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25.08.2022

18:33

Michelle Bachelet

Das lange Warten auf das Vermächtnis der umstrittenen Menschenrechtskommissarin

Von: Jan Dirk Herbermann

Das Mandat der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte endet in diesem Monat. Ihren mehrfach angekündigten Bericht zur Menschenrechtslage der Uiguren wollte Michelle Bachelet eigentlich spätestens bis zum Ende ihrer Amtszeit vorlegen.

Ende August endet die Amtszeit der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet. Reuters

Michelle Bachelet

Ende August endet die Amtszeit der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte.

Genf Schafft es die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte doch noch? Michelle Bachelet selbst jedenfalls verbreitete bei ihrer letzten Pressekonferenz eine Prise Zuversicht: Über die Unterdrückung der Uiguren und anderer muslimischer Minderheiten in Chinas Region Xinjiang wollen ihre Mitarbeiter und sie einen lange verschleppten Bericht veröffentlichen. „Wir arbeiten an dem Bericht“, versicherte Bachelet.

Am 31. August, am Tag der möglichen Veröffentlichung, verlässt Bachelet nach vier Jahren das Chefbüro im Genfer UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. Die Publikation des brisanten Textes über mutmaßliche Folter, Umerziehung, Vergewaltigung, Sklaverei und Tötungen in China wäre dann eine ihrer letzten Amtshandlungen – und würde ihr Vermächtnis als oberste UN-Wächterin der Menschenrechte auf Jahre bestimmen.

Eigentlich hatte Bachelet eine zweite Amtszeit als Hochkommissarin ins Auge gefasst. Doch die chilenische Ex-Präsidentin geriet wegen ihrer Chinapolitik gehörig ins Straucheln. Die 70-Jährige verzichtete auf eine Verlängerung ihres Vertrags mit den UN bis 2026. Und kam damit einer demütigenden Nichtverlängerung zuvor.

Seit Langem lassen Menschenrechtsexperten an Bachelets Umgang mit den roten Machthabern in Peking kein gutes Haar: Zu naiv, zu nachsichtig, zu lasch sei sie. Der ebenfalls ausscheidende Chef der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth, beschreibt das Vorgehen Bachelets schlicht als „desaströs“. 

Besonders heftiges Kopfschütteln löst insbesondere die unselige Hängepartie um den Uiguren-Bericht aus: Bachelet versicherte dem UN-Menschenrechtsrat im September 2021, dass der Report fertiggestellt werde. Das Kommunikationsteam der Hochkommissarin wiederholte im Dezember 2021 und erneut im Januar 2022, dass die Studie binnen weniger Wochen erscheinen werde. Als Bachelet im Juni 2022 ihren Abschied ankündigte, ging sie notgedrungen noch einmal auf den Bericht ein. Das Schriftstück werde bis zum Ende ihrer Amtszeit vorliegen.

Viele Erklärungen für Nichtveröffentlichung

Erklärungen für die Nichtveröffentlichung gab es zuhauf. Mal hieß es aus dem Hochkommissariat, man müsse die Lage gründlich analysieren, mal waren es prozedurale Fragen, mal mussten die Kommentare des offiziellen Chinas berücksichtigt werden.

Doch das anhaltende Vertrösten und Verzögern ließen einen schlimmen Verdacht aufkeimen: Will die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte das, was in Chinas Lagern passiert, vertuschen? Ist Bachelet vor den Herrschern des Reichs der Mitte eingeknickt?

Ebenso umstritten wie der Umgang mit dem Uiguren-Report war der Chinabesuch Bachelets im Mai. US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Mission als „besorgniserregend“. Eine vollständige und unabhängige Bewertung der Lage in dem Land, einschließlich in Xinjiang, wo „Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ stattfänden, seien unmöglich gewesen. Die Chinesen hätten Bachelets Visite „manipuliert“.

July 1, 2021, London, England, United Kingdom: Pro-Uyghur protesters stage a demonstration outside Embassy of China in London. ddp/ZUMA

Protest gegen die Unterdrückung der Uiguren in London

Einen Bericht über die Unterdrückung der Uiguren und anderer muslimischer Minderheiten in Chinas Region Xinjiang hat die scheidende UN-Kommissarin noch nicht vorgelegt.

Beate Rudolf, die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, betont gegenüber dem Handelsblatt, dass die Visite „grundsätzlich gut gewesen sei“. Doch habe „die Regierung in Peking die Hochkommissarin regelrecht vorgeführt – und Bachelet übernahm teilweise Pekings Sprachregelung“. Bachelet habe es versäumt, die Unterdrückung der Minderheiten klar zu verurteilen. „Das war sicher ein großes Versäumnis“, macht Rudolf klar.

Hohe Anforderung für Folgebesetzung

Das Agieren der Südamerikanerin gegenüber China wirkt gerade vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biografie befremdlich: In den Siebzigerjahren litt die junge Medizinstudentin Bachelet wie viele andere Chilenen unter der Militärdiktatur Augusto Pinochets. Sie landete sogar in einem Foltergefängnis. Ihr gelang die Flucht, in die DDR. Später arbeitete sie sich in der politischen Hierarchie ihres Heimatlandes unbeirrt nach oben.

Jetzt teilt Bachelet das Schicksal anderer früherer Hochkommissare: Sie mussten nach nur einer Amtszeit gehen. Ihre Nachfolge hat UN-Generalsekretär António Guterres bislang nicht geregelt. Möglicherweise wird die Position nur vorübergehend besetzt – in Zeiten der Konflikte, Kriege und immer autoritärer werdender Herrschaftssysteme eine beklemmende Vorstellung.

„Die neue Hochkommissarin oder der neue Hochkommissar muss entschieden die Menschenrechte gegen Angriffe verteidigen“, fordert Beate Rudolf. Denn „besonders die Großmächte Russland und China untergraben und attackieren immer stärker die bislang erreichte internationale Ordnung“.

Mit Blick auf den Rückzug Bachelets erläutert die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte auch das Spannungsverhältnis, dem die Amtsinhaber ausgesetzt sind. „Die Hochkommissarin muss im diplomatischen Austausch die Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie China ansprechen, gleichzeitig aber darf sie ihre Gesprächspartner nicht zu sehr provozieren.“

Diesem Spannungsverhältnis war Michelle Bachelet nicht gewachsen.

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