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12.05.2022

18:14

Technologie

Wie Japan seine Verwaltung digitalisiert – Vorbild für Deutschland?

Von: Nicole Bastian, Martin Kölling, Melanie Raidl

PremiumWas digitale Strukturen betrifft, war Japan lange Zeit ein Nachzügler. Die zuständige Ministerin Makishima will das Land nun in die Zukunft katapultieren.

Japan will sich im Eiltempo digitalisieren – nicht nur in den großen Ballungsräumen, sondern auch in entlegenen ländlichen Gebieten. dpa

Tokio

Japan will sich im Eiltempo digitalisieren – nicht nur in den großen Ballungsräumen, sondern auch in entlegenen ländlichen Gebieten.

Düsseldorf, Tokio Die Einsicht kam während der Coronapandemie: Die japanischen Gesundheitsämter im ganzen Land mussten Testergebnisse per Fax an die Zentrale in Tokio übermitteln, wo sie per Hand in Datenbanken eingepflegt wurden. „Da haben wir gesehen, wie weit wir in der Digitalisierung zurückliegen“, sagt die japanische Digitalministerin Karen Makishima.

Im September vergangenen Jahres ging deshalb die japanische Digitalagentur an den Start. „Jetzt gibt es einen klaren Anführer, wir sitzen im Kontrollturm“, sagt Makishima dem Handelsblatt.

Die 44-Jährige verantwortet nach viel Vorarbeit ihres Vorgängers Taro Kono seit Oktober als Digitalministerin Japans Digitalagentur, ebenso wie die Reform der öffentlichen Verwaltung insgesamt.

In Berlin blicken Bundespolitik und Behörden gleichermaßen mit wachsendem Interesse auf das japanische Projekt, denn auch in Deutschland hat die Verwaltung immense digitale Defizite.

Taugt der japanische Ansatz als Blaupause für Deutschland? Nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst gab es ebenfalls Überlegungen, ein Digitalministerium zu etablieren, doch die Ampel-Koalition schreckte vor dem komplexen Manöver zurück.

In Japan geht man die Sache nun an, und das sehr viel offensiver als in Deutschland: 700 Beschäftigte, davon mehr als ein Drittel aus der Privatwirtschaft, sollen in der Digitalagentur nun Japans Aufholjagd bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen. Zu einem Kernprojekt gehört eine Regierungs-Cloud, die bis 2025 fertig sein soll.

Alle interessierten der landesweit 1741 Kommunen können sich dieser dann anschließen, sodass sie keine eigene digitale Verwaltungsplattform aufbauen müssen.

Die öffentliche Verwaltung, die vor dem Start der Digitalagentur meist analog ablief, soll so weit wie möglich digitalisiert werden. Menschen, die nicht technikaffin sind oder kein Smartphone besitzen, sollen sich aber künftig weiter in den Ämtern helfen lassen können, wo dann aber im Backoffice alles digital ablaufen werde.

Das ist für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ein weiter Weg: Zwar liegt Japan bei der Durchdringung des Landes mit mobilem Breitbandinternet weltweit in der Spitzengruppe. Laut dem OECD Digital Economy Outlook nutzten aber vor der Pandemie nur 5,4 Prozent der Bürger digitale Amtsdienste. Das war der mit Abstand schlechteste Wert in der OECD, einer Organisation der alten Industrienationen.

Ähnlich wie in Deutschland erschwerten die jeweils separaten digitalen Infrastrukturen der Kommunen das Umschalten auf Onlineverwaltung. Und Telearbeit scheiterte in vielen Firmen daran, dass Angestellte auf Dokumente im Umlauf oder Rechnungen ihren Hanko, ihren Namensstempel, drücken mussten.

Auch das japanische Gesundheitssystem hat digitalen Nachholbedarf. Dort wird jetzt massiv investiert. dpa

Digitales EKG-System

Auch das japanische Gesundheitssystem hat digitalen Nachholbedarf. Dort wird jetzt massiv investiert.

Der frühere Premierminister Yoshihide Suga machte zu seinem Amtsantritt im September 2020 die Digitalisierung der Verwaltung zu einem Pfeiler seiner Reformpolitik – und die Gründung einer zentralen Digitalagentur zu seinem Werkzeug, die Reformen durchzusetzen.

