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24.02.2022

06:26

Ukraine-Konflikt

Russland beginnt Krieg in der Ukraine – die Entwicklungen der Nacht

Von: Moritz Koch, Sarah Sendner

Putin hat einen Militäreinsatz offiziell angeordnet. Anrufe des ukrainischen Präsidenten Selenski blieben unbeantwortet. Die Ereignisse der Nacht zeigen, wie sich die Invasion ankündigte.

Brüssel, New York Kremlchef Wladimir Putin hat einen Angriff auf die Ukraine befohlen. „Ich habe beschlossen, eine Sonder-Militäroperation durchzuführen“, sagte Putin am Donnerstagmorgen in einer Fernsehansprache. „Ihr Ziel ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und Genozid ausgesetzt sind.“

Am frühen Morgen häuften sich um die Hauptstadt Kiew entsprechende Berichte. So spricht ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters von mehreren, entfernten Explosionen. Auch Reporter des US-Nachrichtensender CNN berichteten von Explosionen in Kiew und in der zweitgrößten Stadt Charkiw. Später bestätigten sich Angriffe auf ukrainische Großstädte und militärische Infrastruktur.

Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtet von russischen Raketenangriffen auf militärische Ziele in der ganzen Ukraine. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba spricht von einem „großangelegten Krieg gegen die Ukraine“.

US-Präsident Joe Biden verurteilte das Vorgehen Putins in einem Statement mit scharfen Worten: Putin habe vorsätzlich einen Krieg begonnen, der den katastrophalen Verlust von Menschenleben und Leid mit sich bringen werde.

Russland sei alleine verantwortlich für die Zerstörung, die diese Attacke mit sich bringen könnte. Die Vereinigten Staaten und ihre Bündnispartner werden „gemeinsam und bestimmt antworten. Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen“.

Auch aus Deutschland kamen am Morgen Äußerungen in ähnlich scharfem Ton. Bei der kurzfristig anberaumten Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York sagte die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse: „Die russische Aggression wird politisch, wirtschaftlich und moralisch einen beispiellosen Preis haben“.

USA warnten am Abend vor Angriff in der Nacht

Die Lage hatte sich in der Nacht zum Donnerstag stetig zugespitzt. Die USA warnten am Abend vor einem russischen Angriff innerhalb der kommenden 48 Stunden. Beschrieben wurde eine Großoffensive, eingeleitet durch Bombardements aus der Luft, begleitet von Artilleriebeschuss und Raketenfeuer. US-Außenminister Antony Blinken sprach in einem Fernsehinterview sogar davon, dass er mit einer Invasion noch in der Nacht rechne.

Am frühen Morgen häuften sich Augenzeugenberichte um die Hauptstadt Kiew. Reuters

Blick auf Kiew in der Nacht

Am frühen Morgen häuften sich Augenzeugenberichte um die Hauptstadt Kiew.

Diese Prognosen scheinen sich nun zu bestätigen. Am frühen Morgen (MEZ) befanden sich 80 Prozent der russischen Truppen entlang der Grenze in Kampfstellung. Die Flugsicherheitsorganisation warnte Fluggesellschaften davor, den ukrainischen Luftraum zu überfliegen. So könne es zu einem unbeabsichtigten Abschuss kommen, oder Cyberattacken könnten die Flugsicherung behindern.

Auch diese Warnung bestätigte sich offenbar. Dem US-Fernsehsender CNN zufolge sind zahlreiche ukrainische Websites in den frühen Morgenstunden nicht abrufbar gewesen. Die Websites des ukrainisches Ministerkabinetts und der Ministerien für Äußeres, Infrastruktur und Bildung seien davon betroffen gewesen.

Den Ereignissen des Morgens vorangegangen war die Nachricht, dass die Separatistengebiete Donezk und Luhansk Putin gebeten hätten, „die Aggression der ukrainischen Streitkräfte zurückzuschlagen, um Opfer unter der Zivilbevölkerung und eine humanitäre Katastrophe im Donbass zu vermeiden“, wie der Kreml am Mittwochabend mitteilte. 

Putin sprach zuletzt wiederholt davon, dass er einen Genozid an der russischen Minderheit stoppen müsste. Für einen „Genozid“ gibt es jedoch keinerlei Beweise – er soll offensichtlich der russischen Führung nur als Vorwand für eine Eskalation dienen.

Aus der Ukraine wurden die Bitten um Frieden immer dringlicher. In einer emotionalen Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski warnte dieser davor, dass es zehntausende Tote geben könnte. Er bat Russland, den Frieden zu bewahren, fügte aber hinzu, dass sich sein Land wehren werde, wenn es zu einem Angriff auf die Freiheit des Landes und Leben seiner Leute käme.

