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02.08.2022

15:07

Terrorismus

Aiman al-Sawahiri: Der Fundamentalist, der für den Islam mordete

Von: Pierre Heumann

Osama bin Laden schätzte seinen Intellekt, nun starb der Terrorist nach einem US-Angriff. Für den radikalen Islam ist das ein Rückschlag – aber noch lange nicht sein Ende.

Die beiden trafen sich erstmals in Pakistan. dpa

Osama bin Laden (links) mit Aiman al-Sawahiri

Die beiden trafen sich erstmals in Pakistan.

Im Kampf gegen den Terror ist sein Tod für die USA ein großer Erfolg: Der Anführer des Terrornetzwerks al-Qaida, Aiman al-Sawahiri, wurde bei einem US-amerikanischen Drohnenangriff getötet. „Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan“, sagte Präsident Joe Biden am Montag, als er die Nachricht auf dem Balkon des Weißen Hauses verkündete.

Der 71-jährige al-Sawahiri war einer der meistgesuchten Männer der Welt. Zusammen mit Osama bin Laden war er maßgeblich an der Planung und der Durchführung der Anschläge vom 11. September 2001 in New York, Pennsylvania und Washington, D.C. beteiligt. Nach der Tötung bin Ladens, dessen Stellvertreter er gewesen war, übernahm al-Sawahiri bei al-Qaida die Führungsrolle.

Der ägyptische Arzt war in den 1980er-Jahren wegen seines Engagements für den militanten Islam inhaftiert worden. Nach seiner Freilassung verließ er Ägypten und engagierte sich in gewalttätigen internationalen Dschihadisten-Bewegungen.

Al-Sawahiri traf bin Laden erstmals 1986 im pakistanischen Peschawar. Der saudische Millionärssohn bin Laden war begeistert von al-Sawahiris Besessenheit mit dem Islam und von seinem Intellekt. Al-Sawahiri habe das Denken von bin Laden revolutioniert, sagt ein ehemaliger Weggefährte des Ägypters. Bin Laden machte sich al-Sawahiris Ziel zu eigen, dem Islam weltweit zum Sieg zu verhelfen.

Die beiden Terroristen hatten viel gemeinsam. Beide waren gebildet, stammten aus aristokratischen Familien und waren sehr religiös. Sowohl bin Laden als auch al-Sawahiri waren Anhänger des Salafismus.

Al-Sawahiri stammte aus einer vornehmen, religiösen ägyptischen Familie. Der ägyptische Journalist Samir Raafat sagte vor einigen Jahren in einem Interview, der spätere Terroristenanführer sei ein ruhiger, sanfter, introvertierter und kontaktscheuer Junge gewesen.

Leben im säkulären Vorort

Raafat ist zusammen mit dem gleichaltrigen al-Sawahiri in dem noblen Kairoer Vorort Maadi aufgewachsen, in den 60er-Jahren eine westlich geprägte und säkulare Luxus-Exklave.

Die Jugend traf sich im Sportklub, der einzigen Freizeitmöglichkeit Maadis. Doch al-Sawahiri habe sich dort nicht wohlgefühlt. „Ayman kam zwar in den Klub, aber wir waren ihm zu kosmopolitisch“, erinnert sich Raafat. „Er grüßte grundsätzlich keine Frauen und blickte verlegen weg, wenn eine zu viel Bein zeigte.“ Nie habe er ein Bier mit den anderen getrunken oder sich an Tische gesetzt, an denen auch Mädchen saßen. „Ayman war wohl verklemmt“, sagte Raafat.

Der Teenager war früh politisiert worden, auch wegen der Widersprüche zwischen den beiden Welten – hier der mondäne Sportklub, dort das traditionelle Elternhaus. Verstärkt wurde seine Politisierung, als er sah, wie brutal der in den 50er- und 60er- Jahren regierende Präsident Gamal Nasser mit den Muslimbrüdern umging, der radikalen Gruppe, die seit den 1920er-Jahren gegen die säkulare ägyptische Regierung kämpfte.

Der Kampf der Muslimbrüder gegen den damaligen ägyptischen Präsidenten war al-Sawahiri nicht radikal genug. AP

Gamal Nasser

Der Kampf der Muslimbrüder gegen den damaligen ägyptischen Präsidenten war al-Sawahiri nicht radikal genug.

Die muslimische Jugend müsse sich zusammenschließen, um das Regime zu stürzen, war der junge al-Sawahiri überzeugt. Deshalb trat er im Alter von 15 Jahren einer geheimen Fundamentalistengruppe bei, der „Vereinigung der Gefolgsleute von Mohammeds Weg“. Diese ultrakonservative Salafisten-Gruppe prägte al-Sawahiris Denken. Er akzeptierte als Rechtsgrundlage ausschließlich den Koran – und er wollte seine Lehre und seine Prinzipien mit Gewalt durchsetzen.

Al-Sawahiri wollte das Regime absetzen

Bald hielt er die Muslimbrüder für zu zahm. Er warf ihnen vor, die Verfolgung durch Nasser einfach hinzunehmen, statt sich zur Wehr zu setzen. „Predigen ist nicht genug“, schrieb er als Teenager sinngemäß, „man muss kämpfen.“

Al-Sawahiri handelte. Er schloss sich dem Dschihadismus an, einer Bewegung, die den Sturz säkularer Regime anstrebt und das islamische Recht, die Scharia, mit Gewalt zum allgemein gültigen Gesetz erheben will. Als 17-Jähriger gründet er eine geheime Dschihad-Zelle. Erstmals lernte er den Umgang mit Waffen, wie man Bomben herstellt und Gewehre benutzt.

Sein Ziel: in Ägypten eine islamische Regierung gründen. Mit dem freien Alkoholausschank, der Existenz von Nachtklubs und Casinos wäre es dann vorbei, jubelt er innerlich.

Trotz seines paramilitärischen Engagements fand al-Sawahiri Zeit fürs Abitur und schrieb sich an der medizinischen Fakultät der Universität Kairo ein. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Chirurg.

Am Ende aber verkalkulierte sich al-Sawahiri, sagt ein ehemaliger Zellennachbar in einem Interview: „Er hat die massive Reaktion Amerikas nicht erwartet.“ In dem Gespräch zeigte er sich dennoch siegessicher. Der Kampf gegen die Islamisten lasse sich nicht gewinnen: „Sie werden al-Sawahiris Ziele verfolgen. Ob tot oder versteckt in einer Höhle – al-Sawahiri bleibt für sie ein Vorbild.“

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