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20.05.2022

04:00

Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani

Katars Vizepremier: „Als kleines Land können wir uns Feindschaften zwischen großen Machtblöcken nicht leisten“

Von: Mathias Brüggmann

Der Staatsfonds aus Katar plant weitere Investitionen in deutsche Unternehmen. Ausbauen will er aber auch seine Engagements in Asien. Aus Russland will sich der Fonds nicht zurückziehen.

Katars Vizepremier ist auch der Chef des QIA Staatsfond. Reuters

Mohammed bin Abdulrahman Al Thani

Katars Vizepremier ist auch der Chef des QIA Staatsfond.

Berlin Angesichts seiner Machtfülle als Vizepremier, Außenminister und Chef des Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) ist Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani de facto der zweite Mann im Staat. Durch Milliardeninvestitionen vor allem in Europa und den USA, inzwischen aber auch immer mehr in Russland und China will Katar ökonomisch bedeutsamer werden, als es das als weltgrößter LNG-Exporteur ohnehin schon ist.

Von seinen Investitionen in Russland, etwa beim Ölkonzern Rosneft und bei der VTB Bank, will sich der Staatsfonds nicht trennen, sagt der stellvertretende Regierungschef im Interview. Er hoffe auf ein schnelles Ende des Ukrainekriegs. „Am Ende zeigt die Weltgeschichte, dass Krieg nie auf dem Schlachtfeld endet, sondern an Verhandlungstischen." Katar wolle es sich mit keinem Machtblock auf der Welt verderben.

Er kündigte neue Investitionen in deutschen Unternehmen an. Diese würden bald abgeschlossen, sagte der Vizepremier, ohne Details zu nennen. Besonders interessiert sei der Staatsfonds an den Branchen erneuerbare Energien, Technologie, Pharma, Finanzdienstleistungen und Immobilien.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Was kann Katar tun, um den rasanten Anstieg der Gaspreise in Europa einzudämmen?
Wir tun derzeit alles Mögliche, um unseren europäischen Partnern zu helfen. Wir lassen alle Mengen, die wir nach Europa liefern könnten, dort und leiten keine LNG-Tanker um, obwohl wir das laut unseren Verträgen tun könnten, wenn wir andernorts einen höheren Preis erzielen könnten. Zudem bauen wir unsere Gasförderung derzeit deutlich aus. Das schafft Kapazitäten für mehr Flüssiggas für Europa.

Wann kann Deutschland mehr LNG aus Katar bekommen – erst 2026, wenn Ihr Land die Flüssiggasproduktion von derzeit 77auf 126 Millionen Tonnen jährlich gesteigert haben will? Oder früher?
Die Erweiterung der Förderung in unserem Gasfeld North Dome wird erst 2026 abgeschlossen sein, vielleicht sogar schon 2025. Aber wir wollen unsere US-Flüssiggasanlage Golden Pass in Texas, an dem Qatar Energy 70 Prozent hält, bereits 2024 so weit haben, dass wir nach Deutschland liefern können.

Sie sind Chairman des Staatsfonds QIA. Wie zufrieden sind Sie bisher mit den katarischen Investitionen in Deutschland, etwa bei Solarworld, Curevac, Volkswagen, der Deutschen Bank?
Auch wenn einige dieser Firmen durch herausfordernde Zeiten gehen, haben wir große Zuversicht für die deutsche Wirtschaft. Deshalb wollen wir auch weiter in deutsche Unternehmen investieren. Wir haben da noch einiges vor. Katar ist schon jetzt der größte Investor aus dem Mittleren Osten in der deutschen Wirtschaft, und wir suchen nach weiteren guten Möglichkeiten, vor allem im deutschen Mittelstand. Wir haben da einiges in der Pipeline.

Was denn?
Das werden wir in Kürze mitteilen. Allerdings erst, wenn die Deals abgeschlossen sind.

Katar hat sich schnell versucht Vermittlerstaat im Krieg in der Ukraine zu werden. IMAGO/SNA

Katars Vizepremier und Russlands Außenminister

Katar hat sich schnell versucht Vermittlerstaat im Krieg in der Ukraine zu werden.

