Während Armeen weltweit Rekrutierungs-Probleme haben, melden sich in der Legion mehr junge Männer als Plätze vorhanden sind. Und Frankreich will noch mehr.
Französische Soldaten in Mali
In Mali sind auch Soldaten des 2. Regiments der Fremdenlegion vor Ort. Seit 2013 sind dort 41 französische Soldaten gestorben.
Bild: dpa
Castelnaudary In einer hügeligen Landschaft wenige Kilometer von den Pyrenäen entfernt führt eine lange Allee zu einem alten Bauernhof. Die ganze Nacht hat es heftig geregnet, der Boden ist durchgeweicht. Langsam kommt die Sonne heraus, es wird ein schöner Herbsttag werden. Man kann sich schwer eine friedlichere Umgebung vorstellen. Doch ausgerechnet hier werden junge Männer für den Krieg ausgebildet.
Der Bauernhof von Raissac ist eine von vier „fermes“ des 4. Regiments der Légion Etrangère, der Ausbildungseinheit der Fremdenlegion, eine Spezialeinheit in der französischen Armee, in Castelnaudary im Südwesten Frankreichs. Die Räume sind noch genauso kahl und kalt wie auf einem ärmlichen Bauernhof: nackte Betonböden, kaum Farbe an den Wänden. Ein früherer Stall dient als rudimentäre Turnhalle, ein anderer als Klassenraum.
Knapp 60 Freiwillige, jeweils 20 in einem Raum auf simplen Feldbetten, verbringen hier den ersten Teil ihrer Integration in die Legion, vier Wochen in völliger Abgeschiedenheit von der Außenwelt: Kein Ausgang, kein Kontakt zur Familie, kein Internetzugang, nicht einmal ein primitives Handy ist erlaubt. Sogar ihren Namen nimmt man den Freiwilligen, die sich noch nicht Legionäre nennen dürfen. Auf dem Bauernhof erhält jeder einen erfundenen Vor- und Zunamen. Radikaler kann man einem Menschen kaum zeigen, dass er alles aufgeben muss, was ihm bislang wichtig war.
Das 4. Regiment muss aktuell mehr junge Männer – Frauen werden immer noch nicht aufgenommen – zu Soldaten formen als üblich, denn die 1831 gegründete Streitkraft fährt ihre Kapazitäten hoch. Frankreich braucht mehr Männer in Uniform, für Missionen im Ausland, aber auch für den Einsatz im Inneren zur Sicherung der Innenstädte gegen mögliche Terroranschläge. Der Einsatz in Mali, 2013 begonnen, erfordert immer mehr Menschen und Material. Das spüren auch die Ausbilder: Jede Kompanie, in der Regel 150 Leute, umfasst aktuell bis zu 300 Rekruten.
Während andere Armeen weltweit erhebliche Rekrutierungsprobleme haben, kann die Legion sich nicht über mangelnden Nachschub beklagen. „Je nach Jahr melden sich zwischen 6000 und 11.000 junge Männer in der Zentrale in Aubagne, davon nehmen wir 1100“, sagt Hauptmann Guain. Ausgesucht werden sie nach verschiedenen Kriterien, ausschlaggebend sind die physische und psychische Belastbarkeit und Stabilität.
„Den jungen Europäern fällt am schwersten, von Mama und Papa getrennt zu sein und kein Smartphone zu haben“, stellt Guain mit maliziösem Lächeln fest, der in der Kaserne in Castelnaudary stationiert ist. „Und manchmal treffen 18-jährige Franzosen oder Deutsche auf 27-jährige Russen, die schon Jahre in der Armee waren und sich am liebsten mit den Fäusten verständlich machen, das ist alles nicht einfach“, weiß Guain. Dann erläutert er die Philosophie hinter der rauen Praxis: „Die Ausbildung ist hart, wir holen sie aus ihrer gewohnten Umgebung heraus und pressen alle in dieselbe Form.“ Insgesamt dienen Freiwillige aus über 150 Nationen in der berüchtigten Einheit.
Das Umformen beginnt mit dem Wecken um 5:30 Uhr, um sieben Uhr müssen die jungen Rekruten zum ersten Mal antreten. Den Tag verbringen sie zwischen Sport, Waffenausbildung, Übungen im Gelände und Französischkursen. Vom ersten Tag an darf nur Französisch gesprochen werden, wer beim Reden in seiner Muttersprache erwischt wird, erhält eine Strafe.
Anders als früher können Mörder und andere Gewaltverbrecher nicht mehr bei der Legion Unterschlupf suchen, es gibt auch nicht mehr automatisch eine neue Identität mit französischem Pass. Aber ein Vorstrafenregister ist kein unbedingter Hinderungsgrund – vorausgesetzt, man macht beim Aufnahmegespräch reinen Tisch und packt alles, aber wirklich alles aus. Die Vorgesetzten durchleuchten genau das Vorleben der Freiwilligen, wer bei einer Lüge erwischt wird, ist raus.
Im Ausland hat die Fremdenlegion einen schlechten Ruf, als brutaler Haufen, der rücksichtslos vorgeht. Verschlechtert hatte sich ihr Ansehen auch dadurch, dass nach dem Zweiten Weltkrieg massenweise SS-Angehörige in die Legion gingen. „Damals wurde mehr Deutsch als Französisch gesprochen“, witzelt ein Major. Noch heute ist die bunt zusammengesetzte Einheit die einzige der französischen Armee, in der deutsche Lieder gesungen werden dürfen.
Nicht nur der Umgang mit Rekruten während der Ausbildung hat sich geändert während der vergangenen Jahre. Auch das Verhalten mit so genannten Minderheiten ist nicht mehr so wie früher.
