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24.02.2022

17:55

Ukraine-Krieg

Neue Forderungen nach Ausschluss Russlands aus Zahlungsverkehrssystem Swift

Von: Christoph Herwartz, Julian Olk, Dennis Schwarz, Helmut Steuer, Andreas Kröner

Die EU hat die schärfste Sanktion noch nicht vorbereitet: Die Abkopplung Russlands von Swift. Einige Politiker fordern dies nun.

Russland sieht sich gegen die Sanktionen des Westens gewappnet. Bloomberg

Moscow International Business Center, Kreml

Russland sieht sich gegen die Sanktionen des Westens gewappnet.

Brüssel, Frankfurt, Berlin, Stockholm Die Strafmaßnahmen des Westens sollen Russland so stark treffen wie nie zuvor. Wie das funktionieren soll, haben die EU und ihre Verbündeten seit Wochen vorbereitet.

Die drei baltischen EU-Staaten Estland, Lettland und Litauen forderten, die internationale Gemeinschaft müsse „die schärfsten Sanktionen verhängen, einschließlich des Ausschlusses der russischen Banken aus der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (Swift)“. Weiter heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der drei Außenminister: „Außerdem muss Russland politisch isoliert werden.“

Die drei Minister befanden sich am Donnerstagmorgen in der Ukraine und wollten ursprünglich an die Grenze zu Russland reisen. Sie fordern seit Wochen eine härtere Gangart gegenüber Russland. Die Angst vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine war im Baltikum in den vergangenen Wochen kontinuierlich gewachsen. 

Auch im Europaparlament ist ein Swift-Ausschluss kein Tabu mehr: „Putins Invasion der Ukraine stellt einen so schwerwiegenden Bruch jeglichen Völkerrechts dar und untergräbt Europas Sicherheitsarchitektur so fundamental, dass die EU ihre wirtschaftlichen Sanktionen sehr hart bemessen muss“, sagte Reinhard Bütikofer (Grüne) dem Handelsblatt. „Dazu gehört meines Erachtens auch der Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem Swift“, so der Abgeordnete.

„Putins Russland muss nun wirtschaftlich vollkommen isoliert werden“, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary (CDU). „Dazu gehört auch eine Beschränkung im Zahlungsverkehr, beispielsweise bei Swift.“ Auch die Chefin der FDP-Gruppe, Nicola Beer, sagte: „Russland muss vom internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen und auch beim Energie- und Technologiehandel umfassend isoliert werden.“

Auch in der Berliner Regierungskoalition gibt es erste Stimmen, die zumindest über Swift als Sanktionsmöglichkeit sprechen wollen. „Wir schließen keine Sanktionsmöglichkeit aus“, sagte Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen, dem Handelsblatt, auf die Frage nach einer möglichen Swift-Sperre für Russland.

Es sei wichtig, dass die EU ein hartes Sanktionspaket „mit massiven Auswirkungen für Russland“ auf den Weg gebracht habe. Dröge betonte zugleich: „Für eine freie, souveräne und demokratische Ukraine sind wir bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen.“

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte nachdrücklich, Russland auszuschließen. Wer dagegen sei, werde „das Blut unschuldiger ukrainischer Männer, Frauen und Kinder an seinen Händen kleben haben“.

Ohne Swift wäre Russland vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen

Über Swift wickeln Banken ihre Finanzgeschäfte untereinander ab. Sollte das System für russische Banken abgeschaltet werden, könnten sie viele Geschäfte mit dem Ausland nicht mehr tätigen. Auch der Handel mit Ländern würde erschwert, die selbst gar keine Sanktionen erlassen haben – zum Beispiel mit China, das sogar großes Verständnis für den Einmarsch Russland äußert.

Selbst der Zahlungsverkehr innerhalb Russlands könnte gestört werden. Praktisch jedes Unternehmen wäre betroffen und damit möglicherweise auch die Versorgung der Bevölkerung. „Der Ausschluss aus Swift könnte den Zahlungsverkehr stark beeinträchtigen oder sogar zum Erliegen bringen“, sagt Hella Engerer, Ökonomin für Osteuropa am DIW Berlin. Darum ist eine Abschaltung sehr umstritten. Sie könnte Russland weiter provozieren, und gleichzeitig hätte der Westen dann kaum noch Möglichkeiten für eine weitere Abschreckung.

Außerdem würden auch Europäer getroffen, die Forderungen an russische Unternehmen haben. Es stelle sich die Frage, wie Europa ohne Swift seine notwendigen Gasimporte aus Russland bezahlen wolle, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Überzeugend ist das nur, wenn wir das russische Gas ersetzen können“, so der Ökonom. „Schlimm wäre es, wenn die EU im Herbst bei Putin zu Kreuze kriechen und um Gaslieferungen betteln müsste, die man vorher abgeschnitten hat.“

Bis Donnerstagnachmittag tauchte ein Swift-Ausschluss in den vorbereiteten Sanktionspaketen nicht auf. Dass sich die abwartende Haltung kurzfristig ändert, gilt als unwahrscheinlich. Statt einer langen Diskussion will die EU eher eine schnelle Entscheidung auf solche Maßnahmen, zu denen es einen Konsens gibt.

