Immer mehr Russen landen auf westlichen Sanktionslisten. Aber sie haben vorgesorgt – manche können sogar ihre Villen weiter nutzen.
Mutmaßliche Putin-Jacht „Graceful“
Schon vor dem Krieg verließ das Schiff die Werft, in der es gerade umgebaut wurde.
Bild: REUTERS
Düsseldorf, Brüssel, Athen, New York, Rom Das Versteckspiel begann zwei Wochen vor der russischen Invasion. Plötzlich war die Jacht „Graceful“ aus dem Hamburger Hafen verschwunden, obwohl das prestigeträchtige Schiff dort gerade umgebaut wurde. Später lief es in einen Hafen im russischen Kaliningrad ein. Die Jacht soll Wladimir Putin gehören.
Wie der russische Präsident brachten in den vergangenen Wochen mehrere Oligarchen ihre Luxusschiffe in Sicherheit. Die „Eclipse“ des russischen Milliardärs Roman Abramovic etwa raste laut Funkdaten ihres Transponders mit 17 Knoten quer über den Atlantik, als würde sie von europäischen Finanzbehörden verfolgt.
Tatsächlich konnten die Ermittler eine Reihe von Erfolgen verbuchen. In den Mittelmeerhäfen von Spanien, Frankreich, Italien und Kroatien wurden verschiedene Luxusjachten festgesetzt. Bisher haben die EU-Staaten Vermögenswerte sanktionierter Personen und Einrichtungen aus Russland und Belarus im Wert von rund 30 Milliarden Euro eingefroren, teilte die EU-Kommission in einem Zwischenstand mit. Darunter seien Schiffe, Hubschrauber, Immobilien und Kunst.
Aber jenseits dieser Erfolgsmeldungen sieht die Bilanz nüchterner aus. Zahlreiche Luxusapartments, Villen und ganze Unternehmen haben die Oligarchen längst vor dem Zugriff westlicher Staaten geschützt. Ob die 500-Quadratmeter-Wohnung im Londoner Nobelviertel Chelsea oder das Jugendstil-Anwesen am Tegernsee – ihren Eigentümern gelang es, die Besitzverhältnisse durch komplizierte Geflechte von Briefkastenfirmen, Stiftungen und Strohleuten zu verschleiern.
„Zweifeln Sie nicht“, hatte Ursula von der Leyen nach Russlands Überfall getönt. „Wir werden auch Ihre anderen Vermögenswerte einfrieren“, so die EU-Kommissionspräsidentin, „seien es Jachten, schicke Autos oder luxuriöse Anwesen“. Aber so einfach ist das nicht. Kaum ein Land ist darauf eingestellt, superreichen Oligarchen hinterherzujagen und ihre Besitztümer zu beschlagnahmen.
Das deutsche Finanzministerium befand 2019 in einer Risikoanalyse, dass die Zuständigkeiten völlig ungeregelt sind, wenn es darum geht, Vermögenswerte einzufrieren. Behoben wurde das Problem seitdem nicht.
Dem „Spiegel“ zufolge hat die „Taskforce Sanktionsumsetzung“ des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums „eine Reihe von Schwachstellen“ bei der bisherigen Umsetzung der Sanktionen identifiziert. So müsse eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, sanktioniertes Vermögen aufzuspüren. Zugleich müsse der Datenaustausch zwischen den Behörden verbessert werden. Und in Fällen, in denen die wahren Besitzer von Vermögenswerten verschleiert würden, seien besondere Eingriffsermächtigungen notwendig.
Das Einfrieren von Vermögen hat nur eine begrenzte Wirkung. Deshalb braucht es ein Beschlagnahmegesetz, das es auch ermöglicht, Oligarchen-Vermögen zu konfiszieren. Philipp Haellmigk, Außenhandelsexperte
Als Vorbild gilt Italien. Die Guardia di Finanza ist eine der mächtigsten Finanzbehörden Europas. 58.000 Mitarbeiter hat das Konstrukt, das eine Mischung aus Finanzpolizei und Zollbehörde ist. Bis Ende März hatten die Beamten schon 848 Millionen Euro an Vermögenswerten von russischen Oligarchen eingefroren, darunter Villen, Autos und Luxusjachten.
Die Behörde ist seit Jahren auf die Aufklärung von Steuerdelikten und das Entwirren komplizierter Firmenkonstrukte spezialisiert, vor allem im Kampf gegen die Mafia, die immer mehr dazu übergeht, vermeintlich saubere Unternehmen zu infiltrieren. Die Polizisten greifen dabei auf umfassende Datenbanken zurück, setzen neuerdings auch Künstliche Intelligenz ein.