Remote-Arbeit mit Drohnen und Sensoren ermöglichen

Die Ziele von Ministerin Makishima sind ambitioniert: 5000 Paragrafen durchforstet die Agentur zum Beispiel gerade darauf, wie digitale Technologien generell besser eingesetzt werden können. Künftig soll etwa die Inspektion von Tunneln und Brücken durch Drohnen, die mit Kameras und Sensoren bestückt sind, digital möglich sein.

Der nächste Schritt wäre dann das Monitoring mittels Künstlicher Intelligenz, sagt die Ministerin. Die Bretter sind dick: Drei Jahre hat sich die Agentur für die Überarbeitung der Paragrafen Zeit gegeben.

Ein weiteres Projekt der Agentur ist das Konzept der „digitalen Gartenstadt“, das der im vergangenen Jahr angetretene Premierminister Fumio Kishida angestoßen hat. Damit soll die Digitalisierung das Leben fern der großen Städte verbessern, etwa über Online-Bildungsangebote und virtuelle medizinische Versorgung.

„Wir wollen nicht lauter kleine Tokios“, sagt Makishima. Es gehe aber darum, mit einem gleichen Netz an öffentlichem WLAN und 5G-Verbindungen die Lebensqualität auf dem Land zu heben und so ein Abwandern in die großen Städte zu verhindern.

Beim G7-Gipfel der Digitalminister war sie gerade in Düsseldorf. dpa

Japanische Digitalministerin Karen Makishima

Beim G7-Gipfel der Digitalminister war sie gerade in Düsseldorf.

Das kann in Japan, einem Land mit einem hohen Anteil alter Menschen, auch die tägliche Versorgung betreffen. Ministerin Makishima berichtet von einem Pilotprojekt, bei dem älteren Bewohnern in einer schwer erreichbaren Bergregion per Drohne Nahrungsmittel und Zeitungen geliefert worden seien.

Solche Projekte würden immer zusammen mit privaten Unternehmen realisiert, sagt die Ministerin. Bisher haben sich 700 Kommunen für staatliche Förderungen über das Projekt registriert.

Für jeden Ort werde dann entschieden, welche Technologie gebraucht werde und wie sie implementiert werden soll. Makishima rechnet mit insgesamt 1000 teilnehmenden Kommunen.

Personalausweis, Patientenakte und Führerschein auf einer Karte

Als bisherige greifbare Ergebnisse der Digitalagentur verweist die Ministerin im Handelsblatt-Interview auf die App zum Nachweis der Coronaimpfung, die die Agentur in einem Ausschreibungsprozess über ein Start-up programmieren ließ.

Als weiteren Erfolg präsentiert sie die Karte „MyNumberCard“: Ausweis und Gesundheitskarte in einem. Auch als Bürozugangskarte, Studenten-ID oder Büchereiausweis kann sie genutzt werden.

In zwei Jahren soll sie auch Führerscheinkarte sein. Bis März 2023 soll jeder Japaner eine solche Karte bekommen haben. Im kommenden Frühjahr soll sie dann auch auf dem Handy verwendbar sein.

Auf dem Digitalisierungsweg sieht Makishima Japan auf einer Skala bis 100 bei derzeit 65 Punkten. „Wir haben so vieles vorbereitet. Jetzt geht es in die Realisierung.“ Schub geben soll die internationale Zusammenarbeit, etwa mit Großbritannien und der EU, mit der Japan am Donnerstag eine digitale Partnerschaft beschlossen hat.

Künftig sollen auf Ebene der G7-Staaten verstärkt Informationen über die Lieferkette von Elektronikteilen ausgetauscht werden sowie über die Technologien nach 5G. Auch der freie und sichere Datenfluss soll befördert werden. Über einen besseren internationalen Austausch soll die Gefahr von Cyberattacken verringert werden.

Vor allem angesichts des Informationskriegs im Zuge des Ukrainekriegs müsse man gezielt Informationen zu schädlicher Software austauschen, sagt Makishima. Japan hat die Auswirkungen der Bedrohungen im Cyberspace jüngst deutlich zu spüren bekommen: Wegen eines umfangreichen Hackerangriffs auf einen Zulieferer mussten im März 14 von 16 Produktionsstätten des Autobauers Toyota in Japan ihre Produktion stoppen.

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