Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

02.02.2022

20:08

Peking 2022

Spiele in der Blase – Wie China seine Null-Covid-Politik auch während Olympia durchzieht

Von: Dana Heide

Die Vorwettkämpfe haben begonnen, und damit die wohl ungewöhnlichsten Winterspiele der Geschichte. Die Angst vor Ansteckung schwingt überall mit – ebenso wie der politische Druck.

Nicht nur Menschen, sondern auch viele Tonnen Fracht, die für die Spiele nach Peking transportiert worden sind, mussten auf das Virus getestet werden. Getty Images

Arbeiterinnen in Peking 2022

Nicht nur Menschen, sondern auch viele Tonnen Fracht, die für die Spiele nach Peking transportiert worden sind, mussten auf das Virus getestet werden.

Peking Als die deutschen Rodler am Mittwoch zu Beginn ihres Trainings in China in ihr Sportgerät stiegen, gab es eine besondere Premiere. Es war wohl das erste Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele, dass die Transportkiste für ihre Rennschlitten zuvor auf Corona getestet worden war. Chinas Staatsführung ist in diesen Tagen besonders nervös und will nichts dem Zufall überlassen. Die Angst ist groß, dass Sportler und Mitreisende, die zu den Olympischen Spielen nach Peking gereist sind, die chinesische Bevölkerung mit dem Coronavirus infizieren. Und so greift Peking zu drastischen Maßnahmen.

Nicht nur die Tausenden Sportlerinnen und Sportler, mitreisende Helfer und Journalisten, sondern auch die vielen Hundert Tonnen Fracht, die für die Spiele nach Peking transportiert worden sind, mussten auf das Virus getestet werden. Frachtstücke, deren Test trotz mehrfacher Desinfektion positiv ausfiel, wurden erst einmal für ein paar Stunden in Quarantäne gesteckt und erst dann wieder freigegeben, wenn der Coronatest negativ ausfiel.

Am Mittwoch haben die Trainings- und Vorwettkämpfe der Olympischen Spiele in Peking begonnen, am Freitag steht die große Eröffnungsfeier im Pekinger Nationalstadion, dem „Vogelnest“ an. Schon jetzt ist klar: Es werden wohl die ungewöhnlichsten Spiele in der Geschichte. Dafür sind die strengen Sicherheitsvorkehrungen, die die Staatsführung getroffen hat, um die Ausbreitung des Coronavirus in China zu verhindern, nur ein Grund.

Denn die Sportveranstaltung findet zugleich in einem Land statt, dessen Führung schwere Menschenrechtsvergehen an der muslimischen Minderheit der Uiguren vorgeworfen wird. Die USA, Deutschland und andere große Nationen schicken diesmal keine Regierungsvertreter zu den Spielen, wie es sonst üblich ist – teilweise ausdrücklich aus Protest.

Auch Umweltschützer kritisieren die Führung des Gastlandes, denn die Sportstätten sind an Orten, wo natürlicherweise kaum Schnee liegt und Wassermangel herrscht. Chinas Behörden und die chinesischen Organisatoren behindern zudem massiv die Berichterstattung rund um die Wettbewerbe.

100 Tonnen Fracht hat Kühne und Nagel von Deutschland nach China transportiert

Auf der einen Seite sind jene, die die Spiele aus Menschenrechts- und Umwelt- oder aus Gesundheitsgründen am liebsten abgesagt hätten – auf der anderen Seite die, die sie trotz der pandemischen Herausforderungen für die Sportler zum Erfolg bringen wollen.

So wie Philipp Haberzettl und Jasmin Neumann, Projektleiter und Projektleiterin für Eventlogistik bei dem Schweizer Logistiker Kühne + Nagel. Das Unternehmen übernimmt den Transport der kompletten Fracht des Deutschen Olympischen Sportbunds und von diversen deutschen und internationalen Fernsehanstalten. Das ist auch bei normalen Spielen ein riesiges Unterfangen – aber für Peking eine Mammutaufgabe.

Die Angst ist groß, dass Sportler und Mitreisende, die zu den Olympischen Spielen nach Peking gereist sind, die chinesische Bevölkerung mit dem Coronavirus infizieren. Getty Images

Kontrollen in Peking

Die Angst ist groß, dass Sportler und Mitreisende, die zu den Olympischen Spielen nach Peking gereist sind, die chinesische Bevölkerung mit dem Coronavirus infizieren.

100 Tonnen Fracht hat Kühne + Nagel in den vergangenen Monaten von Deutschland nach China transportiert – darunter die Sportgeräte und die komplette Ausrüstung der 400-köpfigen Delegation des deutschen Teams: 14 Bobs, 16 Rennrodelschlitten, 12 Skeleton-Schlitten, 400 Taschen Bekleidung. Auch die Magnum-Flaschen Sekt für die Sieger waren im Gepäck. Selbst Lebensmittel für die Hochleistungssportler mussten die rund 8000 Kilometer nach China transportiert werden – die Mannschaften haben ihre eigenen Köche mitgebracht, um die optimale Versorgung der Athleten zu garantieren.

