PremiumDie EU hat ein sechstes Sanktionspaket beschlossen. Es sieht auch ein Einfuhrverbot für russisches Öl über den Seeweg vor. Die Ölpreise klettern auf höchsten Stand seit zwei Monaten.
Die Europäische Union will den Großteil der Ölimporte aus Russland bis Jahresende stoppen und dem Kreml damit eine Geldquelle für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nehmen. Bei ihrem Sondergipfel in Brüssel einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs am späten Montagabend auf einen Kompromiss, der Ungarn entgegenkam: Das Land hatte sich angesichts seiner starken Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gegen ein vollständiges Ölembargo ausgesprochen.
Die nun erzielte Vereinbarung sehe ein Einfuhrverbot für russisches Öl über den Seeweg vor, was zwei Drittel der Lieferungen in die EU ausmache, erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel. Ungarn kann sich damit weiter über die „Druschba“-Pipeline auf dem Landweg eindecken.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach dennoch von einschneidenden Sanktionen gegen Russland. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge werden die Öl-Importe der EU aus Russland trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferungen bis Ende des Jahres um rund 90 Prozent reduziert.
Hintergrund dieser Zahl ist, dass Deutschland und Polen bereits deutlich gemacht haben, dass sie nicht von der Ausnahme für Pipeline-Öl profitieren wollen.
Beide Länder sind wie auch Ungarn, Tschechien und die Slowakei an die einzige aus Russland kommende Pipeline angeschlossen. In Deutschland versorgt die „Druschba“ (Freundschaft) genannte Leitung bislang die großen ostdeutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna.
„Das vom Europäischen Rat vereinbarte Embargo für russisches Öl ist bei weitem nicht ideal, zumal es erst in sechs Monaten in Kraft treten wird, aber es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagt Simone Tagliapietra von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „Dies ist ein schwerer Schlag für Russland, das gezwungen sein wird, neue Wege für sein Öl zu finden und es mit erheblichen Abschlägen zu verkaufen.“
Allerdings wird das Teil-Embargo auch die europäischen Verbraucher belasten. Die Einigung auf das weitgehende Embargo treibt die Ölpreise am Dienstag auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Monaten. Das Nordseeöl Brent steigt um bis zu 1,6 Prozent auf 123,58 Dollar je Fass. Das US-Öl WTI verteuert sich um zeitweise 3,4 Prozent auf 118,97 Dollar je Barrel.
Deutschland hatte schon vor dem EU-Beschluss angekündigt, bis Ende des Jahres ohne russisches Öl auskommen zu wollen. Doch der Weg in die Unabhängigkeit gestaltet sich schwierig. Zwölf Prozent der deutschen Ölimporte kommen derzeit noch aus Russland. Nahezu alles davon landet in der PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt.
Ende April hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch davon gesprochen, er erwarte die vollständige Unabhängigkeit von russischem Öl innerhalb von Tagen. Daraus ist inzwischen mehr als ein Monat geworden.
Schwedt
Mehrheitseigner der Raffinerie ist die Deutschlandtochter des russischen Staatskonzerns Rosneft.
Bild: dpa
Die Raffinerie in Schwedt wird fast ausschließlich über die Ölpipeline Druschba versorgt. Habeck arbeitet daran, alternative Lieferwege über Rostock und das polnische Danzig zu organisieren. Das Problem: Mehrheitseigner der Raffinerie ist die Deutschlandtochter des russischen Staatskonzerns Rosneft. Und Polen ist nicht bereit, seine Infrastruktur für einen russischen Konzern freizugeben.
„Es rächt sich, dass trotz des Krimkriegs ein russischer Energiekonzern in den vergangenen Jahren einen so starken Einfluss auf die Versorgungssituation bekommen hat“, sagte Michael Kellner, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.