Eine spezielle Einheit der Devisenpolizei, die ursprünglich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gegründet wurde, kümmert sich derzeit vor allem um die Russen auf den Sanktionslisten. 480 Mitarbeiter hat die Einheit, die breit im ganzen Land aufgestellt ist.
Allerdings gehen auch die Fähigkeiten der Finanzermittler in Italien nicht so weit, wie es sich mancher vorstellen mag. Während Mafia-Immobilien zuerst beschlagnahmt und dann in Staatseigentum überführt werden, gibt es dafür bei russischen Oligarchen keine Grundlage. Deren Vermögenswerte werden nur eingefroren, bleiben also Eigentum der Sanktionierten.
Der Grund: Mafiosi lassen sich klar einer kriminellen Vereinigung zurechnen, deren Vermögenswerte sind nachweislich illegal. Bei den Russen auf der Sanktionsliste sei das weitaus schwieriger nachzuweisen, hört man aus Kreisen der Ermittler.
>> Hören Sie hier: Podcast Handelsblatt Crime – Das Katz-und-Maus-Spiel der russischen Oligarchen mit den EU-Behörden
Daher gehen die Villen und Jachten in Italien nur vorübergehend in die Obhut der Behörde über, die die Staatsimmobilien verwaltet. Nur wenn die laufenden Unterhaltskosten zu hoch werden, kann der Staat entscheiden, die Vermögenswerte zu verkaufen. Von solch einem Schritt sei man noch weit entfernt, heißt es von einem Insider der Behörde.
Sanktionslisten könnten bei einem Einlenken Russlands jederzeit verändert werden. Damit wären auch eingefrorene Vermögenswerte auf einen Schlag wieder frei und würden an ihren ursprünglichen Besitzer zurückgehen.
Die Russen dürfen ihr Eigentum sogar weiter nutzen. „Einfrieren“ bedeutet nur, dass Geld und Vermögensgegenstände nicht bewegt werden dürfen. Auch darf damit kein Gewinn erzielt werden, etwa durch das Vermieten eines Hauses. Aber Freunde und Verwandte dürfen weiter in den Immobilien wohnen. Teilweise auch die Oligarchen selbst.
Was die Sanktionierten davon abhält, ist lediglich das Einreiseverbot, das mit den Strafmaßnahmen verbunden ist. Aber selbst da haben manche reichen Russen vorgesorgt, indem sie sich eine EU-Bürgerschaft gekauft haben. Dreizehn Länder der EU gewährten Nicht-EU-Bürgern in der Vergangenheit einen dauerhaften Aufenthaltsstatus, wenn sie nur genug Geld mitbrachten.
In Lettland gab es eine solche Aufenthaltsgenehmigung schon für eine Investition von 60.000 Euro, in den Niederlanden musste man mindestens 1,25 Millionen Euro mitbringen. Die meisten Länder haben inzwischen die Vergabe dieser Visa an Investoren aus Russland und Belarus eingestellt.
Gestürmtes mutmaßliches Oligarchen-Haus in London
Die Besitzverhältnisse werden oft verschleiert.
Bild: REUTERS
Drei Länder verliehen investitionsfreudigen Gästen sogar die Staatsbürgerschaft: Malta, Zypern und Bulgarien. Bis 2019 bekamen laut einer Studie des Europaparlaments knapp 9000 Menschen auf diesem zwielichtigen Weg eine Staatsbürgerschaft und mehr als 120.000 eine Aufenthaltsgenehmigung.
Ganze vier Wochen nach von der Leyens Drohung, Luxusautos und Villen einzuziehen, veröffentlichte die Kommission die dringende Empfehlung an die Mitgliedstaaten, diese Praxis der „Goldenen Pässe“ zu beenden.
Denn gegen Russen mit einer Staatsbürgerschaft sind Sanktionen weitgehend wirkungslos. Wer Staatsbürger eines Schengen-Staates ist, den können auch Sanktionen nicht an Reisen innerhalb des Schengenraums hindern, bestätigt der Auswärtige Dienst der EU. „Wer frei reisen kann, kann auch seine Besitztümer nutzen“, sagt die Anwältin Bärbel Sachs von der Kanzlei Noerr, die seit 15 Jahren Mandanten zum Thema Sanktionen berät. Für die Erfüllung von Grundbedürfnissen können sich die Sanktionierten sogar Gelder von ihren gesperrten Konten freigeben lassen. Auch eine Rechtsberatung lässt sich so bezahlen.
