Jair Bolsonaro wurde mithilfe der sozialen Medien Präsident. Am kommenden Wochenende kämpft er um die Wiederwahl. Doch dieses Mal könnte seine Diffamierungskampagne scheitern.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
Ein Kommunikationsstil, wie geschaffen für Plattformen wie Tiktok, Kwai oder auch Instagram.
Bild: Reuters
Salvador Dass der einstige Hinterbänkler Jair Bolsonaro 2018 Präsident von Brasilien wurde, hat er seinem Sohn zu verdanken. Der heute 39-jährige Carlos Bolsonaro war es, der in sozialen Netzwerken unter Rechten und Konservativen erfolgreich Unterstützung für seinen Vater mobilisierte.
Am 2. Oktober nun steht die nächste Präsidentschaftswahl an, und Carlos Bolsonaro muss wieder ran. In den Umfragen erreicht sein Vater vor dem ersten Wahlgang nur unter 40 Prozent – und liegt damit klar hinter dem zweifachen Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, der es auf fast 50 Prozent bringt. Eine absolute Mehrheit im ersten Durchgang ist nicht ausgeschlossen. Die Stichwahl wäre am 30. Oktober.
Wahlstrategen weltweit beobachten deshalb zurzeit genau, wie der Konkurrenzkampf auf den letzten Metern weitergeht. Wegen der hohen Internetaffinität der Brasilianer zeigen sich hier nämlich Tendenzen, die in anderen Ländern erst im Entstehen sind. Nicht nur die Bolsonaros, auch die Gegenkandidaten haben ihre digitalen Strategien weiterentwickelt. Und im Mittelpunkt steht – der Umgang mit Fake News im Internet.
Vor vier Jahren gewann Bolsonaro, weil er die zahlreichen landesweit entstandenen neuen rechten Gruppierungen in den sozialen Netzwerken als seine „digitalen Soldaten“ mobilisierte. Vor allem WhatsApp war dabei zentral, das auf fast jedem brasilianischen Smartphone installiert ist.
Carlos und seine Helfer versorgten die Netzwerke aber nicht mit Informationen über die Pläne seines Vaters, sondern gezielt mit überwiegend diffamierenden oder manipulierten Kurznachrichten, also Fake News. Bekannt wurde etwa eine Babyflasche in Form eines Penis, die der politische Gegner bei einem Wahlsieg angeblich in Kindergärten verteilt hätte.
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Wie später herauskam, sponserten Unternehmer illegale Kampagnen, um WhatsApp-Nutzergruppen mit Fake News über linke Kandidaten zu fluten. Die hatten die Offensive kaum mitbekommen. Als die Arbeiterpartei mit ihrem Kandidaten das Problem erkannte, war es zu spät.
Es sei jedoch ein Fehler der Linken, Bolsonaros Wahlsieg mit dem illegalen Einsatz von Robotern zu erklären, schreibt die Journalistin Consuelo Dieguez in ihrem gerade erschienenen Buch über die neue Rechte in Brasilien. Die Bolsonaros können seit Beginn auf Hunderttausende von digitalen Aktivisten zählen, welche die „Nachrichten“ aus dem Hauptquartier der Kampagne bereitwillig verbreiten.
So ist es auch jetzt wieder: Zahlreiche neue Plattformen tarnen sich als journalistische Medien und erreichen Zugriffe im zweistelligen Millionenbereich pro Monat. Sie reproduzieren von Fake News bis zu geschönten Statistiken alles, was der Bolsonaro-Kampagne hilft. Auffällig ist, wie auch auf etablierten Plattformen wie LinkedIn seit drei Monaten derartige Halbwahrheiten verbreitet werden.
Das rechte „Ökosystem“ im Netz sei kaum zu überschauen, sagt Mari Santini, Professorin am Forschungszentrum NetLab von der Föderalen Universität von Rio de Janeiro. Die großen Plattformen seien nur die Spitze eines Eisberges, meint sie.
