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17.07.2019

18:23

Serie „Global Risk“

Mexikanische Malaise – Worunter die Wirtschaft des Schwellenlands leidet

Von: Klaus Ehringfeld

Eine unberechenbare Regierung, ein überschuldeter Staatskonzern Pemex und vor allem der Handelskonflikt mit den USA hemmen die Wirtschaftsentwicklung.

Das Land tut sich schwer mit der Nutzung seiner Ressourcen. Bloomberg

Mexikanische Ölförderung

Das Land tut sich schwer mit der Nutzung seiner Ressourcen.

Mexiko-Stadt Das Timing war denkbar schlecht. Gerade als Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard Anfang Juni Hals-über-Kopf in die USA flog, um die von US-Präsident Donald Trump angedrohten Strafzölle weg zu verhandeln, bewerteten die Ratingagenturen Fitch und Moody’s die Kreditwürdigkeit Mexikos neu. Und beide Agenturen warnten vor einem nachlassenden Wachstum und einer geringeren Kreditwürdigkeit der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas.

Hauptkritikpunkt beider Finanzinstitutionen ist die hohe Schuldenlast des staatlichen Ölkonzerns Petróleos Mexicanos (Pemex) und vor allem: die unberechenbare Wirtschaftspolitik von Andrés Manuel López Obrador, dem seit vielen Jahren ersten linken Staatspräsidenten des Landes. Beides, so die Bonitätswächter, führe dazu, dass das Vertrauen der Investoren, das Mexiko in den vergangenen Jahren mühsam aufgebaut hatte, schwindet.

Risiko-Faktor Pemex

 Fitch stufte Mexiko von BBB+ auf BBB herunter und ließ dem Land gerade so noch das Investmentgrade. Alles darunter gilt als Ramsch. Moody’s beließ die Bewertung Mexikos bei A3, wechselte aber die Perspektive von stabil auf negativ. Fitch besorgt vor allem die hohe Schuldenlast von Pemex. „Pemex ist praktisch bankrott“, sagt auch Rodolfo Navarrete, Chefökonom des mexikanischen Börsenhauses Vector.

Das größte lateinamerikanische Unternehmen ist das am höchsten verschuldete der Welt. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf 107 Milliarden Dollar – eine Last, die zu einem Gutteil aus der Zeit der Vorgängerregierung stammt. Zudem geht die Ölförderung weiter zurück. Die Produktion sank in den vergangenen sieben Jahren von 3,3 Millionen Fass täglich auf rund 1,6 Millionen Fass gegenwärtig – das Niveau von 1979. „Pemex ist aktuell das größte wirtschafts- und finanzpolitische Risiko Mexikos“, befindet Navarrete.

Zwar gelang der Regierung jüngst eine Umschuldung der kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens. Aber das reicht den Finanzmärkten nicht: Pemex gefährde die Haushaltsstabilität, so Fitch. Zudem kritisieren die Analysten, dass López Obrador die Rolle des Staates bei Pemex wieder stärken will.

Die Lizenzvergabe an Private im Rahmen der Energiereform der Vorgängerregierung hat er bis auf weiteres gestoppt. Dem Präsidenten schwebt eine starke Rolle von Pemex vor, wie in den 1970-er Jahren. Er will staatliches Geld in den Bau von Raffinerien und die Erschließung neuer Vorkommen stecken. „Für die neue Regierung ist der Energiesektor strategisch und eine Frage der Staatshoheit“, sagt der unabhängige Ölexperte David Shields.

Schwaches Wirtschaftswachstum

All das wäre verkraftbar, würde die Wirtschaft des Landes ordentlich wachsen. Doch auch das steht infrage. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kürzte jüngst die Prognose für dieses Jahr von 2,0 auf 1,6 Prozent. Im Wahlkampf hatte López Obrador noch versprochen, Mexiko werde in den sechs Jahren seiner Amtszeit bis 2024 im Schnitt um vier Prozent jährlich wachsen. Ähnlich ehrgeizige Ziele hat bisher jeder seiner Vorgänger formuliert, doch in der vergangenen Dekade wuchs das mexikanische Bruttoinlandsprodukt im Schnitt nur um 1,6 Prozent.

 „Die unvorhersehbare Politik“ der Linksregierung, so Moody‘s, trägt nicht gerade dazu bei, das Wachstum zu fördern. Da ist zum Beispiel die Entscheidung von López Obrador, den Bau des neuen Flughafens für Mexiko-Stadt zu stoppen, den noch die Vorgängerregierung beschlossen und zu bauen begonnen hatte.

