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07.09.2020

16:59

Mittelstandsfonds für Zulieferer

„Eine Art Staatskapitalismus“ – Heftige Debatte über neue Hilfen für Autofirmen

Von: Dietmar Neuerer

PremiumAngesichts der kriselnden Autobranche werden vor dem Autogipfel bei der Kanzlerin Forderungen nach staatlichen Hilfen laut. Das stößt nicht nur bei der FDP auf Ablehnung.

Krise der Autobranche: FDP warnt vor „Verstaatlichungs-Orgie“ dpa

Fahrzeugmontage

Die Industrie hatte im Juni in der Debatte um ein Konjunkturpaket bereits staatliche Kaufprämien auch für moderne Benziner und Dieselautos gefordert, um die Nachfrage anzukurbeln.

Berlin An diesem Dienstag blickt die Autobranche mit ihren mehr als 800.000 Beschäftigten wieder einmal Richtung Berlin. Kanzlerin und Minister sprechen mit Managern, Gewerkschaftern und Ministerpräsidenten. Der Branche geht es nicht sonderlich gut. Die Autobauer und die Zuliefererfirmen haben immer noch mit den Folgen der Coronakrise zu kämpfen. „Die Lage vieler Unternehmen ist weiterhin angespannt“, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. Deswegen sei der Austausch zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Politik auf dem Autogipfel so wichtig.

Schon vor dem Spitzentreffen bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist eine Debatte über zusätzliche Staatshilfen für die Branche entbrannt. Die Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern und Niedersachsen, Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD), verlangten Kaufanreize auch für Autos mit Verbrennungsmotor. Grüne und IG Metall plädierten dafür, dass der Staat über einen Fonds als Eigentümer von Krisenfirmen einspringt. Die SPD brachte für mittelgroße Zulieferer einen teilstaatlichen Beteiligungsfonds ins Spiel.

„Wir wollen dazu beitragen, dass es in und nach der Coronakrise vorwärts geht und zukunftssichere Arbeitsplätze in der Autobranche erhalten bleiben“, sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans dem Handelsblatt. Mit dem Fonds sollten vor allem den mittelständisch geprägte Zulieferern über finanzielle Engpässe hinweggeholfen und die Umstellung auf umweltfreundliche Antriebe gefördert werden. „Damit würde der gesamten Branche geholfen“, sagte der SPD-Chef. „Die Zulieferer sind das Fundament für die Autoherstellung, ohne sie läuft nichts.“ Mit einer staatlichen Beteiligung solle zudem verhindert werden, „dass hochinnovative und –qualifizierte Unternehmen zu billigen Übernahmekandidaten für Investoren außerhalb der EU werden“.

Gegen solche Hilfen gibt es Widerstand. Die Union und die FDP lehnt sie genauso ab, wie Ökonomen, die darin eine Bremse für den nötigen Strukturwandel in der Branche sehen. Doch auch die Autoländer sehen Handlungsbedarf. Bayerns Ministerpräsident Söder sagte der Nachrichtenagentur dpa: „Wir können beim Auto nicht auf Zeit spielen. Es handelt sich um den zentralen Lebensnerv unserer Wirtschaft.“ Gerade Zulieferer bauten bereits in größerem Umfang Arbeitsplätze ab. „Daher brauchen wir eine beschleunigte Transformationsstrategie“, die auch Kaufanreize für klassische Verbrennermotoren enthalten müsse.

Auch Niedersachsens Regierungschef Weil forderte eine Kaufprämie. „Wenn wir es mit Anreizen schaffen würden, dass ein Dieselfahrer seinen alten Euro-4-Wagen abgibt und mit der Prämie einen Euro-6d-Temp-Diesel der neuesten Generation kauft, hätten wir einen sehr großen Beitrag zum Klimaschutz geleistet“, sagte Weil der „Rheinischen Post“. „Ich bin durchaus dafür, die Unterstützung auf Fahrzeuge auszuweiten, die nach den neuesten Testverfahren sehr sauber sind und nicht selten einen besseren ökologischen Fußabdruck haben als ein Elektroauto.“

Ökonomen bangen im Strukturwandel

Die Industrie hatte im Juni in der Debatte um ein Konjunkturpaket bereits staatliche Kaufprämien auch für moderne Benziner und Dieselautos gefordert, um die Nachfrage anzukurbeln. Diese war in der Coronakrise eingebrochen. Die Forderung der Branche war allerdings am Widerstand vor allem der SPD gescheitert. Die Koalition beschloss schließlich höhere staatliche Prämien beim Kauf von Elektroautos. Zudem sollte die Senkung der Mehrwertsteuer die Konsumfreude der Verbraucher ankurbeln. Zuletzt sind deutlich mehr neue E-Autos zugelassen worden.

Ökonomen sehen die diskutierten Hilfen skeptisch. Die Automobilbranche brauche als ein „essenzieller Teil der deutschen Volkswirtschaft“ jetzt zwar auch staatliche Unterstützung. Direkte staatliche Beteiligungen an Autofirmen und Kaufprämien für Verbrennungsmotoren wären aber „kontraproduktiv, denn sie würden den Strukturwandel bremsen und nicht fördern“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt.

