Trotz Coronavirus sollen die Sommerspiele in Tokio stattfinden. Doch die Stimmen für eine Verschiebung mehren sich. Was bedeutet eine Absage, und was sind die Alternativen?
Mann mit Mundschutz in Tokio
Die Stadt Tokio bereitet sich seit langem auf die Ausrichtung der Sommerspiele vor.
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Tokio, Zürich Das olympische Feuer geht an diesem Donnerstag auf die Reise. Um 11 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird das Feuer auf einer kleinen Feier in der griechischen Stadt Olympia entzündet. Von dort aus soll es über Athen bis zum 19. März zum Austragungsort nach Tokio gebracht werden. Dennoch stehen die olympischen Spiele auf der Kippe. Angesichts der weltweiten Verbreitung des Coronavirus mehren sich die Stimmen, die sich für eine Verschiebung aussprechen.
Noch hält das Internationale Olympische Komitee (IOC) an den Plänen fest, wonach die Spiele vom 24. Juli bis 9. August in Japan stattfinden sollen. Von einer Verschiebung oder gar einer völligen Absage will IOC-Präsident Thomas Bach nichts wissen: „Das IOC setzt sich weiterhin voll und ganz für den Erfolg der Olympischen Spiele ein“, hatte Bach erst kürzlich erklärt.
Doch angesichts der rasanten Verbreitung des Coronavirus wird in Japan längst über einen Plan B spekuliert. Bislang zählt Japan rund 1300 Corona-Erkrankte, trotz drastischer Schutzmaßnahmen kommen weiter neue Fälle dazu.
Nun sorgt eine Aussage von Haruyuki Takahashi für internationale Schlagzeilen. Takahashi ist Mitglied im japanischen Organisationskomitee der Spiele. Er erklärte dem „Wall Street Journal“, dass eine Verschiebung der Spiele um zwei Jahre realistischer sei als deren Absage: „Ich glaube nicht, dass die Spiele abgesagt werden könnten. Es müsste eine Verschiebung sein“.
Nur kurze Zeit später ruderte das japanische Organisationskomitee zurück: Takahashi habe nach eigenen Aussagen „unachtsam seine persönliche Meinung in Antwort auf eine hypothetische Frage“ abgegeben. Doch was würde eine Verschiebung oder gar eine Absage der Spiele bedeuten? Nicht nur für das IOC und das Gastland Japan steht viel Geld auf dem Spiel, sondern auch für internationale Sponsoren und Medienkonzerne. Denn Olympia ist ein wirtschaftliches Großereignis.
Alleine das IOC kalkuliert mit Einnahmen von rund sechs Milliarden US-Dollar, die sich etwa aus Ticketverkäufen, Sponsoring oder TV-Rechten zusammensetzen. Wenigstens ein Teil davon dürfte durch Versicherungen abgedeckt sein: Im Geschäftsbericht des IOC taucht eine entsprechende Prämienzahlung für rund 12 Millionen Dollar auf. Trotzdem wäre eine Absage der Spiele für das IOC ein herber Schlag.
Eine Absage käme aber auch das Gastgeberland Japan teuer zu stehen. Ministerpräsident Shinzo Abe hatte bei seiner Bewerbung zwar kompakte und preiswerte Spiele versprochen. Doch schon das derzeitige Budget mit seinen 1,35 Billionen Yen (11,4 Milliarden Euro) bricht mit dieser Idee. Das IOC und die Stadt Tokio sollen je 600 Milliarden Yen tragen, die Zentralregierung 150 Milliarden Yen.
Doch ein Bericht des Rechnungshofs aus dem vergangenen Jahr lässt eher auf eine Summe jenseits der 20 Milliarden Euro schließen. Demnach wird Japans Regierung für die olympischen und paralympischen Spiele und angeschlossene Projekte etwa 1,06 Billionen Yen (etwa neun Milliarden Euro) ausgeben. Die Summe umfasst 340 Projekte und ist etwa siebenmal so hoch wie ursprünglich geplant.
Alleine das neue, vom japanischen Stararchitekten Kengo Kuma gezeichnete Olympia-Stadion schlug mit 157 Milliarden Yen (1,3 Milliarden Euro) zu Buche. Und das soll schon eine Sparversion sein. Ein futuristischer Entwurf der irakisch-britischen Architektin Zara Hadid, der ursprünglich den Zuschlag erhalten hatte, war kurz vor Baubeginn gekippt worden, weil die Kosten explodierten.
Bei einer völligen Absage der Spiele wären die Milliardeninvestitionen in Japan zwar nicht vollständig verloren. Das Stadion kann etwa weiter genutzt werden. Und die Zukunft des Athletendorfs an der Nordspitze der Bucht von Tokio ist auch schon verplant. Es soll nach den Spielen in einen globalen Vorzeige-Stadtteil mit 4000 Eigentums- und 1600 Mietwohnungen umgebaut, innovativen großen Brennstoffzellenparks für die Strom- und Heißwasserversorgung. Aber der Druck auf das IOC ist hoch, Japan irgendwie entgegenzukommen.
Der Grund: Nicht nur die Lokal- und Zentralregierung haben sich ordentlich ins Zeug gelegt, der olympischen Bewegung einen standesgemäßen Empfang zu gewähren, auch die japanische Wirtschaft. Die zählt schon in den vergangenen Jahren zu den treuesten Finanziers der globalen Sportbürokratie.
IOC-Präsident Bach mit Japans Ministerpräsident Abe
Das IOC hält an planmäßiger Olympia-Austragung fest.
