Nach den schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Situation trotz anlaufender Hilfe dramatisch. Der türkische Präsident Erdogan räumt Fehler ein.
Rettungskräfte durchsuchen ein eingestürztes Gebäude in Syrien
Die staatliche Nachrichtenagentur in Syrien meldet knapp 300.000 Betroffene.
Bild: AP
Istanbul Mehr als 11.000 Menschen haben bei der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und Syrien ihr Leben verloren. Während die Schreckensmeldungen neuer Opferzahlen nicht abreißen, eilen immer mehr Helfer in die Unglückregion. Sie suchen weiter nach Menschen unter den Trümmern. Ein Kampf gegen die Zeit – und gegen eisige Temperaturen.
Vor Ort erschwert auch die politische Lage die Hilfe – so etwa am einzigen offenen Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien. Wegen Straßenschäden verzögere sich dort die Lieferung humanitärer Hilfe, sagten UN-Quellen der Deutschen Presse-Agentur. Bab al-Hawa ist der letzte von einst vier Grenzübergängen, über den Hilfen auch in die Teile Syriens gelangen können, die nicht von der Regierung kontrolliert werden.
Hilfsgüter, die über die Hauptstadt Damaskus ins Land kommen, werden von der Regierung von Präsident Baschar al-Assad verteilt. Es gab mehrfach Berichte darüber, dass die Regierung sich daran selbst bereichert, etwa durch den Verkauf ans eigene Volk – oder dass bei der Verteilung Gebiete übergangen werden, die die Regierung als verfeindet betrachtet.
In der Türkei rückt aus dem Ausland immer mehr Unterstützung an. So trafen etwa 50 Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) am Mittwoch in Gaziantep im Südosten des Landes.
Die deutsche Luftwaffe bereitet nach Angaben aus Bundeswehrkreisen die Lieferung von Hilfsgütern in die Erdbeben-Region vor. Am Donnerstag sollen demnach drei Transportmaschinen des Typs A400M vom Stützpunkt Wunstorf in Niedersachsen aus mit Hilfsmaterial in Richtung Türkei starten. Die Hilfsgüter kämen vom Technischen Hilfswerk THW und würden per Konvoi aus Süddeutschland nach Wunstorf gebracht.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, Deutschland liefere Hilfsgüter in die Türkei und stehe in engem Kontakt mit den Vereinten Nationen, um humanitäre Hilfe auch in das syrische Erdbebengebiet zu bringen. „Denn auch dort ist die Not riesengroß.“ Der SPD-Politiker betonte: „Jetzt zeigt sich wieder einmal, wie lebenswichtig dieser grenzüberschreitende Zugang ist, für den wir uns seit Jahren einsetzen.
Der türkische Botschafter in Deutschland, Ahmet Basar Sen, hat um weitere Hilfe aus Deutschland gebeten. „Das reicht leider noch nicht aus“, sagte er am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Um Menschen aus den Trümmern zu befreien, seien mehr Rettungskräfte nötig. Er bat darum, weitere Teams aus Deutschland in die Türkei zu schicken.
Zerstörte Straßen und niedrige Temperaturen erschwerten die Rettungsarbeiten im Krisengebiet. „Das ist eine Jahrhundertkatastrophe, vielleicht eine Jahrtausendkatastrophe“, betonte der Botschafter.
Das UN-Nothilfebüro OCHA kündigte einen Notfallfonds in Höhe von 25 Millionen Dollar (23 Millionen Euro) für die Erdbebenopfer in der Region an. „Die humanitäre Gemeinschaft wird sie bei jedem Schritt auf dem Weg aus dieser Krise unterstützen“, sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Opfern des verheerenden Erdbebens finanzielle Hilfe zugesagt. Betroffene Familien erhielten jeweils 10.000 Türkische Lira (rund 500 Euro) Soforthilfe, versprach Erdogan am Mittwoch in Kahramanmaras.