Selenski habe sich auch bemüht, direkt Kontakt zu Putin aufzunehmen. Seine Anrufe blieben aber unbeantwortet. Auch hat der ukrainische Präsident den UN-Sicherheitsrat erneut um eine Dringlichkeitssitzung gebeten. Das Gremium hatte sich zuletzt am Montag zur Ukrainekrise zusammengefunden. Die UN war der Bitte noch in der Nacht zum Donnerstag nachkommen.

Ukraine-Krieg

Russland greift die Ukraine an – Explosionen auch in Kiew zu hören

Ukraine-Krieg: Russland greift die Ukraine an – Explosionen auch in Kiew zu hören

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Militärexperten haben das Szenario einer Invasion zuletzt so beschrieben: Die erste Angriffswelle würde voraussichtlich die Kommandozentralen der ukrainischen Armee zerstören, ihre Kommunikationsnetze lahmlegen. Dann würden die Bodentruppen vordringen und den desorientierten Gegner ausschalten. Binnen Tagen könnte es Zehntausende Tote geben. Polen rechnet mit bis zu einer Million Flüchtlingen.

Am Abend kursierten außerdem alarmierende Bilder aus der Region. Handyvideos, auf denen Kolonnen von Panzer und Militärlaster zu sehen sind, aufgenommen von matschigen Straßenrändern im Grenzgebiet aus.

Satellitenaufnahmen zeigen außerdem neue Truppenmassierungen in der Region um die russische Stadt Belgorod, weniger als 100 Kilometer von Charkiw entfernt, der zweitgrößten Stadt der Ukraine mit 1,4 Millionen Einwohnern. Erst wurde der Flughafen von Charkiw geschlossen, dann der Luftraum über dem gesamten Land.

Die Ukraine hatte bereits am Mittwoch den Ausnahmezustand ausgerufen und Reservisten eingezogen. „Die Ukrainer haben aus ihren Erfahrungen von 2014 viel gelernt“, sagte die amerikanische Nato-Botschafterin Julianne Smith im Gespräch mit dem Handelsblatt – eine Anspielung auf die Gefechte mit russischen Truppen in Donbass, bei der die Ukraine schwere Verluste erlitt.

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„Viele Nato-Partner, gerade auch wir Amerikaner, haben bei der Ausbildung der ukrainischen Armee geholfen und dabei, ihre Verteidigungsfähigkeiten zu verbessern.“ Doch militärisch, da sind sich praktisch alle Experten einig, wären die Ukrainer der russischen Übermacht nicht gewachsen, jedenfalls nicht bei einer direkten Konfrontation.

Der ukrainische Präsident richtet sich am Abend in einer Ansprache an seine Landsleute. AP

Wolodimir Selenski

Der ukrainische Präsident richtet sich am Abend in einer Ansprache an seine Landsleute.

Der Westen verdeutlicht unterdessen seine Unterstützung für die Ukraine und seine Einwohner. Im Herzen Berlins wird das Brandenburger Tor in den Landesfarben der Ukraine angestrahlt – blau und gelb. Die Geste ist jedoch eine rein symbolische: So hat der Westen deutlich zu verstehen gegeben, dass niemand außer den Ukrainern für die Freiheit der Ukraine kämpfen wird.

Stattdessen versuchen die westlichen Verbündeten Putin mit Sanktionen beizukommen. In der Nacht zum Donnerstag traten eine Reihe von Maßnahmen der EU in Kraft. Betroffen sind unter anderem der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow sowie Vize-Ministerpräsident Dmitri Grigorenko. Weiter Sanktionen werden aller Voraussicht nach auf dem EU-Gipfel in Brüssel beschlossen, der für diesen Donnerstag eilig einberufen wurde.

Doch der Kreml hat die wirtschaftlichem Strafen in seine Vorhaben vermutlich schon eingepreist. Von nun an dienen die Sanktionen der EU und der USA nicht mehr primär der Abschreckung, sondern der Verteidigung der eigenen Glaubwürdigkeit. „Wir werden die Sanktionen weiter eskalieren, wenn Russland eskaliert“, sagte US-Präsident Biden. Dazu gehört wohl auch die Sanktionierung des Pipeline-Betreibers der Nord Stream 2.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Zertifizierung der Ostseepipeline bereits gestoppt. Die jüngsten Sanktionen zielen laut dem US-Finanzministerium auch auf den deutschen Nord-Stream-Geschäftsführer Matthias Warnig ab. Zudem sollen die Sanktionen die in der Schweiz ansässige Muttergesellschaft treffen. Aufsichtsratschef der Nord Stream 2 AG ist der ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er soll nach Angaben der US-Regierung nicht von den Sanktionen betroffen sein.

Biden hatte zuvor aus Rücksicht auf Deutschland auf einen solchen Schritt verzichtet. Die Entscheidung der Amerikaner nun ist ein weiterer schwerer Schlag für die Pipeline.
Mit Agenturmaterial.

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