Der EU-Gipfel hat die geplanten Sanktionen wegen Putins Angriffskrieg beschlossen. Dass Europa nicht härter auf Russland reagiert, liegt vor allem an Deutschland.
Brüssel
Olaf Scholz und Ursula von der Leyen auf dem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zur Lage in der Ukraine.
Bild: dpa
Brüssel Die größte Stärke des Westens, so heißt es seit Wochen, ist seine Geschlossenheit. Nach dem Ende des EU-Gipfels in der Nacht zum Freitag zeigen sich die Bündnispartner jedoch weiterhin uneinheitlich über den Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem Swift – eine Sanktion, die Deutschland nicht mittragen will.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz habe dazu „klar Stellung bezogen“, sagte der österreichische Kanzler Karl Nehammer am Rande des Gipfels in Brüssel. Scholz selbst sagte, nach Swift gefragt, man müsse sich weitere Sanktionen vorbehalten „für eine Situation, wo es notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun“.
Damit wies er die deutlichen Forderungen nach dieser Option zurück. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte zuvor erklärt, wer gegen einen Ausschluss Russlands sei, werde „das Blut unschuldiger ukrainischer Männer, Frauen und Kinder an seinen Händen kleben haben“.
Zuvor hatten die USA mit Rücksicht auf die EU darauf verzichtet, Russland aus dem Zahlungssystem Swift zu drängen. „Europa will das derzeit nicht“, erklärte US-Präsident Joe Biden.
In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Außenminister der drei baltischen EU-Staaten Estland, Lettland und Litauen ebenfalls den Rauswurf Russlands. Ebenso warb der britische Regierungschef Boris Johnson bei einer Schalte der G7 für den Schritt.
Swift verbindet Banken untereinander und gilt als die wichtigste Institution im weltweiten Zahlungsverkehr. Die Firma hat ihren Sitz in Brüssel. Belgien oder die EU könnten sie darum anweisen, Partner in Russland von seinen Diensten auszunehmen.
>> Lesen Sie hier: Die aktuellen Entwicklungen im Liveblog
Warum das nun nicht passiert, dazu gibt es widersprüchliche Erklärungen.
Auf der einen Seite fürchten Beteiligte offenbar harte Konsequenzen: Denn selbst der Handel innerhalb Russlands würde auf diese Weise gestört. Damit könnte die Versorgung der Bevölkerung gefährdet sein, die man explizit nicht treffen will. Auch europäische Staaten seien dann stark betroffen. Außerdem stünden dem Westen nach diesem harten Schritt keine weiteren Möglichkeiten der Verschärfung mehr zur Verfügung.
Bundeskanzler Olaf Scholz
Deutschland hat sich gegen eine Kappung des Swift-Systems für Russland ausgesprochen.
Bild: via REUTERS
Auf der anderen Seite wird die Bedeutung von Swift aber heruntergespielt: Die beschlossenen Finanz-Sanktionen gingen in ihrer Schärfe sogar über einen Swift-Ausschluss hinaus, sagte Biden. Und Nehammer verwies auf russische und chinesische Zahlungssysteme, auf die russische Banken leicht ausweichen könnten.
>> Lesen Sie hier: Mit diesen Sanktionen reagiert die Welt auf Russlands Aggression
Dass Swift-Sanktionen nicht vorbereitet werden, hatte sich schon vor Wochen abgezeichnet. Dass sie in einem dritten Sanktionspaket enthalten sein werden, ist aber nicht ausgeschlossen. Das ließe sich vorbereiten, sagte ein EU-Diplomat, wenn es denn von den Staats- und Regierungschefs gewünscht werde.
CDU-Chef Friedrich Merz sagte dazu am Freitagmorgen im Deutschlandfunk: „Wenn die EU-Kommission einen solchen Vorschlag machen sollte, sollte Deutschland ihn nicht verhindern.“
Einstweilen einigte sich der Gipfel auf das Paket, das seit Wochen vorbereitet wurde:
Dass diese Sanktionen ohne große Kontroverse verabschiedet wurden, kann als Zeichen für eine besonders gute Vorbereitung gewertet werden – oder für eine unzureichende. Denn angesichts der massiven Invasion, die offensichtlich das Ziel hat, die gesamte Ukraine zu besetzen, wären auch schärfere Sanktionen denkbar gewesen. Viele unterschätzten die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios aber offensichtlich und bereiteten sich lediglich darauf vor, dass Russland in die abtrünnigen Gebiete im Osten der Ukraine einmarschiert.
Denkbar wären neben einem Swift-Ausschluss oder weiteren Exportverboten auch ein Importverbot für Rohstoffe. Dies würde Russland direkt und hart treffen. Denn der Export von Öl und Gas sorgt für die größten Einnahmeposten im russischen Haushalt. Auch mit anderen Rohstoffen verdient Moskau gut. Ein großer Teil davon geht nach Europa.
Die EU hat sich darauf vorbereitet, auch ohne russisches Gas durch den Rest dieses Winters zu kommen. Derzeit legen im Schnitt täglich vier mit Flüssiggas beladene Tanker an europäischen LNG-Terminals an und gleichen die geringen Lieferungen aus Russland aus. In Deutschland sorgt eine Ölreserve dafür, dass die Bevölkerung 90 Tage lang auch ohne Importe versorgt werden kann.
Aber die Kosten für eine Versorgung über andere Lieferanten sind für Europa enorm. Wirtschaftsminister Robert Habeck listete am Donnerstag auf, wie abhängig die deutsche Energiewirtschaft von russischen Lieferungen ist: 35 Prozent der Ölimporte kommen aus Russland, 55 Prozent der Gasimporte und 50 Prozent der Kohleimporte. Dafür andere Quellen zu finden, wäre extrem teuer.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (9)