An welchen Branchen sind Sie denn besonders interessiert?
In erster Linie sehen wir da den Bereich erneuerbare Energien, Solar, Windkraft, Wasserstoffwirtschaft. Daneben fokussieren wir uns auf Technologieunternehmen, den Pharmasektor, Finanzdienstleistungen, Immobilien sowie insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, die ja das Rückgrat der deutschen Wirtschaft darstellen. Batterietechnik und Speichertechnologien im Bereich erneuerbarer Energien stehen daneben im Zentrum. Da gibt es große Möglichkeiten.

Sieht sich QIA nur als Finanzinvestor, oder geht es auch darum, Katar stärker in die globale industrielle Wertschöpfung einzuflechten?
Wir sind in einem aktiven Dialog mit Volkswagen, um die Zusammenarbeit zwischen VW und Katar noch zu intensivieren. Dabei geht es vor allem um den Bereich der Entwicklung des autonomen Fahrens.

Sie wollen also, dass die Praxistests für autonomes Fahren von VW-Fahrzeugen in katarischen Städten stattfinden?
Darauf hoffen wir, und darüber sprechen wir mit VW. QIA ist aber ein Langfristinvestor, der Einkommen für künftige Generationen schaffen soll durch unsere weltweiten Investments. Es geht um die Diversifizierung unserer Staatseinnahmen in der Zukunft. Mit unserem Staatsfonds sichern wir nachhaltig unseren Wohlstand als Staat. Deshalb streuen wir unsere Investitionen breit geografisch und nach Wirtschaftssektoren.

Bisher hat QIA vor allem in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA investiert. Lenken Sie jetzt mehr Geld nach Asien?
Wir haben großes Vertrauen in die europäische und die US-Wirtschaft, aber auch in asiatische Ökonomien. Und deshalb diversifizieren wir weiter, auch in Richtung Asien.

Haben Sie mit Blick auf China Angst vor einem Decoupling, einer großen Ost-West-Blockbildung?
Katar als asiatisches Land will eine ausgewogene Investmentstrategie und gutes Geschäft mit allen. Gerade in der aktuellen Weltlage brauchen wir eine große Kohärenz, viel mehr diplomatisches Engagement anstatt eines Decouplings.

Aber käme es doch zu einer weiteren Spaltung - welche Rolle hätte der Mittlere Osten, der traditionell militärisch Sicherheitsgarantien von den USA bekommt, aber inzwischen hauptsächlich Öl und Gas nach Asien verkauft?
Als Länder des Golf-Kooperationsrates (GCC) wollen wir unsere Beziehungen zu den USA und zu Europa erhalten, aber zugleich auch ein ausbalanciertes Verhältnis zu China, Russland und anderen haben. Wir wollen sehen, wie wir helfen können, alles zusammenzuhalten und nicht zu einem Faktor der Spaltung zu werden. Wir sind ein kleines Land und können uns Feindschaften zwischen großen Machtblöcken nicht leisten.

Katars Staatsfond ist bereits in Solarworld investiert und plant weitere Investments in erneuerbare Energien. dpa

Solarworld-vorsitzender Frank Asbeck

Katars Staatsfond ist bereits in Solarworld investiert und plant weitere Investments in erneuerbare Energien.

Katar ist ja bekannt als Vermittler. Haben Sie eine Idee, wie es in der Ukraine zu einem Friedensschluss mit Russland kommen kann?
Katar lehnt jeden Angriff auf die Souveränität eines Landes und Gewaltanwendung gegen einen anderen Staat ab. Es gibt ja seit einiger Zeit bereits Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine …

… aber die wurden gerade gestoppt.
Es wird aber Verhandlungen geben müssen, um diesen Krieg und dieses Leid zu beenden. Wir sprechen mit beiden Seiten. Denn am Ende zeigt die Weltgeschichte, dass Krieg nie auf dem Schlachtfeld endet, sondern an Verhandlungstischen. Und zwar je schneller, desto besser.

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Müsste Katar da nicht auch den russischen Markt verlassen, wie andere ausländische Konzerne es schon gemacht haben? QIA ist aber noch beim russischen Ölkonzern Rosneft, bei der VTB Bank, bei Einzelhandelsketten investiert. Diskutieren Sie einen Rückzug?
Wir suchen in jedem Fall nicht nach neuen Chancen und Engagements in Russland. QIA ist ein Langfristinvestor, und wir investieren auf kommerzieller, nicht politischer Grundlage.

Also kein Rückzug aus Russland?
Wir hoffen, dass sich die Lage so schnell wie möglich ändert.

