PremiumUnter extremen Umständen ist Biden und Harris eine würdevolle Amtseinführung gelungen. Die ersten Beschlüsse der neuen Regierung sollen auch internationale Partner mit den USA versöhnen.
Joe Biden und Kamala Harris
Sie führen ab sofort die neue US-Regierung an.
Bild: AFP
Washington Ein aufgebrachter Mob auf den Treppen des US-Kongresses, Schlachtrufe, Tränengas: Die Bilder aus dem Machtzentrum der USA schockierten vor zwei Wochen die Welt, als Tausende Trump-Anhänger das Kapitol stürmten. Der Kontrast zur Amtseinführung des Präsidenten Joe Biden und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris hätte größer nicht sein können.
„Meine Mitbürger, heute ist Amerikas Tag. Es ist ein Tag der Geschichte und Hoffnung, der Erneuerung und Entschlossenheit“, sagte der frisch vereidigte Präsident, der sich im Sonnenlicht und kalten Wind vor dem Kongress an die Nation wandte. „Heute feiern wir nicht den Triumph eines Kandidaten, sondern einen Wert. Den Wert der Demokratie.“
Mehrfach distanzierte sich Biden deutlich von seinem Vorgänger Donald Trump, der seine Anhänger zum Aufstand gegen die Demokratie aufgerufen hatte. „Wir erleben Wut, Ressentiments und Hass. Wir sehen Extremismus, Gesetzlosigkeit, Gewalt, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit. All dem müssen wir uns stellen, all das müssen wir besiegen“, drängte Biden.
„Zeigt euch einander Respekt. Hört euch zu. Politik muss kein Feuer sein, das alles auf seinem Weg zerstört. Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss einen Krieg auslösen. Wir müssen eine Kultur ablehnen, in der Fakten manipuliert und erfunden werden.“ Dieser Tag, machte Biden klar, sollte nicht nur einen Wechsel der Macht einläuten, sondern auch einen politischen Wandel.
Unter extremen Sicherheitsvorkehrungen und den Einschränkungen der Pandemie gelang der neuen Regierung nicht nur wegen Bidens Rede eine bemerkenswerte Zeremonie. Trotz der außergewöhnlichen Umstände, trotz der Wunden einer verletzten Nation war die Inauguration feierlich und würdevoll. Um 11.42 Uhr wurde Kamala Harris als erste weibliche Vizepräsidentin der USA vereidigt, um 11.48 Uhr folgte der Amtseid von Biden.
Joe Biden
Der 78-Jährige wurde am Mittwoch vom Obersten Richter John Roberts als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.
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Beide blickten während der Zeremonie auf ein Meer aus 200.000 Flaggen auf der National Mall, die die Gesamtheit der US-Bürger symbolisieren sollten. Denn nach dem Sturm aufs Kapitol war der Öffentlichkeit der Zutritt verboten worden. Washington ähnelte am Tag der Amtseinführung einer Geisterstadt: Sie ist durchzogen von meterhohen Zäunen mit Stacheldraht, militärischen Checkpoints und 25.000 Soldaten der Nationalgarde.
Ein Meer aus 200.000 Flaggen auf der National Mall
Die Flaggen stehen für die Gesamtheit der US-Bürger.
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Viele Anwohner versuchten trotzdem, so nah wie möglich an den Kongress zu kommen. „Ich bin kein großer Biden-Fan, aber mir sind die Tränen gekommen“, sagte eine Anwohnerin, die mit ihren Kindern an den Rand der Sperrzone gefahren war. Die Reden von Biden und Harris verfolgte sie auf ihrem Mobiltelefon. „Es tut so gut, dass endlich Menschen Verantwortung übernehmen und das Land zusammenbringen wollen.“
Gemeinschaft stärken, das war tatsächlich die Hauptbotschaft, die Biden zum Auftakt seiner Präsidentschaft senden wollte. „Ich möchte ein paar Worte sagen an die Bürger, die mich nicht als Präsidenten wollen. Hören Sie mich an, schauen Sie in mein Herz. Wenn Sie danach noch immer nicht einverstanden sind, ist es so. Das ist Demokratie. Das ist Amerika. Wir haben das Recht, friedlich zu widersprechen. Vielleicht ist das die größte Stärke unserer Nation“, rief Biden unter Applaus. „Ich verspreche Ihnen, ich werde ein Präsident für alle Amerikaner sein, egal, ob mich jemand unterstützt oder nicht.“
Die Zeremonie war durchzogen von kleinen und großen Gesten, die gesellschaftliche Vielfalt zelebrierten. Offensichtliches Symbol dafür ist, dass mit Harris nun die Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters erste Vizepräsidenten der USA ist.
