Die Chance, Überlebende in den Erdbebengebieten zu finden, wird immer kleiner. Die Zahl der Toten und Verletzten steigt rasant. In Syrien kommt Hilfe nur schleppend an.
Damaskus, Istanbul Drei Tage nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Todesopfer auf mehr als 17.000 gestiegen. Es gebe inzwischen 14.014 Tote allein in der Türkei, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag in der vom Beben getroffenen Provinz Gaziantep. Mehr als 63.000 Menschen seien verletzt worden. Aus Syrien waren zuletzt mindestens 3200 Tote gemeldet.
Noch immer werden zudem viele Menschen in beiden Ländern unter Trümmern vermisst. Anadolu zufolge sind allein in der Türkei mehr als 6000 Gebäude eingestürzt. Mehr als 13 Millionen Menschen seien von den massiven Erdstößen betroffen.
Dem Sender TRT World zufolge konnten in der Türkei bislang etwa 8000 Menschen aus den Trümmern gerettet werden. Eine Reporterin des Fernsehkanals berichtete über den verzweifelten Kampf gegen die Zeit: „Die Retter weigern sich, aufzugeben.“ Aber die Momente der Freude über eine weitere Rettung würden immer seltener.
Trotzdem gibt es noch immer Erfolgsmeldungen: So wurde ein 24-jähriger Mann rund 64 Stunden nach dem Beben in der türkischen Provinz Kahramanmaras gerettet. In der Provinz Hatay konnte nach Angaben vom Mittwochabend eine 75-Jährige 60 Stunden nach der Naturkatastrophe aus den Trümmern befreit werden. In der Südprovinz Adiyaman wurde ein sieben Monate altes Baby lebend gefunden.
Das Beben mit einer Stärke von 7,7 hatte am frühen Montagmorgen das Grenzgebiet erschüttert. Am Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,6 in derselben Region.
Die Rettungsteams arbeiten derweil unermüdlich, um noch Überlebende zu finden. Die kritische Überlebensgrenze liegt normalerweise bei etwa 72 Stunden. Bilder aus den Katastrophengebieten zeigten auch in der Nacht zum Donnerstag Bagger, die Schutt abtrugen. Angehörige Verschütteter warteten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf erlösende Nachrichten. Indes ist weitere Hilfe aus dem Ausland auf dem Weg in die Unglücksregionen – auch aus Deutschland.
Kaputte Straße in Golbasi, Türkei
In der Türkei sind nach dem schweren Erdbeben mehr als 100.000 Helfer im Einsatz.
Bild: dpa
Die Bundeswehr will am Donnerstag rund 50 Tonnen Hilfsgüter in die Region fliegen. Ein Sprecher der Luftwaffe sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch, die Ware werde mit drei Maschinen des Typs Airbus A400M vom Militärflughafen im niedersächsischen Wunstorf ausgeflogen. Zuvor waren schon Teams verschiedener Hilfsorganisationen in die Türkei geflogen.
Vor allem im Norden Syriens ist das Ausmaß der Katastrophe nur schwer zu fassen. Hilfe kommt nur langsam voran – nicht zuletzt wegen der politischen Lage in dem Bürgerkriegsland. Die Nothilfe war UN-Angaben zufolge auch wegen einer zerstörten Straße zum Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Syrien erschwert gewesen, die inzwischen laut Weltgesundheitsorganisation repariert werden konnte. Am Donnerstag kamen sechs Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen in Syrien an.
Die Bundesregierung arbeitet daran, die Versorgung der Menschen im schwer erreichbaren Nordsyrien zu verbessern. Das Problem sei, dass das „Regime“ in der Vergangenheit keine humanitären Hilfen ins Land gelassen habe, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstag im Radiosender WDR 5. „Und wir versuchen in den letzten Tagen bei dieser Katastrophe alles, damit weitere Grenzübergänge geöffnet werden.“ Einer sei offen, es brauche aber weiteren Zugang.
Auf die Frage, ob die Bundesregierung mit Damaskus in Kontakt stehe, sagte Baerbock: „Wir sind mit allen Akteuren in Verbindung, mit denen wir jetzt erreichen können, dass die Hilfe ankommen kann.“ Die Regierung arbeite mit diesem „Regime“ nicht zusammen, betonte sie, „deswegen müssen wir andere Wege gehen, die wir in der Vergangenheit über die Vereinten Nationen auch gegangen sind und nutzen jetzt jede Möglichkeit, damit die Hilfe vor Ort ankommen kann“.
Auch das UN-Welternährungsprogramm (WFP) hat umgehend Hilfe auf den Weg gebracht. „Eine Region, die seit Jahren von immer neuen Krisen geplagt wird, steht vor einer weiteren Krise mit unvorstellbaren Verlusten und Zerstörungen“, sagte Corinne Fleischer, WFP-Regionaldirektorin für den Nahen Osten, Nordafrika und Osteuropa.
„Wir sehen viele Menschen, die auf der Straße eine Unterkunft eingerichtet haben“, sagte der Leiter der Nothilfeabteilung der Malteser International, Oliver Hochedez, am Mittwochabend im ZDF. Es würden viele Verwundete behandelt. „In den letzten zwei, drei Tagen sind es über 100 Operationen, die wir auch durchgeführt haben mit den syrischen Ärzten vor Ort.“ Es sei zudem bitterkalt. „Es fehlt an internationaler Unterstützung in dem Gebiet“, sagte der Geschäftsführer der Organisation Ärzte ohne Grenzen, Christian Katzer, in der ARD-Sendung „Brennpunkt“.
In der Türkei sind die Such- und Rettungsarbeiten dagegen deutlich schneller angelaufen. Nach Angaben des türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay sind rund 104.000 Helfer im Einsatz.
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Präsident Recep Tayyip Erdogan wies am Mittwoch Kritik auch aus den Reihen der Opposition zurück, seine Regierung haben das Land nicht für ein erwartbares Erdbeben dieser Größenordnung gewappnet und nach der Katastrophe nicht schnell genug Hilfsmaßnahmen in Gang gesetzt. Es sei nicht möglich, auf ein solches Desaster vorbereitet zu sein, sagte er bei einem Besuch in Kahramanmaras. „Wir haben alle unsere Ressourcen mobilisiert. (...) Unsere Bürger sollten sich keine Sorgen machen.“
Die Ratingagentur Fitch veranschlagt derweil in einer ersten Schätzung die durch das Beben verursachten wirtschaftlichen Schäden auf über zwei Milliarden Dollar. Eine Schätzung sei schwierig, weil sich die Situation noch ständig ändere, erklärt Fitch. Es könnten auch bis zu vier Milliarden Dollar oder mehr werden.
Gebäude und andere Werte dürften in den betroffenen Regionen nur im geringen Maße versichert sein, es seien vielleicht Schäden im Volumen von einer Milliarde Dollar abgedeckt. Den überwiegende Teil davon dürften Rückversicherer zu tragen haben.
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