PremiumNoch bis Dienstag sollen die völkerrechtswidrigen Abstimmungen in russisch besetzten Gebieten der Ukraine dauern. In Russland wächst die Kritik an der Teilmobilmachung.
Riga Russland setzt die Scheinreferenden in besetzen Gebieten der Ukraine offensichtlich mit Druck auf die Bevölkerung durch. In den vier Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja sollen die verbliebenen Einwohner bis zum kommenden Dienstag über den Beitritt zu Russland abstimmen.
Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, berichtete schon am Freitag in Onlineposts davon, dass Wahlbeamte die Namen derer gestrichen hätten, die gegen den Anschluss gestimmt hätten. Außerdem sei gedroht worden, Türen einzuschlagen, falls die Abstimmung verweigert werde.
Iwan Fedorow, Bürgermeister von Melitopol in der Region Saporischschja, sagte der Nachrichtenagentur AP, in seiner Stadt würden Bürgerinnen und Bürger zur Stimmabgabe gedrängt. „Gruppen von Kollaborateuren und Russen“ gingen „zusammen mit bewaffneten Soldaten von Tür zu Tür, aber wenige Leute öffnen ihnen die Tür.“
Am Wochenende kam es Meldungen der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge zur Bombardierung eines Hotels in Cherson durch ukrainische Truppen. Die Stadt ist seit Monaten von russischen Truppen besetzt. Zwei Menschen seien dabei getötet worden.
Nach Angaben des ukrainischen Militärs vom Sonntag haben russische Streitkräfte innerhalb von 24 Stunden Dutzende Raketen- und Luftangriffe auf zivile und militärische Ziele ausgeübt. Die Angaben beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
>> Lesen Sie hier: „Grundsätzliche Voraussetzung“ für Atomwaffen – Militärexperten analysieren Putins neue Schritte
Nach der Verfassung der Ukraine ist nur die ukrainische Regierung befugt, Referenden zu organisieren, die Änderungen des Staatsgebiets zur Folge hätten. Zudem ist das Vorgehen völkerrechtswidrig, weil freie und geheime Wahlen in Gebieten, in denen ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg stattfindet, nicht möglich sind. Eine unabhängige internationale Beobachtermission gibt es nicht.
Der Kreml will die bereits besetzten Gebiete durch die Scheinreferenden zu einem Teil Russlands machen. Es wird erwartet, dass die Gebiete annektiert und womöglich schon am kommenden Freitag von Staatschef Wladimir Putin zu russischem Staatsgebiet erklärt werden.
Nach einem Bericht der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass könnte sich das Parlament, die Duma, schon am Donnerstag mit einer Aufnahme der Gebiete befassen. UN-Generalsekretär António Guterres hatte eine Annexion der Gebiete als Verletzung des Völkerrechts bezeichnet.
Da erwartbar ist, dass die ukrainische Seite die Ergebnisse nicht anerkennen und weiterhin versuchen wird, die Gebiete zurückzuerobern, ist die russische Seite auf eine Stärkung der Armee angewiesen, um die besetzten Gebiete zu halten. Mit der am vergangenen Mittwoch von Putin angeordneten Teilmobilmachung will die russische Führung die Zahl der Soldaten erhöhen. Militärexperten gehen aber davon aus, dass sich die Maßnahme erst in einigen Monaten auf das Kriegsgeschehen auswirken dürfte.
Reisende aus Russland am Sonntag an der Grenze zu Finnland
Seit Verkündung der Teilmobilmachung registrieren die finnischen Grenzwächter mehr Ankömmlinge aus Russland.
Bild: IMAGO/Lehtikuva
Am Wochenende häuften sich Berichte und Videos in sozialen Netzwerken, denen zufolge in Russland derzeit auch Männer einberufen werden, die den öffentlich verkündeten Regeln der Teilmobilmachung zufolge nicht eingezogen werden dürften, beispielsweise aufgrund ihres Alters. Kurz darauf äußerten sich auch russische Politiker zu den Vorwürfen.
Am Samstag zeigte beispielsweise Walentina Matwijenko, seit 2011 Vorsitzende des Föderationsrates, des Oberhauses des russischen Parlaments, in ihrem Telegram-Kanal Verständnis für die Beschwerden über die Kampagne zur Mobilisierung. Sie verwies direkt auf Berichte, wonach auch Männer einberufen wurden, die von der Teilmobilisierung eigentlich nicht betroffen sein dürften.
„Solche Auswüchse sind absolut inakzeptabel. Und ich halte es für absolut richtig, dass sie eine scharfe Reaktion in der Gesellschaft auslösen“, schreibt sie. Die Gouverneure Russlands seien für die Umsetzung verantwortlich. Sie müssten sicherstellen, dass die Kriterien der Teilmobilisierung vollständig und fehlerfrei beachtet würden. Matwijenko ist zudem Mitglied im Sicherheitsrat der Russischen Föderation.
Auch der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin meldete sich am Sonntag per Telegram in der Sache zu Wort. Er schrieb: „Es ist wichtig, dass die Teilmobilmachung im Einklang mit dem Gesetz erfolgt.“ Weiter hieß es in der Nachricht: „Wenn Sie auf Tatsachen stoßen, bei denen die Normen von Dekreten, Gesetzen oder Verordnungen verletzt werden, melden Sie dies.“ Fehler, sollten sie gemacht worden sein, müssten korrigiert werden, so Wolodin.
In der russischen Teilrepublik Dagestan im Kaukasus sind bei einem Protest gegen die Mobilmachung Polizisten laut Bürgerrechtlern mit Warnschüssen gegen Demonstranten vorgegangen. Im Dorf Endirej blockierten Anwohner eine Straße, um so die von Russland Präsident Wladimir Putin angeordnete Teilmobilisierung zu behindern, wie die unabhängige Organisation OVD-Info am Sonntag mitteilte.
Auf Videos ist zu sehen, wie Polizisten Gewehre in die Luft richten, dann sind Schüsse zu hören. Laut dagestanischen Medien war der Protest eine Reaktion darauf, dass aus dem Dorf 110 Männer in den Krieg gegen die Ukraine gezwungen wurden. Das muslimisch geprägte Dagestan gehört zu den Regionen Russlands, aus denen Beobachtern zufolge besonders viele Männer eingezogen werden. Aktivisten beklagen, dass Angehörige ethnischer Minderheiten besonders stark von der Mobilmachung betroffen sind.
Das Ausmaß der Kriegsverbrechen in der Ukraine wird immer deutlicher. Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (UN) hat am Freitag Zwischenergebnisse ihrer Ermittlungen über den russischen Angriffskrieg präsentiert. Der Vorsitzende der Kommission, der norwegische Richter Erik Mose, betonte vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf: „Wir sind besorgt über das Leid, das der internationale bewaffnete Konflikt in der Ukraine über die Zivilbevölkerung gebracht hat.“
Die Kommission ermittelte vor Ort in den Regionen Kiew, Tschernihiw, Charkiw und Sumy. Aufgrund der gesammelten Beweise sei die Kommission „zu dem Schluss gekommen, dass in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen wurden“, erklärte der Vorsitzende.
Zeugen hätten der Kommission übereinstimmend von Misshandlungen und Folter während der Inhaftierung berichtet. Einige der Opfer gaben zu Protokoll, dass sie nach ihrer Festnahme in der Ukraine nach Russland verschleppt worden sein. Dort seien sie wochenlang eingesperrt und Folter und Misshandlung ausgesetzt gewesen. Die Ermittler dokumentierten zudem Vergewaltigungen durch „einige Soldaten der Russischen Föderation“.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×