Wolodimir Selenski hat es vom TV-Komiker zum Präsidenten der Ukraine geschafft. Nun muss er einen Streit lösen, um einen Staatsbankrott abzuwenden.
Wolodimir Selenski
Seine Popularität errang der ukrainische Präsident als Eigner der TV-Produktionsfirma 95. Quartal.
Bild: dpa
Berlin In der Ukraine wird in diesen Tagen der Blick auf einen bizarren Streit frei, an dessen Ende der Staatsbankrott des Landes stehen könnte. Protagonisten des Streits sind der vor einem Jahr mit einem 73,2-prozentigen Erdrutschsieg zum Staatschef gewählte TV-Komiker Wolodimir Selenski, sein damaliger Senderchef Ihor Kolomojski und der Fußballmanager und frühere Rada-Abgeordnete Grigori Surkis, wegen dessen Luxusuhren-Geschenk der deutsche DFB-Fußballboss Reinhard Grindel zurücktreten musste.
„Ich bin eine absolut unabhängige Person. Ich möchte niemanden beleidigen, aber derjenige, der mich kontrollieren wird, ist noch nicht geboren“, hatte Selenski im Wahlkampf getönt. Jetzt wird der 42-Jährige das beweisen müssen. Denn der Besitzer des mächtigen Privatsenders 1+1, der Oligarch Kolomojski, untergräbt derzeit massiv die Parlamentsmehrheit des Präsidenten.
Kolomojski will seine verstaatlichte PrivatBank zurückbekommen oder zumindest Milliarden Dollar als Kompensation. Sollte die Ukraine aber Kolomojski die Bank zurückgeben und so die zur Rettung des Finanzinstituts 2016 eingesetzten Staatsmilliarden verlieren, droht der Internationale Währungsfonds (IWF) mit dem Ende des Hilfsprogramms für die Ukraine.
„Ohne frisches Geld der Geber wird die Ukraine mit ziemlicher Sicherheit ihre Staatsschulden nicht bedienen können und am Ende ein ganzes Jahrzehnt verlieren, wie Russland in den 1990er-Jahren.“ Davon ist Ben Aris, Chef des Fachmagazins „Business New Europe“ und guter Kenner Kiews, überzeugt.
Die Kosten eines Zahlungsausfalls für das Land, das bereits vom Krieg mit Russland im Donbass und vom Schock der Coronavirus-Pandemie erschüttert ist, wären exorbitant. Sollte Selenski dem Drängen seines früheren Förderers nachgeben, bekäme die Ukraine kein frisches IWF-Geld. Er habe „keine andere Wahl, als genau das zu tun, was der IWF ihm sagt, oder er steht vor einer wirtschaftlichen Katastrophe“, meint Aris.
Seine Popularität errang Selenski als Eigner der TV-Produktionsfirma 95. Quartal. Seine Fernsehserie „Diener des Volkes“ (Sluha narodu) wurde bei Kolomojskis Sender 1+1 ausgestrahlt. Selenski spielte in der Serie einen unscheinbaren Geschichtslehrer, der durch Zufall ukrainischer Präsident wird.
Es ist die Rolle seines Lebens, die er nun auch in der Wirklichkeit umsetzen muss. Und Senderchef Kolomojski, dessen Kanal Selenskis Wahlkampf massiv gefördert hat, wandelt sich dabei vom Förderer zum Gegner.
Seine PrivatBank, das größte Geldhaus des Landes mit fast jedem zweiten Ukrainer als Kunde, wurde 2016 verstaatlicht. Denn nach hohen Insider-Krediten an ebenfalls Kolomojski und seinen Geschäftspartnern zuzurechnenden Firmen war das private Finanzinstitut in massive Schieflage geraten. Laut IWF waren Milliarden Dollar abgezweigt worden.
Kolomojski kämpft mit aller Macht um die Rückgabe der ihm ehemals gehörenden PrivatBank. Vor Gerichten mit bisher durchwachsenem Erfolg – und im Parlament. Dort hat Selenski mit der nach seiner TV-Sendung benannten Partei „Diener des Volkes“ zwar die absolute Mehrheit. Doch die Rada, die ukrainische Volksvertretung, ist traditionell stark durch Oligarchen beeinflusst. Und so wird das für ein Verhindern der Rückgabe der PrivatBank an Kolomojski dringend nötige Bankengesetz aktuell durch fast 16.000 Änderungsanträge blockiert.
Politische Beobachter in Kiew sehen als Strippenzieher hinter der Gesetzesblockade durch einzelne Abgeordnete Kolomojski. Dutzende der bekanntesten Unternehmer und Manager des Landes haben inzwischen in einem offenen Brief an die Parlamentarier namentlich gefordert, dass die Rada diese Woche das Bankengesetz endlich annimmt – und so die Chance schafft für das wirtschaftliche Überleben der Ukraine dank neuer IWF-Hilfen.
Der IWF hat weitere Ukraine-Milliarden ausgeschlossen, wenn die Verstaatlichung der PrivatBank rückabgewickelt und der ukrainische Staat seine dafür eingesetzten Bankrettungsmilliarden verliert.
Und inmitten der unerbittlichen Machtkämpfe um IWF-Milliarden und Bankengesetz hat sich Fußballmanager Surkis zusammen mit seinem Bruder Ihor mit einer Forderung vor einem Kiewer Gericht durchgesetzt.
Die Brüder bekamen vorige Woche umgerechnet 259 Millionen Dollar zugesprochen, die ihnen im Zuge der Verstaatlichung von Kolomojskis PrivatBank abhandenkamen. Damals waren ihre Einlagen bei der Bank als stille Beteiligung an dem umstrittenen Geldhaus gewertet und so mit eingezogen worden. Nun sollen sie das Geld laut Gericht zurückbekommen. Richter und Staatsanwälte gelten in der Ukraine als besonders korrupt.
Grigori Surkis war bis 2012 Chef des ukrainischen Fußballverbandes und ist bedeutender Funktionär des europäischen Fußballverbandes Uefa. Sein Bruder Ihor lenkt den Erstligaklub Dynamo Kiew. Beiden wurde Schiedsrichterbestechung in internationalen Wettbewerben vorgeworfen sowie das Schleusen von Fußballgeldern über dubiose Offshore-Firmen.
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