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Die Metropole braucht dringend einen neuen Airport, der Bau ist schon zu einem knappen Drittel fertig. Dennoch war es die erste Amtshandlung des Präsidenten, das Flughafenprojekt Anfang Dezember von heute auf morgen zu stoppen. AMLO, wie López Obrador in Mexiko genannt wird, witterte Günstlingswirtschaft bei der Vergabe der Aufträge. Und in seinem Kampf gegen die Korruption, der im Zentrum seiner Regierung stehen soll, wollte er gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein Exempel statuieren.

Die erratische Wirtschaftspolitik des Präsidenten ist in seiner eigenen Regierungsmannschaft in der Kritik. Vergangene Woche trat genau wegen solcher Entscheidungen unerwartet Finanzminister Carlos Urzúa zurück. In einer Art Brandbrief geißelte er, dass zwischen ihm und seinem Chef „viele Diskrepanzen“ bestünden. „Jede Wirtschaftspolitik muss frei von Extremismus sein. Aber ich habe kein Gehör gefunden.“ Urzúa war einer der engsten Vertrauten des Staatschefs.

US-Strafzölle könnten kommen

Das unumstritten größte Risiko für die Wirtschaft Mexikos aber ist ein Handelskrieg mit den USA. Strafzölle von bis zu 25 Prozent hatte US-Präsident Donald Trump angedroht. Zwar sind diese Zölle auf mexikanische Exporte in die USA erst einmal abgewendet. Aber das Risiko bleibt, sollte es der Regierung nicht gelingen, wie versprochen die Flüchtlingswellen in die USA nachhaltig zu verringern. Das Strafzoll-Szenario kommt dieser Tage wieder auf den Prüfstand. Sollten die Zölle kommen, fällt Mexiko in eine Rezession, fürchten die Analysten der BBVA Bank. Denn das Land ist vollkommen abhängig von den USA.

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Im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA, das Mexiko, Kanada und die USA 1994 geschlossen haben, hat sich das lateinamerikanische Land völlig auf den nördlichen Nachbarn ausgerichtet. Acht von zehn in Mexiko gefertigten Produkten gehen in die USA. Waren im Wert von 352,8 Milliarden Dollar verkaufte Mexiko 2018 in die USA. Ganze Industriezweige sind auf den Austausch mit dem größten Markt der Welt ausgerichtet. Auch knapp 2000 Firmen mit deutschem Kapital haben sich in Mexiko angesiedelt. Die große Mehrheit will so zollfrei oder zollgünstig in die USA exportieren. Gerade erst hat der Autobauer BMW sein erstes Werk in Mexiko eröffnet, um von dort die 3er-Reihe in die ganze Welt zu exportieren, aber vor allem in die USA.

Strengere Nafta-Regeln belasten

Allerdings ist die Nafta in ihrer alten Form ohnehin Geschichte – und das könnte die Ansiedlung ausländischer Unternehmen in Mexiko bremsen. Das Nafta-Abkommen wird perspektivisch auf Druck Donald Trumps durch das United-States-Mexico-Canada-Agreement (USMCA) ersetzt, das der mexikanische Senat am 19. Juni ratifiziert hat. In den USA und Kanada beraten die Parlamente das Vertragswerk noch.

Im Rahmen des neuen Abkommens werden vor allem für die Automobilindustrie die Ursprungsregeln verschärft: Künftig müssen 75 Prozent eines Autos im nordamerikanischen Raum hergestellt werden, damit es zollfrei gehandelt werden darf. Bisher waren es 62,5 Prozent. Zudem müssen 40 bis 45 Prozent des Fahrzeugwerts von Arbeitnehmern erstellt werden, die mindestens 16 Dollar die Stunde verdienen. Dieser Passus ist der großen Lohnschere geschuldet, die zwischen Mexiko auf der einen und den USA und Kanada auf der anderen Seite herrscht.

Mexikanische Stundenlöhne im verarbeitenden Gewerbe liegen je nach Bereich bei einem Viertel oder einem Sechstel der Löhne in den USA. Im Schnitt verdient ein mexikanischer Arbeiter pro Tag 14,63 Dollar (13,05 Euro). Die USA und die kanadischen Gewerkschaften halten das für Lohndumping. Aber viele internationale Unternehmen kommen gerade wegen der niedrigen Löhne nach Mexiko. Die Anforderungen des USMCA zwingen die Autobauer zu teils tiefen Veränderungen ihrer Lieferketten. Vor allem die neuen Lohn-Erfordernisse bedürfen weitreichender Umbauten des Produktionsprozesses.