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Schon seit Jahren versuchte die EU-Kommission, die Programme für Goldene Pässe zu stoppen und hat gegen Malta und Zypern Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Nun verlangt sie, dass zumindest den Sanktionierten der Pass entzogen wird. Am Freitag teilte Zypern mit, vier russischen Bürgern die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Namen nannte der Inselstaat nicht.
Seit 2007 hat Zypern fast 7000 Personen aus Drittstaaten eingebürgert, mehrheitlich Russen. Allein zwischen 2017 und 2019 haben rund 1000 von ihnen die zyprische Staatsbürgerschaft erworben. Im Gegenzug verpflichteten sie sich, mindestens zwei Millionen Euro in Immobilien oder Firmen auf der Insel zu investieren.
Mutmaßliche Abramovich-Jacht „Eclipse“
Russische Oligarchen haben viele ihrer Luxus-Yachten in türkische Häfen gerettet.
Bild: dpa
Einen Pass wieder zu entziehen ist nach geltendem Gesetz nur möglich, wenn dem Inhaber falsche Angaben bei der Antragstellung oder kriminelle Machenschaften nachgewiesen werden können. Sanktionen der EU sind im Gesetz nicht als Grund für die Aberkennung der Staatsbürgerschaft vorgesehen. Die Betroffenen könnten daher mit einiger Aussicht auf Erfolg die zyprischen Gerichte anrufen, falls ihnen der Pass entzogen wird.
Malta hat erklärt, keine Staatsbürgerschaften mehr an Russen und Belarussen verkaufen zu wollen. Rund ein Viertel aller Goldenen Pässe, die in Malta vergeben worden sind, sollen laut Schätzungen an Russen gegangen sein. Die bisher ausgestellten Pässe will Malta jedoch nicht einziehen. Die Regierung erklärte im Februar, dass keine der russischen oder belarussischen Personen auf der EU-Sanktionsliste in der Vergangenheit „Goldene Pässe“ beantragt oder erhalten hätte.
Allerdings berichtet die „Times of Malta“, dass mittlerweile einer eingebürgerten Person die Staatsbürgerschaft entzogen worden sei, nachdem sie auf einer US-Sanktionsliste aufgetaucht war. Die Person soll demnach Verbindungen zu russischen Geheimdiensten haben. Auch drei Unternehmen mit Sitz in Malta stehen auf der Sanktionsliste. Das Innenministerium von Malta wollte sich nicht dazu äußern, wem die Staatsbürgerschaft entzogen wurde.
Es mehren sich die Stimmen, die fordern, bei den Sanktionen gegen Einzelpersonen deutlich weiter zu gehen.
„Einfrieren allein ist nicht zielführend“, kritisiert der polnische Premier Mateusz Morawiecki. Die Vermögenswerte der Oligarchen müssten beschlagnahmt werden können. Dann könnten damit auch Ausgaben für ukrainische Flüchtlinge finanziert werden. „Wir müssen ihre Vermögenswerte konfiszieren“, forderte Morawiecki. Ähnlich äußerte sich der finnische Außenminister Pekka Haavisto „Wir brauchen eine Klärung, wie die gewaltigen Kriegsschäden kompensiert werden“, sagt er dem Handelsblatt. „Dazu können solche Gelder genutzt werden.“
Die Instrumente gegen sanktionierte Oligarchen seien „zu schwach“, sagt der Münchener Außenhandelsexperte Philip Haellmigk. „Das Einfrieren von Vermögen hat nur eine begrenzte Wirkung. Deshalb braucht es ein Beschlagnahmegesetz, das es auch ermöglicht, Oligarchen-Vermögen zu konfiszieren.“
Die USA gehen konsequenter vor als die meisten EU-Staaten. Den Unternehmen würde sehr viel deutlicher vermittelt werden, dass man sich jede noch so indirekte Geschäftsbeziehung mit einem Oligarchen sehr genau anschauen werde, sagt Haellmigk.
Eine parteiübergreifende Gruppe von Senatoren will nun noch weiter gehen. Die Politiker wollen der Regierung ermöglichen, die Besitztümer russischer Oligarchen leichter zu beschlagnahmen und zu Geld zu machen. Dann, so erhoffen es sich die Initiatoren, könnte mit diesem Geld der Widerstand in der Ukraine gestärkt werden.
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