Noch vor vier Jahren sagte ein Oberst in Aubagne auf die Frage, ob es auch Homosexuelle gebe in der Legion: „Schwule? Haben Sie sonst noch Probleme? Was soll ich denn mit denen?“ Heute dagegen räumt Hauptmann Guain ein, dass es in Castelnaudary vor kurzem die erste Ehe zwischen zwei Soldaten der Legion gegeben habe. „Ich habe ihnen gesagt, dass mir ihre Sexualität egal ist, so lange sie die anderen in Ruhe lassen“, knurrt er nicht gerade glücklich.
Deutsche und Europäer bilden schon lange nur noch die Minderheit der neu Aufgenommenen. Aktuell kommen viele aus Brasilien, Russland, der Ukraine und Nepal. „Sie stammen meist aus den Ländern, in denen es Konflikte und materielle Not gibt“, sagt Leutnant Baron, „denn manche von ihnen ernähren später mit ihrem Sold ein halbes Dorf.“
Zwei deutsche Rekruten auf der „ferme“ in Raissac erzählen, dass sie wegen des Abenteuers zur Legion gekommen sind. Der eine von ihnen war schon bei der Bundeswehr und will nach der Grundausbildung nach Französisch-Guyana, wo die Legion im Urwald ihre Einzelkämpfer ausbildet.
Seit vier Wochen haben die beiden keine Nachrichten gehört oder Zeitungen gelesen. Doch die Behandlung in der ferme sei nicht brutal, anders als früher, als von Schlägen und erniedrigender Behandlung die Rede war. „Strafen gibt es nur in der Form von Liegestützen und den Hügel hochlaufen, wenn ein Ausbilder meint, man habe etwas falsch gemacht“, sagt einer der beiden. Schwierig sei es aber, alles auf Französisch zu verstehen und „das Essen könnte üppiger sein“. Mehr Klagen haben sie nicht.
Nach dem Mittagessen bekommen die Rekruten ihre Gewehre, malen sich mit Tarnfarben an und gehen ins Gelände – sie üben das Vorrücken, wenn die Gefahr von Feindkontakt besteht. Über hunderte von Metern gehen je vier Mann vor, knien hin, legen die Gewehre an, dann rücken die nächsten vier an ihnen vorbei, so geht es wieder und wieder. Die Ausbilder korrigieren Fehler, aber ihr Ton bleibt gelassen. Nicht nur wegen der saftig grünen Wiesen denkt man, dass es in Mali völlig anders zugehen muss.
„Vieles von dem, was wir hier machen, ist Wiederholung, damit einem bestimmte Abläufe in Fleisch und Blut übergehen und man im Gefecht nicht anfangen muss, nachzudenken“, sagt Leutnant Baron. Vier Monate dauert die Ausbildung in Castelnaudary, danach geht es zum weiteren Training an andere Standorte. Erst nach anderthalb Jahren steht der erste Auslandseinsatz an.
„Wir operieren anders als die Amerikaner. Die gehen nur rein, wenn sie massiv überlegen sind, nach dem Prinzip Dampfwalze“, sagt ein Leutnant, der schon mehrfach bei Operationen im Ausland war, wie auch zur Fortbildung in Deutschland und der an die Führungsakademie der Bundeswehr möchte. „In Falludscha im Irak hatten die USA 70.000 Leute im Einsatz, gegen 800 bis 1000 Aufständische, wie man später festgestellt hat“, fährt er fort.
„Wir spezialisieren uns bei der Legion auf alle möglichen Szenarien: Schutz und Kontrolle einer bestimmten Zone, Stadtkampf, Häuserkampf, bekämpfen von Aufständischen, den Krieg in der Wüste und haben jeweils besondere Ausbildungsorte dafür.“ Frankreichs Einsatzdoktrin sei ganz anders als die der Amerikaner, geschmeidiger, weniger auf Masse bedacht.
Wie so häufig waren auch in Mali die Soldaten des 2. Regiments der Legion die ersten der französischen Armee vor Ort. Sie sind Fallschirmjäger, in Calvi auf Korsika stationiert und gelten als die besten Einsatzkräfte Frankreichs, sieht man von den Spezialkräften ab. „Wir gehen als erste rein und als letzte raus“, umreißt ein Oberst der Legion das eigene Selbstverständnis.
Manche von ihnen gehen nie wieder raus. 41 französische Soldaten sind seit Anfang 2013 in Mali gestorben. Präsident Macron sucht derzeit mehr europäische Unterstützung, auch weil er fürchtet, dass in Frankreich der Rückhalt für die Operation im Sahel abnehmen wird, wenn das Land weiterhin als einziges einen so hohen Blutzoll zahlt.
Die Legionäre schrecken die Verluste nicht ab. „Seit einiger Zeit sind für uns die Auslandseinsätze seltener geworden als früher“, bemängelt Hauptmann Guain sogar. Von einer Überlastung der Legion insgesamt könne man nicht sprechen. Das klingt ganz anders als die häufig von Spitzenoffizieren des Generalstabs geäußerte Befürchtung, die Armee arbeite an der Grenze ihrer Belastbarkeit.
Naiv stehen die Legionäre den Operationen im Ausland nicht gegenüber, im Gegenteil: Bei manchen Offizieren der Legion entdeckt man mehr politisches Denken als schlichtes soldatisches Funktionieren. „Eines ist doch wohl klar: Wenn wir zum Einsatz kommen, ist alles zu spät, dann ist die Politik mit ihrem Latein am Ende.“ analysiert ein Major. Nicht alle Politiker haben so viel Realitätssinn – auch das überrascht an der Fremdenlegion.
Mehr: Emmanuel Macron will europäische Soldaten in Afrika auch in den Einsatz schicken. Auch beim EU-Gipfel wollte der französische Präsident das Thema auf den Tisch bringen.
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