Klumpenrisiko USA

Mexikos große Nähe zu den USA ist Segen und Fluch zugleich. Sie ist verführerisch. Aber sie verleitet Politik und Wirtschaft dazu, sich auf dem geografischen Alleinstellungsmerkmal auszuruhen. Und das macht abhängig. Knapp 80 Prozent der Waren aus Mexiko gehen in den Norden. Umgekehrt sind es nur 15 Prozent: „Wir können den USA mit nichts Vergleichbarem drohen, wie sie es mit den Zöllen mit uns können“, sagt entsprechend resigniert Andrés Rozental, ehemaliger Vize-Außenminister.

Mexiko müsste sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit der USA befreien. Möglich ist das. Schließlich hat Mexiko zwölf Freihandelsabkommen mit 46 Staaten geschlossen, die rund 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren. Von keinem Standort auf dem Globus kann man in so viele Länder zollfrei oder zollgünstig exportieren.

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Dieses Merkmal nutzen die globalen Automobilproduzenten. Sie beschränken sich nicht auf die Nafta-Länder, sondern liefern auch im Rahmen des EU-Freihandelsabkommens seit 2000 nach Europa. Nach Japan und Zentralamerika und in einige südamerikanische Länder verkauft Mexiko seine Autos ebenfalls bevorzugt und vergünstigt. 

Andere sind noch nicht so weit. Mexikanische Unternehmen scheuen den Schritt auf den globalen Markt, weil die USA so nah und die dortigen Standards so einheitlich sind. In Europas Staaten sind Geschmäcker, Sprachen und Normen oft unterschiedlich, in Asien noch einmal anders. Aber so lange es Mexiko nicht gelingt, die vielen Freihandelsabkommen mit Leben zu füllen, bleibt der Titel des „Freihandelsweltmeisters“ eine leere Hülle und die Abhängigkeit von den USA ein großer Risikofaktor.

Hohe Kriminalität verunsichert

Es ist beileibe nicht das einzige Risiko des Landes. Eine altbekannte Schwäche des Investitionsstandorts Mexiko ist die Kriminalität. Sie erreicht nach Angaben der Deutsch-Mexikanischen Handelskammer CAMEXA mittlerweile aber Dimensionen, die Unternehmen besorgten. Auf der Jahreshauptversammlung der CAMEXA Anfang Mai warnte Geschäftsführer Johannes Hauser: „Die Unsicherheit hat viele Facetten, aber vor allem die Überfälle auf Warentransporte verursachen erhebliche Schäden in den Lieferketten.“

Die Transportüberfälle ereignen sich besonders häufig auf der Strecke zwischen der Hafenstadt Veracruz im gleichnamigen Bundesstaat und Mexiko-Stadt sowie auf der Route Mexiko-Stadt – Querétaro, in der zentral gelegenen Bajío-Region. Dort sind besonders viele deutsche Unternehmen angesiedelt.

Das Besondere an der aktuellen Verbrechenswelle ist, dass sie in Landesteile vordringt, die zuvor als sicher galten. So registrieren Unternehmen besonders im Bajío einen Anstieg der Straftaten. Durch diese Entwicklung droht laut CAMEXA-Chef Hauser künftig eine Zurückhaltung deutscher Firmen bei Neu- und Anschlussinvestitionen.

Das Problem trifft nicht nur deutsche Firmen. Laut Daten des Nationalen Sicherheitssystems SNSP stiegen die Straftaten gegen Unternehmen von 2015 bis 2018 um 78 Prozent. Für 2018 registrierte eine Unternehmensumfrage des mexikanischen Statistikamts 3,7 Millionen Vergehen und Verbrechen, darunter vor allem Raub und Überfälle sowie Diebstahl durch Angestellte.

Nach Einschätzung des Arbeitgeberverbands Coparmex sind die Sicherheitslage und der schwebende Handelskonflikt mit den USA die Hauptgründe, dass internationale Unternehmen ihre Investitionen hinauszögern. Auch Vector-Chefanalyst Navarrete hält die kritische Sicherheitslage für einen großen Malus seines Landes. „Wir sind alle davon betroffen, Unternehmen wie Menschen“.

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