Das Gleiche gilt für den Einsatz von Bots, um die digitalen Netzwerke zielgenau zu befeuern – je nach Geschlecht, Alter und politischer Präferenz. Denise Dora von der Nicht-Regierungs-Organisation Artigo 19 sagt, dass die Untersuchungen über die Finanzierung der Desinformationsquellen auch nach einem Untersuchungsausschuss im Kongress zu Fake News kaum vorangekommen seien. Es gebe weiterhin keine Mechanismen, um zu verhindern, dass Desinformationen in großem Umfang in Umlauf gebracht werden.
Luiz Inácio Lula da Silva
Der Herausforderer von Bolsonaro liegt in den Umfragen deutlich vorn.
Bild: IMAGO/Fotoarena
Bolsonaros Kommunikationsstil ist wie geschaffen für Plattformen wie Tiktok, Kwai oder auch Instagram: Ihm gelingt es immer wieder, sich mit verwackelten Videos und Ansprachen von sich in der Waschküche, im Hinterhof, mit Motorradfahrern als absolut authentisch zu geben. Dazu kommt seine aggressive, schlagfertige und freche Art gut an bei seinen Fans.
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Vergleicht man die Zahl der Follower, dann führt Bolsonaro weiterhin deutlich vor Lula: Er hat nach den Angaben des Zentrums für Kommunikation, Medien und Information der Universität Fundação Getúlio Vargas (FGV) rund 53 Millionen Anhänger auf den sozialen Plattformen. Lula hat dagegen nur rund 17 Millionen Follower und erst seit Mitte Juni hat er überhaupt einen Tiktok-Account. Linke Inhalte werden nur etwa halb so oft weitergeleitet wie die der Rechten, haben die Forscher von NetLab ermittelt.
Derzeit allerdings dreht sich die Stimmung – jedenfalls vorsichtig. Lulas Anhänger werden aktiver. Auf Youtube und Tiktok etwa sind seine Follower stärker engagiert als die von Bolsonaro. Zudem buchen Kandidaten auf Google wie auch Youtube bezahlten Werbeplatz, um mit ihren Interpretationen von Ereignissen das Narrativ zu ändern.
Als Lula sich in einer Kandidaten-Debatte ausweichend über die Korruption in seiner Regierungszeit äußerte, schaltete seine Kampagne Anzeigen bei Google, sodass bei jeder Suche nach den Stichworten „Lula“, „Dieb“ oder „Korruption“ die Parteiinformationen an der Spitze der Suchergebnisse auftauchten. Als Bolsonaro in derselben Debatte eine Journalistin und eine Kandidatin frauenfeindlich beschimpfte, klärte seine Kampagne bei den Stichworten „Bolsonaro“ und „Macho“ die Sucher auf, welche frauenfreundlichen Gesetze er als Präsident verabschiedet habe.
Der Kommunikationsexperte Marco Ruediger von der FGV glaubt bereits, dass die Wahlen in Brasilien diesmal vor allem mit Kurzvideos entschieden werden. Zwar arbeiten die sozialen Plattformen und Kommunikationskanäle diesmal enger mit der Wahljustiz zusammen als 2018. Verlangt das Oberste Wahlgericht, dass Fake News entfernt werden, dann geschieht das meistens schnell. Doch von sich aus werden die Anbieter wenig aktiv bei der Bekämpfung von Fake News.
Es ist unklar, ob die Plattformen überhaupt ausreichend Portugiesisch sprechende Mitarbeiter haben, um die Lage im Blick zu behalten. Fragen danach beantworten die Konzerne nur ausweichend.
Die Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen hatte erklärt, dass die sozialen Plattformen sich vor allem auf englische Contents konzentrieren würden. „Sie kümmern sich nur in Ländern um die Moderation von Inhalten, in denen sie Gefahr laufen, reguliert zu werden, wie etwa in den Vereinigten Staaten.“
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