Israel wehrt sich gegen einen kruden historischen Vergleich des russischen Verteidigungsministers. Damit ändert sich die bisherige Rhetorik gegenüber Russland.
Jair Lapid
Israels Außenminister sprach von einem „schrecklichen historischen Fehler“ Lawrows.
Bild: imago images/NurPhoto
Tel Aviv Israel hat sich seit Beginn des Kriegs in der Ukraine mit Kritik an Russland und seinem Präsidenten Wladimir Putin aus Eigeninteresse zurückgehalten. Denn Russland kontrolliert den Luftraum über Syrien und erlaubt der israelischen Luftwaffe, ungehindert gegen iranische Aktivitäten im nördlichen Nachbarland vorzugehen. Um dort eine Präsenz seines Erzfeinds verhindern zu können, ist Israel auf das Einverständnis Putins angewiesen.
Doch jetzt ist es mit der Reserviertheit vorbei. Nicht aus Entsetzen über das Vorgehen der russischen Truppen in der Ukraine, sondern wegen eines historischen Vergleichs, mit dem Außenminister Sergej Lawrow Israels Zorn erregt hat. Der 72-jährige moskowitische Chefdiplomat wiederholte in einem Interview mit dem italienischen Fernsehsender Rete 4 zunächst, dass in der Ukraine Nazis das Sagen hätten und Putin deshalb das „braune“ Regime in Kiew stürzen wolle.
Als ob Lawrow geahnt hätte, dass dieses Mantra auf Widerspruch stoßen werde, fuhr er gleich fort: Viele würden zwar behaupten, dass es in einem Land, in dem der Präsident Jude ist, keine „Nazifizierung“ geben könne, sagte Lawrow. Aber auch Adolf Hitler „hatte jüdisches Blut“, behauptete Lawrow und meinte: „Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.“
Diese Beschuldigung haben Premier Naftali Bennett und sein Außenminister Jair Lapid scharf gekontert. Er halte Lawrows Ausführungen für „schwerwiegend“ und „unwahr“, wies Bennett den Vergleich zurück. Lügen wie diese würden dazu dienen, die Juden selbst für die schrecklichsten Verbrechen in der Geschichte verantwortlich zu machen, die an ihnen begangen wurden, und so die Unterdrücker der Juden von ihrer Verantwortung zu befreien.
Noch deutlicher wurde Außenminister Lapid. Lawrows Satz sei „unverzeihlich, skandalös“, sagte er und sprach von einem „schrecklichen historischen Fehler“. Zu behaupten, dass Hitler jüdischer Abstammung war, sei so, „als würde man sagen, dass sich die Juden selbst umgebracht hätten“. Das mache ihn wütend, nicht nur als Außenminister, sondern auch als Sohn eines Vaters, der in das Budapester Ghetto gesteckt wurde – „nicht von Juden, sondern von den Nazis“.
Lapid kündigte an, den russischen Botschafter zu einem „harten Gespräch“ einzubestellen und auf einer Entschuldigung zu bestehen. Auch der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, nannte die Äußerung Lawrows „absurd“. Er glaube, die russische Propaganda von Außenminister Lawrow „braucht nicht weiter kommentiert zu werden“, sagte er in Berlin.
Sergej Lawrow
Russlands Außenminister erregte mit seinen Beschuldigungen Israels Zorn.
Bild: IMAGO/SNA
Für den ukrainischen Außenminister Dmitro Kuleba ist Lawros Analogie eine Steilvorlage. In einem Interview mit einem israelischen Sender wetterte er gegen Moskau, das behauptet habe, die Ukrainer seien für Verbrechen verantwortlich, die von ihren eigenen Streitkräften begangen worden seien: Das sei „die perverse Logik“ der russischen Elite. Selbst Lawrow, der wisse, was Diplomatie ist, könne den tiefsitzenden Antisemitismus nicht mehr verbergen, „der tief in den russischen Eliten verwurzelt ist“.
Lawrow könnte mit seinem Interview dazu beigetragen haben, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und Israel verschlechtere, sagen Beobachter in Jerusalem. Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar hat es Israel bewusst vermieden, sich zu sehr auf eine der beiden Seiten festzulegen. Es ist eines der wenigen Länder, das relativ gute Beziehungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland unterhält.
Im März hatte Bennett als erster westlicher Politiker nach Kriegsausbruch in Moskau Putin während drei Stunden getroffen. Danach telefonierte er mit dem ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski und mit Präsident Emmanuel Macron, bevor er nach Berlin zur Besprechung mit Kanzler Olaf Scholz flog.
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Dass ausgerechnet Israel als Vermittler akzeptiert wurde, ist einerseits mit der Neutralität zu erklären, auf die Jerusalem in diesem Konflikt von Anfang an gesetzt hat. Verteidigungsminister Lapid hat sich weder den Wirtschaftssanktionen angeschlossen noch Moskau verurteilt oder der Ukraine Waffen geliefert. Israel unterhält gleichzeitig gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.
Die Rhetorik Lapids hat sich jedoch nach den Berichten über Massenmorde an der Zivilbevölkerung durch die Russen verschoben. Im April warf er Russland ausdrücklich Kriegsverbrechen vor. Moskau hat neulich auch Jerusalem öffentlich dafür kritisiert, defensive Verteidigungsausrüstung an Kiew zu liefern. Auf Missfallen stieß in Moskau zudem der Vorschlag des israelischen Botschafters in der Ukraine, in Kiew Straßen nach denjenigen zu benennen, die Juden während des Holocausts gerettet haben.
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