„Staatliche Beteiligungen an privaten Unternehmen können dann sinnvoll sein, wenn wichtige Unternehmen temporäre Probleme haben“, fügte Fratzscher hinzu. Beteiligungen an Unternehmen, die sich in einem lang anhaltenden Strukturwandel befinden, seien dagegen „gefährlich, denn der Staat kann und sollte nicht richtungsweisende Unternehmensentscheidungen treffen“.
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW), Gabriel Felbermayr.

Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock argumentierte dagegen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, man müsse Mittelständlern und Zulieferern Zeit verschaffen. „Angesichts von mehr als 800.000 Beschäftigten in der Automobilindustrie kann keine Politikerin sagen: Die sind mir egal, sollen sie doch schauen, wie sie über die Runden kommen.“

FDP warnt vor „Verstaatlichungsorgie“

Der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann schlug einen staatlichen „Mittelstands- und Transformationsfonds“ vor, der sich an Unternehmen in Not beteiligt: „Wenn der Staat einen Teil des Risikos übernimmt, könnte das kleinen und mittleren Unternehmen die Kraft zu Investitionen und Innovationen verschaffen.“

Der Vizechef der Unions-Bundestagsfraktion, Ulrich Lange, verwies auf die sogenannte Umweltprämie der Bundesregierung, mit der diese den Kauf unter anderem von Elektroautos fördert. Damit gebe es schon „ein wirksames Instrument, in die Automobiltechnologie der Zukunft zu investieren“, sagte Lange dem Handelsblatt. „Wir müssen mit den staatlichen Förderungen nach vorne blicken, sonst verpassen wir den Anschluss“, fügte der CDU-Politiker hinzu. „Deshalb bin ich auch skeptisch bei staatlichen Beteiligungen, die wie die alte Treuhandanstalt daherkommen.“

Noch deutlicher wandte sich der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer gegen die Fonds-Idee. „Deutschland braucht eine Verstaatlichungspause und keine Verstaatlichungsorgie“, sagte Theurer dem Handelsblatt. „Alles andere wäre ein schwerer ordnungs- und marktwirtschaftlicher Sündenfall.“

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer warnte ebenfalls vor gesonderten Hilfen für Mittelständler. „Das wäre der Einstieg in eine Art Staatskapitalismus“, sagte der Leiter des Duisburger Center Automotive Research (CAR) dem Handelsblatt. Die Branche sei mitten in der Transformationsphase zu Elektromobilität und Digitalisierung. Da sei es falsch, die alten Strukturen mit Staatshilfen zu zementieren.

„Man kann im Einzelfall über Kredithilfen nachdenken oder die Stundung von Steuerzahlungen, aber bitte keinen allgemeinen staatlichen Zulieferfonds“, fügte Dudenhöffer hinzu. „Wir würden damit der deutschen Autoindustrie internationale Wettbewerbsnachteile einkaufen.“

Für den Ökonomen Felbermayr belegen die Probleme der Autobranche, dass der klimapolitische Umbau der Individualmobilität gescheitert sei. „Zuerst kamen brachiale Flottengrenzwerte, die mit Blick auf die CO2-Ziele viel zu spezifisch sind, jetzt sollen Subventionen oder gar die Teilverstaatlichung der Zulieferer folgen.“ Kämen jetzt noch Kaufprämien für Verbrenner, wäre dies nur „das Eingeständnis dieses Scheiterns“, warnte der IfW-Präsident.

DIW für steuerliche Entlastungen

Anders als Felbermayr hält Dudenhöffer Kaufbeihilfen für Verbrenner für sinnvoll. Europaweit seien im August die Pkw-Verkäufe eingebrochen, der Markt sei äußerst fragil. „Von daher wäre es sehr wichtig, einen breiten Nachfrageimpuls zu setzen und natürlich Verbrenner zu fördern“, sagte Dudenhöffer. Die einseitige hohe Förderung der Elektroautos löse hingegen nicht das Konjunkturproblem und sei falsch. „Nur Kunden bringen die halbleeren Fabriken wieder zum Laufen, und dazu muss man den Kunden in der großen Konjunkturkrise eine große Karotte geben.“

Der DIW-Präsident Fratzscher sieht andere Möglichkeiten, die Autobranche zu unterstützen. Der Staat helfe am besten, indem er die Unternehmen steuerlich entlaste und sie bei Forschung und Innovation beim Strukturwandel unterstütze. „Auch sollte der Staat mehr in die digitale Infrastruktur und die Ladeinfrastruktur für Elektroautos investieren, um den Umstieg auf zukunftsfähige und klimaneutrale Technologien zu unterstützen“, fügte der Ökonom hinzu.

Das Thema Zukunftstechnologien soll auch auf dem Autogipfel eine wichtige Rolle spielen. Es gehe vor allem um strategische Fragen zur Zukunft der Branche, wie die Digitalisierung, Vernetzung und autonomes Fahren, sagte VDA-Präsidentin Müller.

Damit die „Mobilität der Zukunft“ Fahrt aufnehmen könnte, müssten die politischen, infrastrukturellen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Es gehe darum, wie Deutschland beim vernetzten und automatisierten Fahren seine weltweit starke Position weiter ausbauen könne. In die Digitalisierung investiere die deutsche Automobilindustrie bis zum Jahr 2024 rund 25 Milliarden Euro. Konkrete Beschlüsse beim Autogipfel erwartet Müller aber nicht.

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