, krisengeplagtes Land zusammenzukitten, überhaupt stemmen?
„Es wird viele Jahre lang gefährlich bleiben und Lügen zu bekämpfen geben“, sagte die Philosophin Martha Nussbaum dem Handelsblatt. Doch sie zeigt sich vorsichtig optimistisch: „Der 6. Januar hat die Republikanische Partei dazu gebracht, sich ernsthaft mit dem Schaden für ihre eigene Partei zu beschäftigen, und das kann nur gut sein.“
Hoffnung bereitet Nussbaum auch, dass sich Biden mit Wissenschaftlern umgeben habe, „die ihre politischen Entscheidungen auf der Grundlage von Fakten fällen werden, nicht von Desinformationen.“ Biden, sagt die in den USA einflussreiche Philosophin, sei ein Mann der Empathie und ganz und gar nicht auf Rache aus.
Und so könnte es ausgerechnet Biden, der schon als politisches Fossil abgeschrieben wurde, gelingen, die beispiellose Krise der USA zu überwinden – und das Vertrauen in das Führungsvermögen des Landes wiederherzustellen.
Mehr: Joe Biden wurde unterschätzt – und das auf vielen Ebenen, meint Handelsblatt-Korrespondentin Annett Meiritz
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