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Mit dem Autohersteller Toyota, dem Reifenproduzenten Bridgestone und dem Elektronikkonzern Panasonic stellt Japan drei der 15 globalen Sponsoren des IOC. Zusätzlich haben zig weitere lokale Unternehmen laut dem IOC weitere 3,3 Milliarden Dollar als Sponsorengelder zugesagt, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits zu Teilen ausgegeben sein werden. Auch haben viele Hotelketten neu gebaut oder alte Herbergen renoviert, in Erwartung ausverkaufter Stadien, Hallen und Häuser.
Im Gegenzug hat Japans Regierung mit direkten wirtschaftlichen und vor allem werberischen Ergebnissen der Veranstaltung gerechnet. Die Regierung will Japan der Welt als Hightech-Nation präsentieren, mit autonomen Taxis, Robotern Elektromobilen, Wasserstoffwirtschaft und künstlicher Intelligenz. Dazu addiert sich barer Nutzen. Das japanische Wertpapierhaus SMBC Nikko Securities schätzte jüngst, dass allein die Touristen bei normalen Spielen 670 Milliarden Yen (5,6 Milliarden Euro) ausgeben würden. Diese beiden Aspekte sprechen dagegen, die olympischen Spiele genauso wie ein Fußballspiel in Deutschland oder ein Sumo-Ringturnier in Japan vor leeren Rängen auszutragen.
Eine Absage der Spiele wäre für Japan aber noch teurer. SMBC Nikko schätzt, dass eine Absage der Spiele Japans Wirtschaft inklusive aller Nebeneffekte und Auswirkungen auf die Konsumentenseele 7,8 Billionen Yen (65 Milliarden Euro) kosten könnte, 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Und die Ökonomen der US-Bank Goldman Sachs sagen für diesen Fall voraus, dass Japan noch tiefer in eine Wirtschaftskrise rutscht. Schon wegen der Coronavirus-Epidemie rechnen die Volkswirte mit einem „Wachstum“ von minus 1,1 Prozent. Ohne die Spiele befürchten sie sogar auf minus 2,0 Prozent abzurutschen.
Die Absage der Spiele hätte aber nicht nur Folgen für Japan. Zu den Sponsoren zählen die US-Konzerne Coca Cola und Intel, die chinesische Alibaba-Gruppe oder die Uhrenfirma Omega. Insgesamt rechnet das Organisationskomitee mit Einnahmen von sechs Milliarden US-Dollar.
Ein Teil der Erlöse soll von TV-Firmen wie NBC oder Discovery kommen, denen bei einer Absage Werbeeinnahmen in Milliardenhöhe entgehen dürften. So hat NBC Werbespots im Wert von umgerechnet 1,1 Milliarden Euro verkauft. Bei einem Ausfall wäre die Summe wohl versichert. Auch der Discovery-Konzern hat sich gegen Verluste abgesichert. In Deutschland liegen die Rechte bei ARD und ZDF.
In der Schweiz, dem Sitz des IOCs, gelten die olympischen Spiele dank der Lizenzeinnahmen als signifikanter Wirtschaftsfaktor: Als 2016 die olympischen Spiele und die Fußball-EM stattfanden, fiel das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent höher aus. Manche Ökonomen sehen darin aber eine Verzerrung und rechnen die Sport-Großereignisse heraus.
Fest steht: Eine Absage der Spiele würde Japan und das IOC eine Milliardensumme kosten. Und so denkt nicht nur das japanische Komiteemitglied Takahashi über Alternativen nach. Olympia-Ministerin Seiko Hashimoto hielt eine Verschiebung innerhalb dieses Jahres für möglich - zumindest theoretisch. Sie verwies auf den Vertrag zur Ausrichtung der Spiele. Darin sei festgelegt, dass das IOC die Spiele nur dann absagen dürfe, wenn sie nicht innerhalb des Jahres 2020 abgehalten werden.
Denkbar ist aber auch eine längerfristige Verschiebung der Spiele. Auch dann würden den Organisatoren Einnahmen entgehen, die aber zumindest teilweise wieder kompensiert werden könnten. Eine Absage oder ein Verzicht auf Zuschauer sei dagegen zu teuer, so der Japaner. Laut Takahashi wäre eine zweijährige Verschiebung wohl einfacher zu organisieren. Denn große Sportevents für das kommende Jahr stehen bereits fest. Bei einer Verschiebung um zwei Jahre fänden Sommer- und Winterspiele im selben Jahr statt – das war bis in die 1990er-Jahre der Fall, bevor die beiden Feiern getrennt wurden.
Eine solche Verschiebung wäre aber auch für die Teilnehmer eine große Herausforderung, die sich für die Spiele vorbereitet haben und sich womöglich erneut qualifizieren müssten. Bislang will das IOC von einer Verschiebung oder einer Absage aber nichts wissen. Eine gemeinsame Taskforce von Vertretern des IOC, der Olympia-Organisatoren, der japanischen Regierung und der Weltgesundheitsorganisation WHO beschäftige sich seit Mitte Februar mit dem Thema. Bislang hat die WHO keine Absage der Spiele empfohlen. "Das IOC wird dem Rat der WHO weiter folgen", teilte das Komitee mit.
Erst kürzlich hatte IOC-Präsident Bach die Athleten dazu aufgerufen, trotz der derzeitigen Lage weiter für die Spiele zu trainieren. „Leider ist das Coronavirus ein großes Problem für uns alle“, schrieb Bach. Man werde aber alles daran setzen, dass die Spiele planmäßig beginnen können.
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