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01.06.2022

18:40

Rechtsstaat

Geld für Polen: Abgeordnete wollen von der Leyen noch stoppen

Von: Christoph Herwartz

Die EU hat Polen bislang wegen der umstrittenen Justizreformen im Land Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds verwehrt. Das könnte sich nun ändern.

Die Kommissionspräsidentin bewertet die in Polen eingeleiteten Reformen positiv. REUTERS

Ursula von der Leyen

Die Kommissionspräsidentin bewertet die in Polen eingeleiteten Reformen positiv.

Brüssel Die EU-Kommission leitet Schritte ein, um Polen Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zukommen zu lassen, obwohl die Probleme mit der Justiz dort nicht gänzlich behoben sind. Sie genehmigte den von Polen vorgelegten Wiederaufbauplan, in dem die Regierung darlegt, wie das Geld investiert werden soll. Um tatsächlich an das Geld zu kommen, muss Polen weitere Vorgaben in Bezug auf sein Justizsystem erfüllen.

Die Kritik an der Entscheidung ist ungewöhnlich scharf. Selbst innerhalb der Kommission sollen sich Kritiker zu Wort gemeldet haben, darunter zwei der drei exekutiven Vizepräsidenten der Kommission, Margrethe Vestager und Frans Timmermans.

Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Europaparlament, Juan Lopez Aguilar, hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufgefordert, sich noch vor einer möglichen Bestätigung des polnischen Wiederaufbauplans einer Anhörung vor dem Ausschuss zu stellen.

Der Tag werde in die Geschichtsbücher eingehen, sagte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. „Er wird als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem von der Leyen den Schutz der Rechtsstaatlichkeit und die Verteidigung der EU-Werte aufgegeben hat.“

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD), kritisierte: „Leider ist die Kommission dabei, in Polen den Fehler zu wiederholen, den sie in Ungarn so oft gemacht hat: sich mit unzureichenden Schritten begnügen und sehenden Auges die Abschaffung rechtsstaatlicher Grundsätze geschehen lassen.“

Fast alle EU-Staaten nutzen bereits Geld aus dem Fonds

In Brüssel wartet ein Finanzpaket von 36 Milliarden Euro darauf, in die polnische Wirtschaft investiert zu werden. Zwölf Milliarden Euro davon sind ein zinsgünstiger Kredit, der Rest muss nicht zurückgezahlt werden.

Es ist Geld aus dem Corona-Wiederaufbaufonds, für das sich die EU-Staaten gemeinsam verschuldeten und mit dem fast alle EU-Staaten bereits Konjunkturprogramme und Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung finanzieren.

Die Auszahlung dieses Geldes ist an rechtsstaatliche Prinzipien geknüpft. In den Fällen Polens und Ungarns verlangte die Kommission Reformen, bevor sie das Geld freigibt. 

Im Falle Polens geht es vor allem darum, eine Reform rückgängig zu machen, mit der sich die Regierung weitreichende Durchgriffsrechte auf die Justiz sicherte. Kernbestandteil der Justizreform von 2018 war die Einführung einer Disziplinarkammer.

Sie konnte jeden Richter und Staatsanwalt entlassen, etwa aufgrund von unliebsamen Urteilen. Im Oktober verurteilte der Europäische Gerichtshof Polen zu einer Strafzahlung von einer Million Euro täglich, solange die Kammer existiert.

Diese Kammer möchte die polnische Regierung nun durch eine „Kammer für berufliche Verantwortung“ ersetzen. Allerdings ist das entsprechende Gesetz noch nicht in Kraft getreten. Es muss noch vom Senat bestätigt werden, in dem die Opposition das Sagen hat. Wenn es dort keine Mehrheit gibt, gibt es eine weitere Abstimmung im Sejm, der ersten Kammer des Parlaments.

Auszahlung ist an Bedingungen geknüpft

Auch sind die von der Disziplinarkammer geschassten 474 Richter und Anwälte noch nicht wieder im Amt. Einige von ihnen wurden nur deswegen entlassen, weil sie europäische Gerichte anriefen und damit laut Disziplinarkammer den Vorrang des nationalen Rechts infrage stellten.

Dass die Auszahlung an weitere Umsetzungsschritte der rechtsstaatlichen Reformen geknüpft ist, geht den Kritikern nicht weit genug. Sie wollen die rechtsstaatlichen Prinzipien in Kraft sehen, bevor Geld fließt.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es einen besonderen Druck, dem Land beizustehen. Polen leidet besonders unter den wirtschaftlichen Folgen und hat gleichzeitig Millionen von ukrainischen Flüchtlingen empfangen.

Hinter der Auszahlung der Hilfsgelder könnte aber noch etwas anderes stehen. „Politico“ stellt einen Bezug zur globalen Mindeststeuer her, die auf OECD-Ebene beschlossen ist, von der EU aber nicht umgesetzt werden kann, weil Polen sie blockiert. Damit wolle das Land das Freigeben der Wiederaufbaugelder erzwingen.

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