Zum ersten Mal erklärt sich der CEO von Tiktok, Shou Zi Chew, vor dem US-Kongress. Der weltweit boomenden App droht in den Vereinigten Staaten ein Verbot.
Shou Zi Chew
„Die Stimmen von über 150 Millionen Amerikanern würden zum Schweigen gebracht“, sagte der Tiktok-Chef vor dem Handelsausschuss des US-Repräsentantenhauses.
Bild: Reuters
Washington, San Francisco Eigentlich war der CEO von Tiktok, Shou Zi Chew, in die USA gereist, um Sorgen von US-Politikern zu verringern. Mit einer Aussage bestätigte er jedoch die größten Befürchtungen der Entscheider im US-Kongress.
Er räumte ein, dass Mitarbeitende des chinesischen Bytedance-Konzerns auf Nutzerdaten von US-Bürgern zugreifen können. Ein neues Programm unter dem Namen „Texas“ solle das künftig verhindern, versprach Shou Zi Chew.
Auf die Frage, ob derzeit sensible Nutzerdaten in den USA aus China abgerufen werden könnten, sagte der Tiktok-Chef: „Nachdem das Projekt Texas abgeschlossen ist, lautet die Antwort nein. Heute gibt es noch einige Daten, die wir löschen müssen.“
Mit seinem Auftritt im Handelsausschuss des Repräsentantenhauses will Chew den angeschlagenen Ruf seiner App retten – und das milliardenschwere Geschäft in den USA. Ein komplettes Verbot, wie es von der US-Regierung diskutiert wird, schade „amerikanischen Kleinunternehmen, der Wirtschaft des Landes, dem Wettbewerb“, beschwor er die Abgeordneten einer von zwei Kammern im US-Kongress.
„Die Stimmen von über 150 Millionen Amerikanern würden zum Schweigen gebracht“, warnte er mit Blick auf die Nutzerzahl in den USA. Die chinesische Mutterfirma sei „kein Agent Chinas oder eines anderen Landes“. Der CEO betonte: „Wir wollen transparent sein und kooperativ mit der US-Regierung zusammenarbeiten.“ Er wolle „alle Bedenken ausräumen“.
Doch Chew stand auf dem Capitol Hill einer selten geschlossenen Front gegenüber. Kaum ein Thema verbindet die sonst verfeindeten Demokraten und Republikaner so sehr wie ein mögliches Verbot von Tiktok. Die Meinung der US-Gesetzgeber werde sich mit der Anhörung „nicht ändern“, meint Jasmine Enberg, Analystin der Research-Agentur Insider Intelligence.
Tiktok hatte erklärt, sämtliche Nutzerdaten beim US-Cloudanbieter Oracle speichern zu wollen, dies sei ein zentrales Element des Projekts „Texas“. Einen ähnlichen Vorstoß startete der Konzern in Europa unter dem Namen „Project Clover“. In Europa sollen Daten in Dublin in Irland gespeichert werden.
Doch das dürfte Enberg zufolge nicht ausreichen, um Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit zu zerstreuen. „Solange die App Verbindungen zu China hat, ist das eine unmögliche Aufgabe.“
Tiktok gehört Bytedance, einem chinesischen Unternehmen mit Hauptsitz in Singapur. Kritiker vermuten, dass die chinesische Regierung auf Nutzerdaten wie den Browserverlauf und Standorte zugreifen kann. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück. In Washington gibt es seit Längerem überparteiliche Bedenken, dass die chinesische Regierung amerikanische Daten beschlagnahmen oder Fehlinformationen verbreiten könnte.
Das chinesische Außenministerium wies diesen Vorwurf zurück. China habe nie und werde auch nie Firmen um die Offenlegung von Daten bitten, die im Ausland gespeichert sind, sagte eine Sprecherin am Freitag. Dies werde sich auch in Zukunft nicht ändern.
Wir wollen transparent sein und kooperativ mit der US-Regierung zusammenarbeiten. Tiktok-Chef Shou Zi Chew
Grund für die Sorge sind chinesische Gesetze, nach denen chinesische Unternehmen Nutzerdaten mit der Regierung teilen müssen. „Absolut, ja“, hatte FBI-Direktor vor wenigen Wochen auf die Frage geantwortet, ob China die nationale Sicherheit der USA bedrohe. Sollte China beispielsweise in Taiwan einmarschieren, könnte es die weltweite Meinung darüber durch Algorithmen und Propaganda steuern, so Wray.
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Beweise dafür, dass China bereits aktiv eingreift oder im großen Stil Daten sammelt, hat die US-Regierung bislang nicht vorgelegt. Im Jahr 2020 hatte der damalige US-Präsident Donald Trump angekündigt, Tiktok verbieten zu wollen, doch dazu kam es nie. Die Biden-Regierung hat den Druck auf das Unternehmen aber spürbar erhöht.