Vereidigung
Kamala Harris ist die erste Vizepräsidentin der USA.
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Harris richtete am Mittwoch den Fokus auf die vielen gläsernen Decken, die in der Vergangenheit durchstoßen werden mussten. „Ich hin hier wegen der vielen Frauen vor mir“, sagte sie. Hillary Clinton, die gescheiterte Kandidatin von 2016, pries Harris“ Amtseinführung als historischen Moment.
Dazu sang Lady Gaga, exzentrisch-geniale Künstlerin und Ikone der Schwulen- und Lesbenszene, nur wenige Meter neben Trumps Vizepräsident Mike Pence die Nationalhymne. Und Jennifer Lopez, Popsängerin puerto-ricanischer Abstammung, interpretierte ausgerechnet „This Land is your Land“ – einen Folk-Kracher, den man eher auf einem Schützenfest im Mittleren Westen verortet.
Lady Gaga
Die Musikerin sang die Nationalhymne.
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Andrea Hall, eine afroamerikanische Feuerwehrfrau aus dem Südstaat Georgia, gab den traditionellen Treueschwur, den Pledge of Alliance, in Zeichensprache. Und im Publikum anwesend war ein Großteil des designierten Kabinetts von Biden, das sehr divers besetzt ist. Biden, dem im Wahlkampf von manchen vorgeworfen wurde, er sei zu alt und weiß, bewies spätestens mit dieser Zeremonie, dass er Vielfalt ernst nimmt.
Biden bekam bei seinem Versprechen, die Gräben der Nationen zu schmälern, parteiübergreifend Unterstützung von den meisten seiner noch lebenden Vorgänger: Die Bushs, die Obamas und die Clintons waren allesamt anwesend. Auch wenn die US-Politik häufig brutal ist, und auch schon lange vor Trump brutal war, rückt man am Tag des Regierungswechsels in der Regel politisch zusammen.
Abgesehen von Trump hielten sich auch alle an dieses ungeschriebene Gesetz. Der Ex-Präsident selbst hatte sich entschieden, Stunden vor der Amtseinführung Washington zu verlassen. Trump ließ sich am Mittwochmorgen mit militärischen Ehren an der Joint Base Andrews verabschieden, dem Hauptsitz der Air Force One. Es war ein plakatives Signal, dass er nichts mit seinem Nachfolger zu tun haben will.
Mit einem Halbsatz erwähnte er die neue Regierung, der er „viel Erfolg wünsche“. Und er deutete an, dass sein Abschied womöglich nur kurz andauern werde. „Wir werden zurückkommen, in irgendeiner Form“, sagte er.
Donald und Melania Trump
Der Ex-Präsident und die ehemalige First Lady verlassen das Weiße Haus. An Bidens Amtseinführung nehmen sie nicht teil.
Bild: dpa
In Washington spekuliert man über eine Parteigründung und Politik-Karrieren seiner Kinder. Begleitet von einer Militärkapelle, Soldaten und seiner Familie bestieg Trump am Mittwoch das letzte Mal die Präsidentenmaschine Air Force One und flog zu seinem Wohnsitz in Mar-a-Lago im Bundesstaat Florida.
Währenddessen will Biden keine Zeit verlieren, zentrale Entscheidungen Trumps rückgängig zu machen. Bereits am Donnerstag wird er per Dekret eine Reihe von Beschlüssen in Kraft setzen, wovon mehrere auch für Europa relevant sind:
All diese Maßnahmen kann Biden per Unterschrift regeln. Doch für größere Vorhaben, etwa das geplante Zwei-Billionen-Dollar-Konjunkturpaket, benötigt er den US-Kongress. Dort haben die Demokraten zwar eine knappe Mehrheit in beiden Kammern, trotzdem wird Biden auf die Zusammenarbeit mit Republikanern angewiesen sein.
Der Mittwoch stand für Millionen US-Bürger und für die neue Regierung im Zeichen von Feierlichkeiten, doch Biden wird auf Widerstände stoßen. Noch am Tag der Amtseinführung kündigten die ersten Republikaner Widerstand gegen das Hilfspaket an.
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