Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

03.12.2021

13:51

Nach Regierungskrise

Kantig, beflissen, aber auch lernfähig – Karl Nehammer wird Österreichs neuer Kanzler

Von: Daniel Imwinkelried

Als Regierungsmitglied fiel Nehammer zu Beginn durch seine militärische Rhetorik auf. Die Koalitionspartner werden mit ihm trotzdem besser klarkommen als mit den Vorgängern.

Künftiger Kanzler? Getty Images

Karl Nehammer

Künftiger Kanzler?

Wien Manche nennen Österreichs neuen Bundeskanzler etwas verächtlich einen Parteisoldaten. Seine Weggefährten und Förderer drücken es höflicher aus: Der 49-jährige Karl Nehammer sei ein in seiner Partei ÖVP gut verankerter Politiker. Und das ist wohl ein wichtiger Grund, warum die konservative Regierungspartei den Innenminister nun zum Kanzler ernennen möchte. Er soll auch eine Zäsur darstellen zum türkisen System von Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

Wie dieser hat Nehammer einen Großteil seines Berufslebens in der Politik verbracht. Er stammt zwar aus Wien, seine Basis war aber lange Zeit das Bundesland Niederösterreich, eine Hochburg der ÖVP.

Mit 14 Jahren nahm Nehammer 1986 bereits an einem Wahlkampf teil und verteilte Faltblätter für den damaligen ÖVP-Chef Alois Mock. Später war er unter anderem Generalsekretär des Österreichischen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes (ÖAAB), einer Organisation der ÖVP. Für diese war er von 2018 bis 2020 schließlich als Generalsekretär tätig, bevor er Anfang 2020 Innenminister wurde.

Nehammers Auftreten wirkt oft kantig und die Rhetorik militärisch. Entweder schimmert da seine erste Berufsausbildung durch, oder diese Eigenschaften haben seine erste berufliche Station bestimmt: Nach dem Abitur schloss sich Nehammer jedenfalls für ein Jahr freiwillig der österreichischen Armee an und ließ sich darauf zum Infanterie- und Informationsoffizier ausbilden.

In seinem manchmal zackigen Auftreten komme aber auch, so sagen Bekannte, eine gewisse Dienstbeflissenheit zum Ausdruck. Nehammer sei eben ein überkorrekter Mensch, meinen sie. Der Politiker hat die Österreicher wiederholt in harschem Ton dazu angehalten, die Pandemieregeln einzuhalten. „Wir werden den Kontrolldruck in den nächsten Tagen deutlich erhöhen“, meinte Nehammer etwa, als Österreich zur Bekämpfung der Pandemie im November die 2G-Regel einführte. Nehammer baute eine Drohkulisse auf und wollte so die Bürger endlich zu mehr Disziplin im Kampf gegen die Seuche anhalten.

Ein „typischer Erster“ oder nicht eher ein „klassischer guter Zweiter“

Über die Kniffe der politischen Kommunikation weiß Nehammer Bescheid. In diesem Fach hat er an der Universität Krems den Mastertitel erworben. Einer seiner Professoren war der Politologe Peter Filzmaier. Der rhetorisch beschlagene Professor wird von Österreichs Medien gerne befragt, wenn es darum geht, den Bürgern Vorgänge in der heimischen Politik zu erklären.

Filzmaiers Beurteilung von Nehammer fällt gespalten aus: Man müsse sich fragen, ob dieser wirklich ein „typischer Erster“ sei oder nicht eher ein „klassischer guter Zweiter“, sagte er im öffentlich-rechtlichen Sender ORF. Der Politologe verwies dabei auf Nehammers Laufbahn in der Armee und in der Parteibürokratie.

Ins Scheinwerferlicht der internationalen Öffentlichkeit geriet Nehammer nach dem Wiener Terroranschlag vom 2. November 2020. Ein Sympathisant der Terrororganisation „Islamischer Staat“ hat damals in der Wiener Innenstadt vier Menschen erschossen.

In der Nacht des Attentats beschwor Nehammer zwar den Zusammenhalt von Österreichs Gesellschaft – eine Geste, die viele dem kantigen Politiker nicht zugetraut hatten. Aber bereits am Tag darauf änderte Nehammer den Ton.

Er schob dem Justizministerium teilweise die Schuld für das Attentat zu, weil der als Islamist bekannte Täter angeblich zu früh aus der Haft entlassen worden war. Dieser Vorwurf erwies sich dann aber als unberechtigt.

Die voreilige Schuldzuweisung in einer für Wien schwierigen Zeit hat Nehammer in Kreisen, die ihm politisch eher fern stehen, Kritik eingetragen. Vor dem Anschlag war auch einiges im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT) schiefgelaufen, das beim Innenministerium angesiedelt ist. So sind Warnhinweise auf ein mögliches Attentat im Behördenapparat versickert.

Ohnehin befand sich das BVT in einem desolaten Zustand. Mittlerweile hat Nehammer das BVT neu aufgestellt. Herzstück der Reform war die Trennung der Bereiche Staatsschutz und Nachrichtendienst.

Partnerschaft Grüne und ÖVP

Auch wirkt der Politiker inzwischen umgänglicher als zu Beginn seiner Amtszeit als Minister. Nehammer zählte zwar nie zu den engen Verbündeten von Ex-Kanzler Kurz. Aber er machte wie andere Minister der Regierung oft den Eindruck, als wollte er mit einer betont harten Linie seine treue Gefolgschaft zum Kanzler unter Beweis stellen. 

Nehammer zählte zwar nie zu den engen Verbündeten von Ex-Kanzler Kurz. dpa

Sebastian Kurz

Nehammer zählte zwar nie zu den engen Verbündeten von Ex-Kanzler Kurz.

Kurz’ Rücktritt im Oktober hat in der Regierung zu einer gewissen Entspannung geführt. Die Grünen, der Koalitionspartner der ÖVP, haben von Nehammer eine einigermaßen gute Meinung. Er sei freundlich im Ton und lasse sich auf Diskussionen ein, heißt es von ihrer Seite.

Die ÖVP und die Grünen bilden seit bald zwei Jahren eine Koalitionsregierung. In dieser Zeit ist es zwischen den Partnern immer wieder zu Spannungen gekommen. Für die Grünen war vor allem Nehammers Flüchtlingspolitik zeitweise ein Problem. Aus ihrer Sicht ist sie kaltherzig und zu restriktiv.

Manchmal schien es gar, als ob die Regierung wegen der Migrationsfrage kurz vor dem Ende stünde. Die beiden Parteien haben sich aber stets wieder zusammengerauft. Die dramatische Entwicklung der Pandemie in Österreich hat sie dazu gezwungen. Zudem wissen wohl beide Parteien, dass Neuwahlen ihnen derzeit schaden würden.

Trotzdem dürfte die Partnerschaft der Grünen und der ÖVP fragil bleiben. Nehammer ist es aber zuzutrauen, dass er in der Regierung für mehr Ausgleich sorgen wird als Sebastian Kurz, der stets auf den kurzfristigen Effekt bedacht war und stark polarisierte.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×