Bis Ende März müssen alle US-Bundesbehörden die chinesische App von sämtlichen Geräten und Systemen entfernen, auf Anweisung des Weißen Hauses. Auch hat etwa die Hälfte der US-Bundesstaaten ein Tiktok-Verbot für Beamte erlassen. In Indien, Kanada und der Europäischen Union wurden ähnliche Beschränkungen erlassen.
Aus dem Kongress droht nun ein weitreichender Bann: Das Repräsentantenhaus treibt einen Gesetzentwurf namens Data („The Deterring America’s Technological Adversaries Act“) voran, der Biden die Befugnis für ein komplettes Verbot gäbe. Ein solches Gesetz müsste von beiden Kongresskammern beschlossen und von Biden konkret als Verbot bestätigt werden.
Bislang hat sich der Präsident nicht eindeutig dazu geäußert. „Ich bin mir nicht sicher“, sagte der Präsident kürzlich. „Ich weiß jedenfalls, dass ich Tiktok nicht auf meinem Handy habe.“
Tiktok-Anhörung im US-Kongress
Der aktuell wohl populärsten App der Welt droht ein Verbot in den USA.
Bild: Bloomberg
Parallel erwägt das sogenannte Committee on Foreign Investment in the U.S. – bekannt als CFIUS – ein US-Verbot der App. Es sei denn, die chinesischen Eigentümer veräußern ihre Anteile an eine amerikanische Firma. Seit mehr als zwei Jahren verhandeln CFIUS und Bytedance über Konditionen, inwiefern Tiktok weiter auf dem US-Markt aktiv sein kann.
Der Druck auf Tiktok ist Teil einer größeren Anti-China-Strategie der US-Regierung. Zuvor hatten die USA Hardware der chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei und ZTE in amerikanischen Netzen verboten und ihre Belieferung mit Komponenten untersagt. Doch ein Verbot einer Tiktok-App wäre Experten zufolge komplizierter, Bürgerrechtsgruppen könnten vor Gericht ziehen und mit der Verletzung der Meinungsfreiheit argumentierten.
Tiktoks Strategie ist es nun vor allem, seinen kulturellen Einfluss über Community Building hervorzuheben, seine enorme Reichweite – und die Rolle als riesiger Marktteilnehmer, den die US-Wirtschaft unmöglich ignorieren kann.
Den Analysten von eMarketer zufolge wird die App bis 2024 voraussichtlich mehr als elf Milliarden US-Dollar an Werbeeinnahmen in den USA generieren und damit Konkurrenten wie Snapchat, Pinterest und Twitter weit übertreffen. Das Unternehmen zählt nach eigenen Angaben mehr als 150 Millionen monatlich aktive Nutzer in den USA. Vor drei Jahren waren es noch 100 Millionen Nutzer.
In den vergangenen Wochen hat Tiktok seine Lobby-Bemühungen in Washington enorm hochgefahren. In der US-Hauptstadt hängen großflächige Werbeplakate für die App, CEO Chew gab zuletzt mehrere Interviews und rief die Nutzer auf, sich an die Politik zu wenden. „Fast die Hälfte der US-Bevölkerung kommt zu Tiktok, um sich zu vernetzen, zu kreieren, zu teilen, zu lernen oder einfach nur Spaß zu haben“, sagte Chew im Kongress.
Tiktok-Influencer vor dem US-Kapitol
„Ich fordere unsere Politiker auf: Nehmen Sie uns nicht die Gemeinschaft weg, die wir aufgebaut haben.“
Bild: AP
Kurz vor seiner Anhörung ließ Tiktok Dutzende Nutzer und Inhalte-Ersteller aus dem ganzen Land einfliegen, die zusammen 60 Millionen Follower haben. Auf den Stufen des Kapitols hielten sie eine Kundgebung ab, darunter viele Kleinunternehmer, die ihren Lebensunterhalt mit Tiktok bestreiten.
„Ich fordere unsere Politiker auf: Nehmen Sie uns nicht die Gemeinschaft weg, die wir aufgebaut haben“, rief Influencer Jason Linton. Er ist bekannt als @dadlifejason, der auf Tiktok über seine Erfahrungen in Pflegefamilien und über Adoptionen spricht.
Tatsächlich räumen einige Politiker in Gesprächen ein, dass sie die öffentlichen Folgen eines Tiktok-Verbots fürchten. Schließlich besteht das Publikum vor allem aus jüngeren Menschen, die für die Politik schwer zu erreichen sind. Laut den Marketing-Analysten von Wallaroo Media sind fast zwei Drittel der Tiktok-User in den USA unter 30.
Bidens Regierung arbeitete während der Coronapandemie eng mit Tiktok-Stars zusammen, um für Covid-Impfungen zu werben. Im vergangenen Jahr lud das Weiße Haus eine Handvoll Influencer ein, um über den Ukrainekrieg zu informieren.
Erstpublikation: 23.03.2023, 16:22 Uhr (zuletzt aktualisiert: 23.03.2023, 20:45 Uhr).
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