Die Bundesregierung bereitet sich darauf vor, Rosneft bei PCK herauszudrängen. Doch selbst dann ist die Versorgung der Raffinerie ohne russisches Öl nicht postwendend gesichert. Für Schwedt sei der schnelle Ausstieg aus russischem Öl „auch die Chance, sich zukunftsfähig aufzustellen“, betonte Kellner. Die Dinge seien aber „weiterhin komplex“.
EU-Sondergipfel in Brüssel
Die EU-Staaten schränken die Öl-Einfuhren aus Russland massiv ein.
Bild: dpa
Die Öl-Sanktionen gehört zu einem neuen Paket an Strafmaßnahmen, das die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel beschlossen haben. Es sieht unter anderem das Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverbote gegen Einzelpersonen sowie den Ausschluss des größten russischen Geldhauses Sberbank aus dem globalen Bankenkommunikationsnetzwerk Swift vor, aus dem die EU bereits etliche kleinere russische Banken geworfen hat. Drei große russische Staatssender dürfen zudem ihre Inhalte in der EU nicht länger verbreiten.
Vereinbart wurde auf dem Gipfel auch, der Ukraine eine Hilfstranche von neun Milliarden Dollar bereitzustellen, um das kriegszerrüttete Land wirtschaftlich zu unterstützen, wie Michel mitteilte.
Bisher hat die EU fünf Sanktionspakete gegen Russland wegen dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine geschnürt. Die Strafmaßnahmen richten sich unter anderem gegen mehr als 1000 Personen, darunter Kremlchef Wladimir Putin und ranghohe Mitglieder seiner Regierung, kremltreue Oligarchen sowie Banken und den Kohlesektor. Bereits am 4. Mai wurde eine sechste Sanktionsrunde angekündigt, die jedoch vom Streit über das Ölembargo gebremst wurde.
Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das neue Paket erstmals präsentierte, war darin noch ein schrittweiser Importstopp für russisches Rohöl und Raffinerieerzeugnisse binnen sechs Monaten enthalten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban stellte jedoch in Brüssel klar, dass er neue Sanktionen gegen Moskau nur bei Garantien für gesicherte russische Öllieferungen in sein Land mittrage.
Ungarn bezieht mehr als 60 Prozent seines Öls aus Russland, bei Erdgas sind es 85 Prozent. Auch die osteuropäischen Länder Tschechien, die Slowakei und Bulgarien zeigten sich besorgt über die Auswirkungen eines totalen Ölembargos auf ihre Volkswirtschaften und betonten, dass sie nicht kurzfristig auf die russischen Energielieferungen verzichten könnten.
Den nun erzielten Kompromiss, die Pipeline über den Landweg offen zu lassen, feierten Michel und von der Leyen als Erfolg. „Wir wollen Russlands Kriegsmaschinerie stoppen“, erklärte der EU-Ratspräsident. Den Deal bezeichnete er als „bemerkenswerte Errungenschaft“. Mehr denn je sei es wichtig, zu zeigen, dass die EU stark und hart sein könne.
Dem Kompromiss ging am Montag ein Appell des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski an die Europäische Union voraus, mit weiteren Sanktionen gegen Russland die „Kriegsmaschine“ des Kremls zu stoppen. In einer zehnminütigen Videoansprache an den EU-Gipfel rief er die 27 Staats- und Regierungschefs auf, „interne Streitigkeiten“ zu beenden, die „Russland nur dazu antreiben, mehr und mehr Druck auf Europa auszuüben“.
Das neue Sanktionspaket müsse „vereinbart werden, es muss effektiv sein, einschließlich Öl“. Ein Ölembargo würde Moskau „den Preis dafür spüren lassen, was es der Ukraine“ und dem Rest Europas antue. Nur dann würde Russland dazu gebracht, Frieden zu suchen. Es sei äußerst wichtig, dass Sanktionen so schnell wie möglich verabschiedet werden.
Selenski hat wiederholt Maßnahmen gegen den russischen Energiesektor gefordert. Die EU bezieht rund 40 Prozent ihres Erdgases und 25 Prozent ihres Öls von Russland; täglich fließen dafür Milliardenbeträge an Russland und finanzieren so auch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
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