Überschattet von Russlands nuklearen Drohungen beginnt die wichtigste internationale Atomwaffen-Konferenz. Experten erahnen „magere Ergebnisse“.
Wladimir Putin
Der russische Präsident droht unter anderem auch mit Nuklearwaffen.
Bild: via REUTERS
Genf Es ist ein kleines Jubiläum, die Stimmung aber ist düster: Während in New York ab Montag die 10. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags beginnt, führt die Nuklearmacht Russland unbeirrt ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Vertrag bildet immerhin das Fundament der globalen nuklearen Ordnung und er soll helfen, einen Atomkrieg zu vermeiden.
Doch Russlands Feldzug, den Präsident Wladimir Putin mit nuklearen Drohungen absichert, rückt die Welt näher an diesen Abgrund. UN-Generalsekretär António Guterres warnt: „Die Aussicht auf einen Nuklearkonflikt, die einst undenkbar war, ist nun wieder in den Bereich des Möglichen gerückt.“
Zwar schätzen die meisten Militär- und Politikexperten die Wahrscheinlichkeit, dass Putin die zerstörerischen Kriegsgeräte tatsächlich einsetzt, als gering ein. So taxiert die frühere stellvertretende Nato-Generalsekretärin Rose Gottemoeller die Chancen auf einen Atomschlag des Kremls auf „über ein Prozent“. Aber kaum ein Fachmann oder eine Fachfrau schließt das Horrorszenario völlig aus, wie eine Auswertung im „Bulletin of the Atomic Scientists“ zeigt.
Schon Putins wüste konventionelle Aggression mitsamt den atomaren Provokationen sorgen bei Spezialisten für Entsetzen. Sigfried Hecker, früherer Direktor des Los Alamos National Laboratory, befürchtet sogar den Einsturz der gesamten nuklearen Ordnung und damit des Atomwaffensperrvertrages: „Ich sehe, dass diese Ordnung durch das, was Putin in der Ukraine getan hat, in jeder Hinsicht zerstört wird – von der nuklearen Abschreckung über die Nichtverbreitung bis hin zur Verhinderung von Nuklearterrorismus und der Zukunft der Kernkraft.“
Heckers Aussage mag zu pessimistisch sein. Fest steht aber: Putin fügt dem Atomwaffensperrvertrag, auch Nichtverbreitungsvertrag (NVV) genannt, schweren Schaden zu.
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Das sehen auch die politisch Verantwortlichen in den USA – die USA sind einer der großen Nutznießer des NVV. Die US-Regierung zielt laut Außenminister Antony Blinken bei der Überprüfungskonferenz deshalb darauf ab, „diesen wichtigen Vertrag zu erhalten und zu stärken“. Diplomaten befürchten jedoch, dass Russlands blutiger Neoimperialismus die vierwöchige Konferenz lähmen könnte: „Wenn überhaupt, wird es nur magere Ergebnisse geben“, prognostiziert ein Unterhändler.
Als erste Staaten unterzeichneten die USA, die Sowjetunion und Großbritannien den NVV 1968, zwei Jahre später trat er in Kraft. Der Pakt mit heute mehr als 190 Vertragsstaaten basiert auf einem einseitigen Tauschgeschäft: Er erlaubt nur fünf Staaten, nukleare Sprengköpfe zu besitzen. Es sind die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien.
Alle anderen Länder verzichten auf die Bombe. Sie dürfen aber die Atomkraft friedlich nutzen. Dafür verpflichten sich die offiziellen Atomwaffenmächte wiederum zur „allgemeinen und vollständigen Abrüstung“. Doch genau davon – von einer kompletten Abrüstung – wollen die fünf Nuklearmächte nichts wissen. Ihnen kommt zugute, dass in dem NVV kein Zeitrahmen für die Verschrottung vorgeschrieben ist.
Die beiden größten Atommächte, die USA und Russland, horten zusammen mehr als 90 Prozent der rund 12.700 Sprengköpfe, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri festhält. Die meisten davon können eine größere Zerstörung anrichten als die Bombe, welche die US-Streitkräfte 1945 auf die japanische Stadt Hiroshima warfen.
Russische Interkontinentalrakete
Nuklear bestückbare Interkontinentalraketen mit unbegrenzter Reichweite sind ein Beispiel aus einem ganzen Arsenal neuer atomarer Waffen Russlands.
Bild: dpa
Die Bewaffnung hat ihren Preis: Allein das US-Programm zur Modernisierung und Wartung der Kernwaffen wird nach Schätzungen des Congressional Budget Office in den nächsten drei Jahrzehnten 1,2 Billionen Dollar verschlingen. „Alle nuklear bewaffneten Staaten vergrößern oder modernisieren ihre Arsenale, und die meisten verschärfen ihre nukleare Rhetorik und die Rolle, die Atomwaffen in ihren militärischen Strategien spielen“, erläutert Wilfred Wan, Direktor des Sipri-Programms für Massenvernichtungswaffen. „Dies ist ein sehr beunruhigender Trend.“ Putins Krieg verschärft diesen Trend zur Aufrüstung – entgegen der Abrüstungsforderung des NVV.
Und solange Putin an den Schalthebeln sitzt, ist an neue Verhandlungen zwischen Washington und Moskau über Rüstungskontrollverträge nicht zu denken. Und auch Gespräche mit China scheinen derzeit unrealistisch: Der nationale Sicherheitsberater Großbritanniens, Stephen Lovegrove, warnt laut Daily Telegraph vor Chinas „Verachtung“ von Abkommen zur Beschränkung oder zum Abbau der Waffen.
Der Westen und China könnten sich sogar „verkalkulieren“ und in einen Atomkrieg stolpern. Und Sipri hält fest: „China ist dabei, sein Atomwaffenarsenal beträchtlich zu erweitern, was laut Satellitenbildern auch den Bau von über 300 neuen Raketensilos umfasst.“
Ebenso dürften die vier „nichtoffiziellen“ Atomwaffenmächte angesichts der waghalsigen russischen Nuklearmanöver ihre Bestände ausweiten – Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea erachten den Einsatz ihrer nuklearen Sprengköpfe ohnehin als eine strategische Option. „Indien arbeitet weiter an der Modernisierung seines Atomwaffenarsenals“, beobachtet der renommierte Rüstungsspezialist Hans Kristensen.
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Wobei die indischen Trägersysteme gleich auf zwei weitere Atomwaffenstaaten gerichtet sind: China und Pakistan. „Fast alle neuen indischen Agni-Raketen haben eine Reichweite, die vermuten lässt, dass China ihr Hauptziel ist“, hält Kristensen fest. Und zu Pakistan schreibt er: „Das Risiko einer Konflikt-Eskalation zwischen Indien und Pakistan ist weiterhin gefährlich hoch.“
Darüber hinaus verfolgen auch diejenigen Staaten die „militärische Spezialoperation“ des Kremls ganz genau, die selbst nukleare Ambitionen hegen: besonders der Iran. Kaum verwunderlich, dass die internationalen Verhandlungen zur Eindämmung des Teheraner Atomprogramms sich quälend hinziehen.
Putins Krieg, flankiert mit nuklearer Erpressung, macht somit auch die Hoffnung auf ein Ende der Atomwaffenverbreitung zunichte. Genau das aber sollte der Atomwaffensperrvertrag eigentlich auch erreichen.
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