Der Green Deal der EU wird weiter konkret ausgestaltet. Geleakte Papiere zeigen: Auf die europäische Landwirtschaft kommen starke Veränderungen zu.
Kühe beim Biobauern
Laut eines Arbeitspapiers plant die EU-Kommission, dass der Bioanbau ein Viertel der EU-Agrarflächen ausmachen soll – mehr als doppelt so viel wie bislang.
Bild: imago/Kickner
Brüssel An diesem Mittwoch stellt die EU-Kommission zwei weitere bedeutende Säulen des Klimapakts Green Deal vor: die Biodiversitätsstrategie und die Landwirtschafts- und Lebensmittelstrategie – auch unter dem Brüsseler Arbeitstitel „Farm to fork (F2F)“ bekannt.
Der Green Deal ist ein generationenübergreifendes Großvorhaben, mit dem die Europäische Union bis 2050 klimaneutral sein soll – also nur noch so viel CO2 ausstoßen soll, wie der Atmosphäre auf natürliche oder technische Weise wieder entzogen werden kann. Dies erfordert eine andere Art des Wirtschaftens und des Konsumierens – kurzum: einen anderen Umgang mit der Natur.
In den Bereichen Finanzierung, Industriepolitik und Kreislaufwirtschaft hat die Kommission bereits Anfang dieses Jahres Strategiepapiere vorgelegt. Für die Sektoren Bau, Mobilität und Energieversorgung beispielsweise werden noch Initiativen kommen. Die Strategie für die Artenvielfalt setzt nun das Ziel, 30 Prozent der EU-weiten Landfläche in Naturschutzgebiete umzuwandeln. Bislang trifft dies auf 18 Prozent der ländlichen Gebiete zu.
Außerdem sollen 30 Prozent der Meeresfläche der EU unter Schutz gestellt werden. Bislang liegt der Wert hier bei vier Prozent. Des Weiteren sollen drei Milliarden Bäume gepflanzt werden. Derzeit sind 40 Prozent der ländlichen Fläche mit Wäldern bedeckt. All dies geht aus geleakten Arbeitspapieren der EU-Kommission hervor, die dem Handelsblatt vorliegen.
Eine hohe Artenvielfalt ist wichtig für ein widerstandsfähiges Ökosystem, um sich besser an äußere Veränderungen – wie Krankheiten oder Klimawandel – anpassen zu können. Derzeit verschwinden jeden Tag 300 Arten von unserem Planeten.
Zudem erhöht eine hohe Artenvielfalt die Produktivität des Ökosystems – und bedient so auch wieder wirtschaftliche Interessen. Nach Angaben der Kommission basiert die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung auf intakter Natur.
Die Biodiversitätsstrategie nimmt auch die Agrarbranche in die Pflicht und ist so mit der neuen Landwirtschaftsstrategie verwoben: Weniger Pestizide, weniger Düngemittel, weniger Antibiotika-Einsatz, mehr Biolandwirtschaft, fordert die EU-Kommission unter anderem.
Tatsächlich soll nach Willen der Kommission ein Viertel der EU-Landwirtschaftsfläche auf Bioanbau umstellen, ältere Entwürfe des Papiers sprachen gar von 30 Prozent. Derzeit liegt der Anteil in der EU bei 7,5 Prozent. Deutschland liegt mit zehn Prozent über dem Durchschnitt, andere Länder haben jedoch einen verschwindend geringen Anteil. Zum Beispiel Irland, dort sind es 2,6 Prozent.
Die derzeitige Landwirtschaft hat nicht nur großen Einfluss auf das Artensterben, sondern auch die Erderwärmung. Zwar gehört sie beim CO2-Ausstoß nicht zu den Spitzenreitern, ist jedoch der größte Verursacher von Lachgas-Emissionen und zweitgrößter Verursacher von Methan-Emissionen. Lachgas ist 300-mal klimaschädlicher als CO2, Methan 25-mal.
Ein weiterer Bestandteil der Lebensmittelstrategie: Die Menschen sollen ihre Ernährung überdenken. Dafür ist unter anderem ein Tierwohllabel im Gespräch. Anhand diesem soll deutlich werden, wie ein Tier gehalten wurde und welche Transportwege mit dem entsprechenden Lebensmittel einhergehen.
„Diese Pläne sind alle schön und gut, aber wir müssen sie auch tatsächlich umsetzen“, sagte der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling, dem Handelsblatt. „Ich halte nichts von freiwilligen Labels. Auf freiwilliger Basis erzielt man immer nur Änderungen im minimalen Prozentbereich. Für einen wirklichen Wandel brauchen wir verpflichtende Labels und ebenso verpflichtende Vorgaben, um die Tierhaltung verbessern.“
Damit so viele Bauern auf Biolandwirtschaft umsteigen, wie die Kommission es anstrebe, müsse die Agrarpolitik der EU entsprechend geändert werden.
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) gehört mit zu den ältesten Politikfeldern der EU – und ist auch das mit dem größten Etat. Die EU verhandelt bereits seit Jahren über eine GAP-Reform, Interessenkämpfe inklusive. Im zweiten Halbjahr 2020, zur deutschen Ratspräsidentschaft, soll die Reform endlich über die Bühne gebracht werden.
Bei der Agrarpolitik der EU wird insbesondere kritisiert, dass von den Fördergelder überwiegend landwirtschaftliche Großbetriebe profitieren – und nicht die kleinen familiengeführten Bauernhöfe von nebenan, bei denen die Kühe auf der Wiese stehen. „Die Gelder für die Agrarförderung müssen stärker in die Biolandwirtschaft fließen“, fordert Häusling daher.
Seiner Meinung nach sei es richtig gewesen, dass die die EU-Kommission die beiden Strategien nun doch trotz Coronakrise vorlegen wird – damit sie Teil der neuen Agrarpolitik werden. Ursprünglich sollten die Papiere bereits im März vorgestellt werden, doch auf dem Höhepunkt der Pandemie vertagte die Kommission ihr Vorhaben.
Interessensgruppen versuchten gar die Veröffentlichung der Strategie auf den Herbst zu verschieben, denn dann wäre die GAP-Reform von den ambitionierten Plänen der Kommission nicht tangiert, da bereits beschlossen.
„Dieser Zeitpunkt der Veröffentlichung ist nicht der richtige, um eine Langzeitstrategie vorzulegen“, sagte auch CDU-Politiker Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses des Europaparlaments. Die Begründung: „Die Lehren aus der Coronakrise in puncto Lebensmittelversorgungssicherheit hätten noch mehr in die Strategie miteingearbeitet werden sollen.“ Zwar seien Ansätze davon in den neuesten Entwürfen zu erkennen, aber eben nicht ausreichend, um eine Versorgungssicherheit tatsächlich zu garantieren.
Seine Parteikollegin Christine Schneider, die für die EVP im Umweltausschuss des Europaparlaments sitzt, sieht auch die angestrebte hohe Biolandwirtschaftsquote kritisch. „Wenn die Verbraucher Bioprodukte nicht in dem Maße nachfragen, ist eine Verdopplung des Biolandanbaus wenig sinnvoll.“ Die Idee der Tierwohl-Kennzeichnungen von Produkten hält sie dagegen für einen guten Ansatz: „Der Verbraucher soll bewusste Kaufentscheidungen treffen können und auf diese Weise entscheiden, welche Art der Landwirtschaft er fördert.“
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