Portugal ist eines der wenigen Länder Südeuropas, die ihre Schulden senken könnten. Taugt António Costas Politik als Vorbild in Zeiten explodierender Staatsschulden?
António Costa
Was passiert mit Portugals Finanzdisziplin, wenn Costa nicht erneut zum Regierungschef gewählt wird?
Bild: Reuters
Madrid Portugal ist eines der ärmsten Länder Europas, den großen südeuropäischen Ländern in einem entscheidenden Punkt aber dennoch weit voraus: der Finanzdisziplin. Der sozialistische Regierungschef António Costa stellte seine Politik in den vergangenen sechs Jahren unter die Prämisse von ausgeglichenen Haushalten.
Mit Erfolg: Er verwandelte das Haushaltsdefizit von 4,4 Prozent im Jahr 2015 in ein leichtes Plus von 0,1 Prozent im Jahr 2019. Und zwar ohne drakonische Sparrunden oder ausgebremstes Wachstum, was lange eine Folge der von der EU verordneten Austeritätspolitik war. Auch die Staatsschulden sanken unter Costa deutlich.
Sein Vorgehen überraschte den Rest Europas. Sogar so sehr, dass der ehemalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Costas ersten Finanzminister, Mario Centeno, in Anspielung auf den portugiesischen Fußballstar als „Cristiano Ronaldo“ der europäischen Finanzminister beschrieb. Centeno wurde kurz darauf Chef der Euro-Gruppe.
Doch unter Costas linksradikalen Unterstützern wuchs wegen der Haushaltsdisziplin die Kritik: Sie versagten ihm Ende 2021 die Zustimmung zum Budget und machten damit Neuwahlen nötig, die am 30. Januar stattfinden.
Der Urnengang wirft die Frage auf, was mit Portugals Finanzdisziplin passiert, wenn Costa nicht erneut zum Regierungschef gewählt wird. Der Vorsprung von Costas Sozialisten ist in den vergangenen Wochen immer weiter geschmolzen. Anfang dieser Woche hat die größte Oppositionspartei, die konservative PSD, die Sozialisten sogar knapp überholt.
Experten in Portugal sind sich jedoch einig: Wer auch immer die Regierungsgeschäfte übernimmt – die Haushaltsdisziplin wird nicht angetastet werden. „Die Bevölkerung weiß nach den Erfahrungen der Vergangenheit genau, wie wichtig ausgeglichene Haushalte sind“, sagt der Ökonom Joao Cesar das Neves von der Katholischen Universität in Lissabon. „Deshalb wird es kein Politiker wagen, das zu vernachlässigen.“
Die Portugiesen sind geprägt von ihren Erfahrungen mit überbordenden Schulden aus den Jahren nach der Finanzkrise. Die hatten dafür gesorgt, dass Portugal 2011 vor dem Staatsbankrott gerettet werden musste. Portugal zeigte damals großes Verständnis für die von der Troika aus Europäischer Union (EU), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) verordnete Austerität und wählte 2015 den konservativen Premier Pedro Passos Coelho wieder, der in den vier Jahren zuvor schmerzhafte Sparmaßnahmen umgesetzt hatte.
Da er nach der Wahl aber keine Partner für eine Regierungsbildung fand, übernahm der Sozialist Costa und schmiedete ein völlig unerwartetes Bündnis mit zwei linksradikalen Parteien, die dem Brüsseler Spardiktat eigentlich gar nichts abgewinnen konnten. Doch auch sie trugen die Politik sechs Jahre lang mit.
Im internationalen Vergleich hat Costas Politik Portugal einen entscheidenden Vorteil gebracht: Das Land ist wie sonst kein anderes in Südeuropa in der Lage, seinen in der Pandemie explodierten Schuldenberg allein wieder abzutragen. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts der Wirtschaft (IW), die die Staatsschulden von Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal verglichen hat.
„Ein relativ positives Bild kann für Portugal vermittelt werden“, heißt es darin. „In zwei der drei Szenarien geht die Schuldenquote zurück, im dritten Szenario steigt sie leicht. Ursächlich für die positiven Aussichten sind das gute BIP-Wachstum und der positive Primärsaldo“, bilanzieren die Autoren. Nur Griechenland bescheinigt die Studie, in den kommenden zwei Jahrzehnten ebenfalls seine Schuldenquote senken zu können – wenn auch nicht so stark wie Portugal. In Frankreich, Italien und Spanien dagegen steigen die Staatsschulden in jedem makroökonomischen Szenario weiter.
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Nun stellt sich gerade nach der Pandemie, die in allen Ländern zu höheren Staatsschulden geführt hat, die Frage, ob Costas Krisenrezept als Vorbild taugt. Er selbst behauptet, er habe eine Alternative zur Austerität gefunden. Die hat mit ihren heftigen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen nach der Finanzkrise das Wachstum abgewürgt und in einigen Ländern sogar zu einer zweiten Rezession geführt.
Doch was Costa, der bei jeder Gelegenheit die Austerität verteufelt, als Alternative beschreibt, ist nach Ansicht von Ökonomen gar keine: Zwar ist es ihm gelungen, Defizit und Schulden zu senken und gleichzeitig Renten und Löhne zu erhöhen sowie Steuern zu kürzen. „Dieses Wunder hat er aber unter anderem mit Kosmetik vollbracht“, sagt Ökonom das Neves.
So habe ein großer Teil darin bestanden, indirekte Steuern wie die auf Benzin oder zuckerhaltige Getränke zu erhöhen oder öffentliche Investitionen auf ein Minimum zu streichen. Zudem hat die starke Weltkonjunktur dafür gesorgt, dass Costas Rechnung aufging.
„Ich würde das nicht als Alternative zur Austerität sehen, sondern als Verzögerung von bedeutenden Strukturreformen, die das Land braucht“, sagt auch der Politologe Filipe Teles von der Universität in Aveiro. „Costa hat eine sehr kurzfristig orientierte Politik gemacht, die bei der Bevölkerung gut angekommen ist und das Vertrauen der EU-Kommission zurückgewonnen hat“, ist Rui Leão Martinho, Chef des portugiesischen Ökonomenverbands, überzeugt. „Aber das Fehlen von Reformen und Investitionen schadet der langfristigen Entwicklung des Landes.“ Er mahnt vor allem eine Reform der Sozialversicherung, der Justiz sowie des Gesundheits- und Bildungssystem an.
Dafür kommt der europäische Wiederaufbaufonds wie gerufen, aus dem Portugal 13,9 Milliarden Euro an Transfers und 2,7 Milliarden an Krediten bekommt. Mehr Kredite wollte Costa wegen der hohen Verschuldung nicht. „Costa oder wer auch immer die Wahl gewinnt, ist nun gezwungen, Reformen anzugehen, denn sonst fließt das Geld aus dem Wiederaufbaufonds nicht“, sagt der Ökonom.
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