Alle Kisten und Container haben aufgrund der strengen Corona-Präventionsmaßnahmen der chinesischen Staatsführung einen Desinfektionsmarathon hinter sich. Bereits in Deutschland mussten sie desinfiziert werden, dann noch einmal in China. Denn die chinesische Staatsführung verfolgt mittels drakonischer Maßnahmen eine Null-Covid-Strategie und hatte in den vergangenen Monaten immer wieder ausländische Pakete oder andere Fracht für neue Ausbrüche in dem 1,4 Milliarden Einwohner Land verantwortlich gemacht – ein weltweit einzigartiges Vorgehen.

Der Druck ist groß – einen Testlauf durfte es nicht geben

Die Logistikspezialisten Haberzettl und Neumann sind bereits seit dem 22. Januar in der Olympia-Blase, die alle Besucher von der chinesischen Bevölkerung abschirmen soll, und sorgen dafür, dass alle Kisten der Sportler und Fernsehjournalisten an ihr Ziel kommen. Unterstützt werden sie von fünf weiteren Kollegen in Peking, die außerhalb der Blase sind, und mehr als einem Dutzend Kollegen außerhalb Chinas.

Auf allen lastete dieses Mal ein besonderer Druck. Denn, und auch das ist eine Besonderheit bei den Spielen in Peking, nichts konnte vorher bei Testveranstaltungen geprobt werden. „Es gibt keine zweite Chance“, sagt Jörn Schneemann, Direktor globale Expo- + Eventlogistik bei Kühne + Nagel.

Ähnlich wie die Athleten brauchen auch Neumann und Haberzettl für ihren Job starke Nerven. Das ging schon mit der Anreise los. Als sie am 22. Januar in der chinesischen Hauptstadt landen, werden Neumann und Haberzettl erst einmal von Menschen in weiß-blauen Ganzkörperschutzanzügen am Flughafen begrüßt. Rachen- und Nasenabstriche werden gemacht, das Gepäck desinfiziert. Erst dann geht es mit mehreren Bussen in der Kolonne zu den Austragungsorten.

Jede Unterkunft der „Olympia-Blase“ wird einzeln angefahren. „Wir haben schon gescherzt, ob wir länger mit dem Bus vom Flughafen zu unserem Hotel brauchen als mit dem Flugzeug von Deutschland nach China“, sagt Haberzettl schmunzelnd. Erst am Abend, nach sieben Stunden im Bus, kommen sie im Hotel an.

Zu seinem ersten Einsatz am Morgen gleich nach der Ankunft – die Verteilung von 16 Lastwagen mit Material – wäre der 36-Jährige fast zu spät gekommen. Denn die Menschen innerhalb der Olympia-Blase dürfen nicht mit normalen Verkehrsmitteln fahren – Pekinger Taxis und Busse sind tabu. Fahrzeuge sind nur mit der Olympia-App buchbar und müssen auch darüber bezahlt werden. Doch am Anfang hakte es, es waren nur begrenzt Olympia-Taxis verfügbar.

Die Organisatoren der Spiele in Peking haben alles so geplant, dass Krankheitsfälle sofort entdeckt werden. Der erste Gang am Morgen führt ihn und Neumann daher zum Rachenabstrich. In jedem Gebäude müssen sie zuerst ihre Identifikationskarten scannen – dort ist auch der letzte Test hinterlegt.

Bereits 232 positive Coronatests in der Olympia-Blase

Sie dürfen sich zwar relativ frei zwischen den Sportstätten und Unterkünften bewegen. Doch die Angst, sich anzustecken, schwingt immer mit – und trübt die Zeit, die eigentlich ein Highlight ist nach Monaten und Jahren, die der Logistikleistung an Organisation vorangeht. Stand Mittwoch sind bereits 232 Menschen in der Olympia-Blase positiv auf Corona getestet worden.

Neumann, die viel im Olympischen Dorf ist – normalerweise der Ort, wo Sportler und Mitreisende sich treffen und austauschen –, vermeidet den Kontakt mit anderen, auch mit den Athleten. „Man sagt sich auf dem Flur Hallo, aber man möchte ihnen wegen Corona auch nicht zu nahe kommen“, erzählt die 29-Jährige.

Bis zum Mittwoch waren bereits 232 Menschen in der Olympia-Blase positiv auf Corona getestet worden. Getty Images

Corona-Testung in Beijing

Bis zum Mittwoch waren bereits 232 Menschen in der Olympia-Blase positiv auf Corona getestet worden.

Haberzettl ergeht es ähnlich. Die beiden haben eine wichtige Position. Denn wenn einer von beiden ausfällt, gibt es zwar Ersatzpersonal, das das Unternehmen vorsorglich akkreditiert hat. Aber die Frage ist, ob es im Ernstfall tatsächlich klappen würde, diese dann auch in die Blase zu schleusen.

Auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen vor Ort läuft anders ab. „Normalerweise hätten wir uns nach unserer Ankunft in Peking erst mal im Büro getroffen, einen Kaffee getrunken und gemeinsam geschaut, wie die nächsten Tage aussehen“, sagt Haberzettl. „Das fällt jetzt komplett flach.“ Obwohl sie jetzt in der gleichen Stadt sind, können sie sich nicht sehen. Auch das Feierabendbier fällt weg.

Wenn am Freitag mit einer großen Feier im Pekinger Nationalstadion die Spiele offiziell eröffnet werden, planen Haberzettl und Neumann schon wieder den Rücktransport der Fracht. Auch dann heißt es wieder: Erst mal desinfizieren, dann erst dürfen die Transportkisten auf den Weg von der Olympia-Blase zum Hafen geschickt werden.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×