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte nach einer G7-Telefonschalte am Nachmittag im Parlament, dass er den Swift-Ausschluss Russlands befürworte. Dafür sei jedoch Einigkeit der G7 notwendig. Laut Regierungskreisen hatte Johnson in der Schalte dafür geworben, war jedoch nur von Kanada unterstützt worden.

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Swift ist ein genossenschaftlicher Zahlungsdienstleister, der mehr als 11.000 Banken und Finanzkonzerne in über 200 Ländern verbindet. Er gehört seinen Nutzern und hat seinen Hauptsitz in Belgien. Damit unterliegt er belgischem und europäischem Recht. Im Fall von entsprechenden EU-Sanktionen würde Swift russische Banken vom Netzwerk ausschließen – genauso wie die Organisation dies 2012 schon mit iranischen Banken getan hatte.

Durch die Abkopplung von Swift würden russische Banken weitgehend von den globalen Finanzströmen abgeklemmt. Auch viele westliche Banken müssten dann alternative Wege für die Abwicklung ihrer Russlandgeschäfte finden. „Jede Intervention, die das Swift-Zahlungssystem betrifft, hätte die größten Auswirkungen“, sagte Andrea Enria, der oberste Bankenaufseher der EZB, kürzlich.

Aus Sicht der Ratingagentur Fitch würde ein Ausschluss russischer Banken vom Swift-System sowie von Dollar-Transaktionen die Überlebensfähigkeit der Institute nicht gefährden, aber für große Herausforderungen sorgen. „Die Banken müssten dann alternative Wege finden, um ihre Transaktionen abzuwickeln und ihre Gläubiger zu bezahlen“, sagt der Moskauer Fitch-Bankenanalyst Anton Lopatin.

Alternativen aus Russland und China

Fitch geht davon aus, dass sich russische Banken mit der Zeit auf einen Swift-Ausschluss einstellen und stattdessen verstärkt andere Systeme nutzen würden. Eine Alternative sei dabei das SPFS-Zahlungssystem der russischen Zentralbank. Darüber seien bisher rund 20 Prozent der inländischen Zahlungen abgewickelt worden, erklärte die Ratingagentur kürzlich in einer Studie. Von internationalen Banken werde das System allerdings kaum genutzt.

Eine weitere Alternative wäre das chinesische Zahlungssystem Cips, das bei internationalen Zahlungen bisher jedoch ebenfalls deutlich weniger eingesetzt wird als Swift. Ein Swift-Ausschluss der russischen Banken könne die Entwicklung von Cips und anderen Swift-Alternativen jedoch beschleunigen, betont Fitch – und dafür sorgen, dass der Anteil des Dollars bei der Abwicklung internationaler Transaktionen über die Zeit etwas sinkt.

„Alle anderen Sanktionen verkraftbar“

Vasily Astrov, Russlandexperte des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) sieht im Swift-Ausschluss die schärfste Drohung: „Alle anderen Sanktionen sind für Russland zumindest kurzfristig verkraftbar“, sagte er.

Allerdings zeigten auch mögliche Exportbeschränkungen von Hightech-Gütern Auswirkungen: „Russland ist sehr stark auf diese Importe angewiesen“, sagte er. Ob Elektronik, Halbleiter-Chips oder Konsumelektronik: „Es wird schwer, diese Mengen auszugleichen, Importe aus Ländern wie etwa China oder Taiwan können das mittelfristig nicht auffangen.“

Russischen Banken lediglich den Zugang zu den europäischen Finanzmärkten zu verwehren verfehlte laut dem Russlandexperten allerdings seine Wirkung. „Die dadurch entstehenden Verluste der Banken können durch die russische Zentralbank und das Staatsbudget ausgeglichen werden.“

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland ist skeptisch, was die Wirkung der Sanktionen angeht: „Russland hat einen niedrigen Schuldenstand und ist nur wenig von Importen aus Europa abhängig.“ Außerdem habe das Land massiv Devisenreserven aufgebaut. „Über den militärisch relevanten Zeithorizont hinweg hält Russland das bestimmt nicht auf“, so Wieland. Entscheidend werde die militärische Widerstandsfähigkeit der Ukraine sein. „Wenn man es aufhalten will, müsste man die stärken.“

Ifo-Präsident Fuest erwartet, dass Putin die Sanktionen noch länger aushalten kann: „Bis zum nächsten Winter kann Russland sicherlich durchhalten, spätestens dann braucht Europa russisches Gas.“ Es bestehe wenig Aussicht, dass selbst schwere Sanktionen Putin zum Einlenken brächten.

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