Trotz der weitreichenden politischen Isolation der syrischen Regierung erhält auch das Bürgerkriegsland internationale Hilfe. Der Oman eröffnete eine Luftbrücke, um Hilfsgüter zu schicken, wie die staatliche Nachrichtenagentur ONA am Mittwoch meldete. Anders als in die Türkei will der Golfstaat aber keine Rettungsteams ins Land schicken. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) hatten Syrien und der Türkei Hilfe im Wert von 50 Millionen US-Dollar (46,5 Millionen Euro) zugesagt. Die VAE wollen in Syrien zudem ein Feldlazarett einrichten und ein Rettungsteam entsenden, wie das syrische Außenministerium berichtete.
In der Türkei wird die Katastrophe zunehmend auch zum innenpolitischen Thema: Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, warf Präsident Erdogan indes Versagen beim Krisen-Management vor. Der Präsident habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten.
Erdogan hat Probleme bei den Hilfsmaßnahmen eingeräumt. Es habe einige Schwierigkeiten bei der ersten Krisenreaktion gegeben, sagt Erdogan bei einem Besuch im Katastrophengebiet in der Provinz Kahramanmaras im Süden des Landes. Es habe Probleme mit den Straßen und Flughäfen gegeben, dies alles werde aber von Tag zu Tag besser. Nun seien die Abläufe wieder normal, sagt Erdogan angesichts von Klagen aus der Bevölkerung über mangelnde Hilfsressourcen und eine zu langsame Reaktion der Behörden.
Die Türkei ist wegen ihrer geografischen Lage besonders erdbebengefährdet. Vielerorts wird jedoch auch die dürftige Bausubstanz als ein Grund für die vielen eingestürzten Häuser diskutiert. Betroffene klagen zudem über fehlende oder nur schleppende Hilfe bei der Bergung Verschütteter.
Nach Angaben von Vizepräsident Oktay sind rund 16.150 Rettungs- und Suchteams im Einsatz – sie seien in alle betroffenen Provinzen und Bezirke entsandt worden. Insgesamt seien rund 60.000 Helfer vor Ort. Der Regierungspolitiker sagte, dass in der Nacht zu Mittwoch internationale und lokale Teams vor allem in die Provinzen Adiyaman, Hatay und Kahramanmaras gebracht würden.
Mit einer Stärke von 7,7 bis 7,8 hatte das Beben am frühen Montagmorgen das Gebiet an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Am Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,5 in derselben Region. Tausende Gebäude stürzten ein.
Mehr als 49.000 Menschen in der Türkei seien verletzt, 6000 Gebäude zerstört, sagte Erdogan beim Besuch der Krisenregion. Aus Syrien wurden zuletzt 2662 Tote gemeldet.
Die Bergungsarbeiten sind ein Rennen gegen die Zeit: Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt normalerweise bei 72 Stunden. Temperaturen um den Gefrierpunkt machten den Überlebenden zusätzlich zu schaffen, viele haben kein Dach mehr über dem Kopf.
Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete in dem Land ist die von Rebellen kontrollierte Region Idlib.
In Syrien war nach Protesten gegen die Regierung 2011 ein Bürgerkrieg ausgebrochen, in dem viele ausländische Staaten eingriffen und in dem über ein Jahrzehnt mehr als 350.000 Menschen getötet wurden. Die Assad-Regierung beherrscht inzwischen wieder rund zwei Drittel des zersplitterten Landes. Die Erdbebenkatastrophe traf im Norden Gebiete unter verschiedener Kontrolle, was Helfern die Arbeit zusätzlich erschwert.
Experten gehen davon aus, dass es in nächster Zeit noch ähnlich große Beben in nahen Regionen geben könnte. Ursache dafür seien Spannungsumlagerungen, sagte Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. Weitere Beben könnten folgen, insbesondere in Richtung Nordosten weiter ins Landesinnere.
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