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19.03.2022

12:35

Nahrungsmittelkrise

Wie die EU Brot weltweit teurer macht

Von: Christoph Herwartz

Wegen des Kriegs in der Ukraine werden Nahrungsmittel und insbesondere Getreide knapp. Die EU-Kommission könnte helfen – hat aber wohl andere Pläne.

Nahrungsmittelkrise: Wie die EU Brot weltweit teurer macht dpa

Fladenbrote in Ägypten

Der Überfall Russlands auf die Ukraine kann zu Hunger in vielen Ländern der Welt führen.

Brüssel Würde es die EU richtig anstellen, könnte sie von der Nahrungsmittelknappheit infolge des Kriegs in der Ukraine kaum betroffen sein. Sie könnte sogar dabei helfen, die Folgen für Entwicklungsländer abzumildern. Doch EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski plant Maßnahmen, die das Gegenteil bewirken würden. Er will Marktmechanismen außer Kraft setzen, die die Nahrungsmittelproduktion steigern könnten.

Die Böden in Europa sind ausgesprochen fruchtbar, die Produktivität der Betriebe ist hoch. Doch bisher wird nur ein geringer Teil des Getreides, etwa 20 Prozent, zu Lebensmitteln wie Mehl, Brot und Nudeln verarbeitet.

Mehr als die Hälfte des europäischen Getreides wird derweil als Futtermittel verwendet. Das damit hergestellte Fleisch und die Milch tragen zwar auch zur Ernährung der europäischen Bevölkerung bei, aber in deutlich geringerem Maße als Getreideprodukte. Um ein Kilogramm Fleisch zu erzeugen, braucht es rund die zehnfache Menge an Getreide und Soja.

In der Theorie würde der Fleischmarkt nun recht schnell auf die hohen Getreidepreise reagieren. Denn die Schweinehalter leiden ohnehin schon unter hohen Energiepreisen und schaffen es kaum, diese an die Kunden weiterzugeben, erklärt Markus Kempen, der Landwirtschaftsbetriebe berät: „Der Fleischpreis reagiert kaum auf die Produktionskosten, sondern fast nur auf die angebotene Menge.“ Wenn ein Schwein schlachtreif ist, müsse es auch verkauft werden.

Die Landwirte machen zum Teil also schon Verluste. „Viele von ihnen stehen wegen neuer Haltungsvorschriften ohnehin schon vor der Frage, ob sie ihren Betrieb noch weiterführen“, sagt Kempen.

Zu erwarten wären also Marktaustritte. Dann könnte die Fleischmenge sinken, der Preis steigen und die verbleibenden Landwirte könnten wieder Gewinne machen.

Hilfen für unprofitable Betriebe

Gleichzeitig würde so weniger Futtermittel gebraucht, was den Markt für Nahrungsmittel entlasten würde. „In Deutschland wird viel Weizen an Tiere verfüttert, der alternativ auch zum Backen verwendet werden könnte“, sagt Kempen.

Agrarkommissar Wojciechowski hat aber andere Pläne. Er will eine „Intervention im Fleischsektor“, sagte er am Donnerstag bei einer Anhörung im Europaparlament. Die Betriebe hätten schon vor dem Ukrainekrieg Probleme gehabt und müssten nun unterstützt werden.

Das Eingeständnis, dass die Landwirte schon vorher kaum profitabel waren, macht die Sache heikel: Staatshilfen sind in der Krise dazu gedacht, eigentlich gesunde Geschäftsmodelle zu retten. Dabei muss vermieden werden, dass unrentable Unternehmen mit Steuergeld am Leben gehalten werden.

Der Europaabgeordnete Martin Häusling (Grüne) wundert sich daher über die Unterstützung der Schweinehaltung durch die Kommission. „Ich weiß gar nicht, wie man auf die Idee kommen kann.“

Die EU exportiert Fleisch bis nach Ostasien. dpa

Schweinemast in Osnabrück

Die EU exportiert Fleisch bis nach Ostasien.

Die Futtermengen für Kühe, Schweine und Geflügel zu senken, wäre ein schneller Weg, Rohstoffe für die Nahrungsmittelproduktion frei zu machen. Tiere werden mit einer Mischung unterschiedlicher Pflanzen gefüttert, der Weizenanteil ließe sich ersetzen oder sogar weglassen. Auch rund eine Million Tonnen Soja, die pro Monat in den Futtertrögen der EU landen, bräuchte es nicht. Weniger Kraftfutter würde die Mast verlängern, den Tieren aber nicht schaden.

Europa produziert ohnehin mehr Fleisch, als es verbraucht, und exportierte 2020 mehr als eine Million Tonnen allein an Schweinefleisch. Der Grünen-Politiker Häusling sieht das kritisch: „Wir müssen doch nicht die Fleischtheke der Welt sein.“

Die Entscheidung zum Plan des Agrarkommissars ist noch nicht gefallen. An diesem Montag tagen die Agrarminister der EU-Staaten. Außerdem wird es eine Sondersitzung der Kommission geben, bei der über Verteidigung, Energiesicherheit und auch Nahrungsmittelsicherheit gesprochen wird. Am Mittwoch will Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis das Ergebnis vorstellen.

Auch von diesem Entschluss wird abhängen, ob die EU beruhigenden Einfluss auf den Weltmarkt für Weizen nehmen kann. Die Preise schwanken seit Beginn des Krieges stark und liegen derzeit um rund 50 Prozent über dem Vorkriegsniveau, weil Exporte aus der Ukraine und aus Russland ausbleiben könnten. Dass das Getreide in Europa als Futtermittel zurückgehalten wird, unterstützt diese Entwicklung.

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Die Anbaumenge kurzfristig zu erhöhen, ist dagegen kaum möglich. Die Bundesregierung hat schon Flächen freigegeben, die aus ökologischen Gründen eigentlich hätten stillgelegt werden sollen. Doch das sind nur ein bis zwei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche, und zwar tendenziell die am wenigsten fruchtbaren.

Auch welche Pflanzen angebaut werden, lässt sich kaum noch beeinflussen. Der meiste Weizen wurde schon zu Beginn des Winters ausgebracht. Nur wenige Früchte werden jetzt noch gesät.

Die Einfuhren der letzten Ernte lagern zu großen Teilen noch in der Nähe der Felder, von denen sie geerntet wurden, also auch in der Ukraine. Normalerweise laufen dort regelmäßig Schiffe aus und bringen den Weizen in weniger fruchtbare Länder, vor allem nach Afrika.

Diese Häfen werden aber von Russland blockiert. Berichten zufolge wurden Schiffe mit Weizen sogar versenkt. Damit droht in vielen Entwicklungsländern Hunger. Auch das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen hat Probleme zu helfen. Es bezieht normalerweise rund die Hälfte seines Weizens aus der Ukraine. Ihn nun woanders zu höheren Preisen einzukaufen ist für das chronisch unterfinanzierte WFP nicht leicht.

Agrarexpertin Bettina Rudloff von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fordert schnelle Hilfe durch die Politik: „Solange die Situation so riskant ist, brauchen die Logistikunternehmen Unterstützung.“ Mit subventionierten Versicherungsprämien ließen sich die Firmen vielleicht doch dazu bewegen, ihr Geschäft mit dem Nahrungstransport weiter zu betreiben.

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