Aber Rosneft und VTB stehen auf westlichen Sanktionslisten.
Wir stellen sicher, dass sich QIA an alle Sanktionen hält und keine bricht.

Rosneft ist eine der russischen Firmen, die auf westlichen Sanktionslisten stehen, in denen der QIA aber weiterhin investiert ist. Reuters

Ölkonzern Rosneft

Rosneft ist eine der russischen Firmen, die auf westlichen Sanktionslisten stehen, in denen der QIA aber weiterhin investiert ist.

Noch ein anderes Land ist mit harten Sanktionen belegt: der Iran. Wann erwarten Sie einen Durchbruch beim inzwischen wieder verhandelten Atomabkommen mit Ihrem Nachbarn?
Der Emir war vor Kurzem in Teheran und hat sowohl den Präsidenten als auch den geistlichen Führer des Irans getroffen. Davon wird er Bundeskanzler Scholz berichten, da Deutschland ja sehr intensiv für eine Lösung verhandelt. Beim ausführlichen Gespräch mit der iranischen Führung haben wir unsere Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, zu helfen und jede Art von Vereinbarung zu unterstützen,. Wir glauben, dass eine Rückkehr zum Atomabkommen (JCPOA) für alle Beteiligten und für die Region von Vorteil sein wird. Von iranischer Seite hören wir, dass die Dinge derzeit überprüft werden, und wir hoffen, dass dieser Besuch in Berlin dazu beitragen wird, das JCPOA wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Braucht der Westen Irans Öl, das mit einem Nukleardeal wieder auf die Weltmärkte käme, als Ersatz für russisches Öl?
Das ist sicher auch ein Faktor, warum das Atomabkommen schnell wieder in Kraft treten soll. Für uns aber geht es um etwas anderes: um mehr Stabilität am Golf. Deutschland und Katar ziehen in dieser Frage an einem Strang. Aber natürlich helfen alle zusätzlichen Ölmengen an den Märkten, den Ölpreis zu stabilisieren und die Inflation zu senken.

Gefährlicher noch als die Inflation ist die drohende Hungerkrise auf der Welt. Katar hat vor vielen Jahren schon ein eigenes Food-Security-Programm gestartet. Was kann getan werden, um große Teile der Welt vor einer Hungerkrise infolge des Krieges in der Ukraine zu schützen?
Das Wichtigste ist, den Krieg in der Ukraine schnell zu stoppen. Daneben muss mehr in Lebensmittelproduktion in anderen Teilen der Welt investiert werden. Katar hat für seine Nahrungsmittelsicherheit bereits in die Agrarindustrie in anderen Ländern investiert und wird dies jetzt ausweiten. Und wir müssen alles dafür tun, dass Russland die Blockade ukrainischer Häfen beendet, damit die Ukraine ihre eingelagerten Lebensmittel exportieren kann.

Sie beschreiben die deutsch-katarischen Beziehungen als sehr gut. Und wenn der Bundestag zum Boykott der Fußball-WM im November und Dezember in Ihrem Land aufrufen würde?
Ich hoffe, dass es dazu nicht kommt. Wir wollen die deutschen Fans zur WM in Katar begrüßen. Wir haben sehr viel dafür getan.

Die Arbeitsbedingungen, beim Bau von Stadien in Katar, wurden stark kritisiert. IMAGO/Pixsell

Arbeiter in Doha, Katar

Die Arbeitsbedingungen, beim Bau von Stadien in Katar, wurden stark kritisiert.

Was genau? Menschenrechtsorganisationen werfen Katar erhebliche Verletzung von Rechten der Gastarbeiter in Ihrem Land vor.
Wir haben tief greifende Reformen angepackt, das Arbeitsrecht grundlegend geändert, einen Mindestlohn eingeführt, das sogenannte Kafala-System abgeschafft, das Arbeiter an einen Arbeitgeber band und keinen Arbeitsplatzwechsel ermöglichte. Wir haben dafür gesorgt, dass die Arbeiter pünktlich bezahlt werden, bessere Wohnanlagen bekommen. Jetzt einen Boykott auszurufen wäre völlig kontraproduktiv. Statt von Weitem zu kritisieren, sollte man herkommen und sehen, was wir alles geändert haben in den letzten Jahren. Davon dürften viele beeindruckt sein.
Herr Vizepremier, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Mathias Brüggmann.

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