Der Ukraine-Krieg gleicht einem Kampf David gegen Goliath. Kiews Truppen bestehen diesen erstaunlich gut. Das hat auch mit der Taktik zu tun.
Zerstörte Brücken
Der seit Wochen andauernde Beschuss auf die zentralen Nachschubwege in Cherson schwächt die Russen empfindlich – und zeigt exemplarisch, wie effektiv Kiews Kriegsführung ist.
Bild: dpa/Dmytro Smolienko
Berlin Die Ukrainer machen bei der Gegenoffensive im Süden des Landes weiter Fortschritte, indem sie die russischen Nachschubrouten massiv stören. Kiews Truppen hatten die Antoniwkabrücke in Cherson und den Damm bei Nowa Kachowka über den Fluss Dnjepr, der die Region durchzieht, teilweise unbefahrbar gemacht. Moskaus Armee behalf sich daraufhin mit Fähren und baute schwimmende Behelfsbrücken für Militärfahrzeuge über den Dnjepr und den Zufluss Inhulez. Doch mittlerweile sind, das meldet
das britische Verteidigungsministerium nun, auch alle Pontonbrücken dort zerstört.
Ob die Ukrainer dabei, wie zuletzt bei der Ortschaft Darjiwka, erneut die US-Mehrfachraketenwerfer Himars nutzten, ist nicht bekannt. Klar ist: Der seit Wochen andauernde Beschuss auf die zentralen Nachschubwege in Cherson schwächt die Russen empfindlich – und zeigt exemplarisch, wie effektiv Kiews Kriegsführung ist. Im dem David-gegen-Goliath-Krieg nutzt Kiew eine Art Steinschleuder-Strategie: Mit begrenzten Mitteln soll eine große Wirkung erzielt werden. Drei Elemente sind dabei zentral.
Die effizienten Treffer auf russische Nachschubrouten sind ein Mittel, das die Ukrainer seit Beginn des Krieges einsetzen. In den ersten Wochen konnten sie mit der teilweisen Zerstörung des Konvois von der russischen Militärbasis in Belgorod aus Richtung Kiew die geplante russische Einnahme der ukrainischen Hauptstadt verhindern.
Auch als der Kreml die Priorität auf den Donbass legte, fanden die Russen zunächst kein Gegenmittel. Ein 13 Kilometer langer Konvoi Richtung Isjum im Norden des Donbass stockte lange, weil die Ukrainer Brücken sprengten. Von Isjum verteilen die Russen bis heute ihren Nachschub an die Frontlinie.
Ab April bekamen die Russen die Anschläge in den Griff – auch weil den Ukrainern die Artillerie ausging. Seit die Kiews Truppen die US-Mehrfachraketenwerfer Himars einsetzen können, häufen sich die russischen Probleme allerdings wieder. Angriffe auf Dutzende Munitionsdepots in den vergangenen Wochen sorgen so nun dafür, dass auch die Russen nicht mehr aus dem Vollen schöpfen können. Auch eine Eisenbahnstrecke von der Krim nach Cherson zerstörten die Himars. In der Folge ging der russische Artilleriebeschuss auf ukrainische Stellungen deutlich zurück.
Anfang August hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine große Offensive im Süden der Ukraine angekündigt und Moskau so zu einer Reaktion gezwungen. Tausende Truppen und zahlreiches Gerät verlegten die russischen Kommandeure in die Region Cherson, um die Stellungen dort zu stärken. Abgezogen wurden die Truppenteile aus dem Osten, vor allem aus dem bis dahin heftig umkämpften Donbass.
Nun zeigt sich, welchen Plan Kiew wohl verfolgt. Durch die russische Truppenbewegung tun sich Lücken an der Front im Osten auf. Dort stoßen die ukrainischen Einheiten derzeit südlich von Charkiw und im Norden des Donbass bei Slowjansk und Isjum massiv vor, auch mit schweren gepanzerten Verbänden, schreibt das US-Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW).
In der Gegenoffensive in Cherson sind dagegen vor allem leichte Infanterieverbände unterwegs. Für den Militärexperten Gustav Gressel deutet das daraufhin, dass die eigentliche ukrainische Offensive dem Osten des Landes gilt. Das sagte er auf einem Panel der Gesellschaft für Sicherheitspolitik am Mittwoch.
Russland ist in den vergangenen Tagen wieder verstärkt dazu übergegangen, Infrastruktur und zivile Einrichtungen in der Ukraine mit Marschflugkörpern und Raketen anzugreifen. Auch hier ist das russische Militär dem ukrainischen eigentlich überlegen. Unter anderem wurde ein Wohngebäude in Bachmut im Südosten des Donbass angegriffen. Auch Charkiw gerät wieder vermehrt ins Zentrum der russischen Angriffe. Doch gelingt es den Ukrainern offenbar, einen großen Teil dieser Angriffe
abzuwehren.
Ukrainische Feuerleute löschen einen Brand in Bachmut
Unter anderem haben russische Truppen ein Wohngebäude in Bachmut im Südosten des Donbass angegriffen. Doch es gelingt den Ukrainern, einen großen Teil dieser Angriffe abzuwehren.
Bild: Reuters
Der Luftraum ist zwar noch längst nicht komplett geschlossen. Nico Lange, ehemaliger Chef des Leitungsstabes im Bundesverteidigungsministeriums, geht aber davon aus, dass dies der ukrainischen Luftverteidigung mit den gelieferten Systemen Nasams
(USA) und Iris-T (Deutschland) gelingen dürfte.
Für Russland wird es nach den Angriffen auf russische Luftstützpunkte auf der besetzten Krim auf der anderen Seite schwieriger, die Lufthoheit zu erreichen. Zahlreiche Jets hat Moskau als Vorsichtsmaßnahme von der Halbinsel auf russisches Territorium verlegt. Die Anflugwege zur Front sind so deutlich länger. Zuletzt flogen sogar ukrainische Kampfjets wieder Angriffe auf russische Stellungen an der Front. Ein Zeichen, dass die russische Luftabwehr nur noch eingeschränkt operiert.
Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist der Kampf mit Drohnen. Beide Seiten nutzen diese zur Aufklärung. Für Russland waren sie während des Kriegs allerdings ein militärisches Prunkstück, vor allem bei der Eroberung der Region Luhansk im Zusammenspiel mit der Artillerie. Wie das britische Verteidigungsministerium berichtet, hat Russland aber derzeit offenbar einen Mangel an solchen Drohnen.
Dem Bericht zufolge hat sich die Anzahl der Drohnen im Vergleich zum August, als durchschnittlich 50 pro Tag genutzt wurden, zuletzt halbiert. Die ukrainischen Streitkräfte hatten bereits Ende August mitgeteilt, bis zu drei russische Aufklärungsdrohnen des Typs Orlan-10 pro Tag abzuschießen.
Die Briten halten es außerdem für möglich, dass fehlende Bauteile in der Produktion, aufgrund der westlichen Sanktionen, auch eine Rolle spielen könnten. Das Verteidigungsministerium in London geht davon aus, dass die fehlenden Drohnen dem russischen Kommando taktische Möglichkeiten nimmt. Das könnte ebenfalls ein Grund für die ukrainischen Teilerfolge sein.
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