Von Künstlicher Intelligenz über Telekommunikation bis hin zur virtuellen Realität: Israels Armee rüstet sich für die Zukunft. Dabei ist die Zusammenarbeit mit Start-ups unerlässlich.
Virtual-Reality-Technologie beim israelischen Militär
Viele Soldaten gründen Start-ups nach ihrer Zeit beim Militär.
Tel Aviv „Wir müssen nicht in die Muskeln der Soldaten investieren, sondern in deren Hirn“: So brachte der ehemalige Premier und Staatspräsident Schimon Peres einmal den Tech-Auftrag an die israelische Armee auf den Punkt. Und daran hält sich die Armee bis heute. Innovationen sind „unsere DNA“, sagt Michal Frenkel, die eine der armeeinternen Innovationseinheiten des Landes leitet.
Die 40-jährige Oberstleutnantin, die die Streitkräfte technologisch auf die nächsten Herausforderungen vorbereiten soll, bezeichnet die Armee als Innovationsmaschine: „Es ist so, als ob man gleichzeitig Tausende von Start-ups am Laufen hätte“, sagt sie in ihrem Büro im Armeehauptquartier im Zentrum von Tel Aviv.
Sie will Offiziere und Soldaten „mit dem Innovationsvirus infizieren“, legt Wert darauf, dass die jungen Menschen schnell lernen, mit unkonventionellem Denken die immer wieder neuen Sicherheitsanforderungen des Landes zu lösen.
War bei den Israel Defense Forces (IDF) einst alles verpönt, das „nicht hier erfunden wurde“, arbeitet Frenkel jetzt auch mit Start-ups im Bereich der Hochtechnologie zusammen.
Die Armee rüstet sich für die Zukunft, indem sie „revolutionäre Technologien“ aus der zivilen Welt adaptiert – von Künstlicher Intelligenz über Telekommunikation bis hin zur virtuellen Realität. „Ziehst du in den Krieg? Vergiss deine Virtual-Reality-Brille nicht“, witzelt ein Soldat.
Israels Militär ist eine Volksarmee, in der ab dem 18. Lebensjahr Frauen mindestens 24 Monate und Männer 32 Monate Dienst leisten. Das verzahnt Gesellschaft und IDF eng miteinander.
Israelische Soldaten
In Israel leisten fast alle Bürgerinnen und Bürger ab dem 18. Lebensjahr einen mehrjährigen Militärdienst.
Bild: IMAGO/ZUMA Wire
Die Ausbildungsoffiziere haben Zugriff auf den größten Teil der Jugend. Mehrere Monate vor ihrer Einberufung zum israelischen Militär werden Rekruten, die den anspruchsvollen Eignungstest bestanden haben, zu Intensivkursen in Eliteeinheiten entsendet. In diesen erlernen sie zum Beispiel offensive Cybertechniken von Gründern und Gründerinnen von Start-ups.
Anschließend werden sie, falls sie in den weiteren Tests überdurchschnittlich gut abschneiden, anderen Eliteeinheiten zugewiesen, etwa dem digitalen Geheimdienst oder Spezialeinheiten für die Technologieentwicklung.
Neben dem Zusammenspiel von „Jugend und IDF“ ist die Symbiose von Start-ups und Armee ausschlaggebend für die Innovationskraft der Armee. Avi Veidman ist ein typisches Beispiel dafür.
Nach einer erfolgreichen Armeelaufbahn in Cybereinheiten gründete er zusammen mit zwei anderen Veteranen derselben IDF-Einheit vor fünf Jahren das Unternehmen Nucleai, das mithilfe Künstlicher Intelligenz Einblicke in die Krebsbiologie ermöglichen will.
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Die Computer-Vision-Technologie, die er in der Armee angewandt hat, um Satellitenbilder mithilfe Künstlicher Intelligenz zu analysieren, benutzt er nun für sein Start-up. Bei der Armee habe er auf Satellitenbildern nach Terroristen gesucht, jetzt suche er Krebszellen, sagt er.
Zwischen der Armee und Start-ups sieht er weitere Ähnlichkeiten. Im IDF-Umfeld, in dem er engagiert war, musste er oft trotz einer bestehenden Unsicherheit entscheiden – wie heute bei seinem Start-up. Und er habe gelernt, mit zeitlichem Druck umzugehen.
Veidman erwähnt einen weiteren Vorteil der IDF-Erfahrung: Ingenieure kennen im späteren Berufsleben nicht nur die Bedürfnisse der Armee, sondern wissen auch bestens darüber Bescheid, was der Tech-Bereich zur Verteidigung beitragen kann.
Die Integration von Start-ups in die Armee sei auch für die Wirtschaft von Vorteil: Viele Gründer haben militärische Erfahrung. Eine von der israelischen Wirtschaftszeitung „Calcalist“ durchgeführte Analyse ergab zum Beispiel, dass zahlreiche Soldaten und Offiziere, die in der Cyber-Eliteeinheit 81 gedient hatten, ein Start-up gegründet haben.
Seit Israels Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1948 ist die Beschaffung von immer besseren Waffen ein wichtiger Faktor der militärischen Vorbereitung des Landes.
Mittlerweile hat Israel eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Die Armee ist zwar ihr wichtigster Kunde, aber weil die Nachfrage der IDF zu gering ist, sollen Ausfuhren helfen, die Produktionskosten zu senken.
In den Jahren 2017 bis 2021 wird Israel vom Stockholm International Peace Research Institute unter den zehn größten Rüstungsexporteuren aufgeführt, zusammen mit Italien, Großbritannien, Südkorea und Spanien.
Kämpfer der Hamas
Israel, die EU und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein.
Bild: IMAGO/NurPhoto
Zu den Stärken der Rüstungsindustrie zählt die erprobte Fähigkeit, auf neue Gefahren rasch zu reagieren und sich anzupassen. Als zum Beispiel die radikalislamische Hamas Angriffstunnel baute, um Israel unterirdisch anzugreifen, installierte die Armee ein neues System von leistungsfähigen Sensor- und Überwachungsgeräten, mit denen sie Tunnel erkennen konnte, um sie anschließend zu zerstören.
Oder als die Palästinenser vom Gazastreifen aus Raketen auf Israel abfeuerten, entwickelten die Rüstungsingenieure das Raketenabwehrsystem „Eiserne Kuppel“ (Iron Dome), um Israels Zivilisten zu schützen.
Die israelische Rüstungsindustrie erfährt zudem erhebliche Unterstützung durch die US-Regierung. Von der jährlichen Militärhilfe der USA in Höhe von 1,8 Milliarden Dollar gehen rund 475 Millionen Dollar an israelische Verteidigungsunternehmen. Für die israelische Militärführung sind diese Mittel auch in absehbarer Zukunft „unverzichtbar“.
Die IDF haben bei all dem einen Vorteil, den sich eigentlich niemand wünscht. Anders als in Europa, wo man bis zum Krieg in der Ukraine die Armee vor allem als „Kostenfaktor“ betrachtete, weil kein Feind auszumachen war, muss man niemandem erklären, dass Israel ohne Armee nicht lange überleben würde.
Verteidigung
Viele Soldaten gründen Start-ups nach ihrer Zeit beim Militär.
Die feindliche Nachbarschaft wirkt wie ein natürlicher Innovationstreiber für Israels Armee. Um die Panzer gegen bestimmte Raketen zu schützen, entstand zum Beispiel das „Trophy-System“, das das Fahrzeug mit einem 360-Grad-Schutzschild umgibt. Die von den USA gelieferten Kampfjets werden mit israelischer Technologie – beispielsweise Avionikausrüstung und Farbbildschirm-Prozessoren – nachgerüstet.
Weil sich die Herausforderungen laufend ändern, müsse sich das Militär nach jedem Krieg neu erfinden, zumal auch der Feind aus der Konfrontation mit Israel lerne und besser werde, sagt ein ranghoher Offizier, der bis vor Kurzem für die Forschungsstrategie zuständig war.
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