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26.03.2023

10:23

Ukraine-Krieg

Putin stationiert taktische Atomwaffen in Belarus

PremiumRusslands Präsident wirft dem Westen einen zunehmenden Eskalationskurs vor. Die Ankündigung des Kremlchefs stößt international auf harsche Kritik.

Der russische Präsident kündigte an, Nuklearwaffen in Russland stationieren zu wollen. dpa

Wladimir Putin

Der russische Präsident kündigte an, Nuklearwaffen in Russland stationieren zu wollen.

Moskau Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Stationierung taktischer Atomwaffen in der ehemaligen Sowjetrepublik Belarus angekündigt. Darauf hätten sich die Führungen in Moskau und Minsk geeinigt, sagte Putin am Samstagabend dem Staatsfernsehen.

Russland verstoße damit nicht gegen den internationalen Atomwaffensperrvertrag. Der Kremlchef verwies darauf, dass auch die USA bei Verbündeten in Europa Atomwaffen stationiert haben. „Wir machen nur das, was sie schon seit Jahrzehnten machen.“ Belarus ist sowohl Nachbarland Russlands als auch der Ukraine.

Die USA haben ebenso in Deutschland Atomwaffen stationiert. Putin hatte in der Vergangenheit deren Abzug gefordert, weil Moskau sich dadurch bedroht sieht. Nun betonte der Kremlchef, dass Russland – wie die USA – seine Atomwaffen keinem anderen Land überlasse. Vielmehr würden sie dort vorgehalten, und es gebe eine Ausbildung an den Waffen.

Putin kündigte an, dass die entsprechenden Schulungen in Belarus am 3. April beginnen sollen. Die Schächte für die mit atomaren Sprengköpfen bestückbaren Iskander-Raketen sollen am 1. Juli fertig sein. Aus Minsk gab es dazu zunächst keine Angaben.

Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja schrieb auf Twitter, Russlands Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus verstoße direkt gegen die Verfassung von Belarus und widerspreche grob dem Willen des Volkes. Dabei verwies sie auf Belarus’ Status als nichtnuklearer Staat, der in der Erklärung der staatlichen Souveränität im Jahre 1990 zum Ausdruck gebracht wurde.

Zichanouskaja rief zudem die internationale Gemeinschaft dazu auf, Russland zum Stopp der Stationierung aufzufordern und forderte weiter „strenge Sanktionen“ gegen die Regime von Putin und Lukaschenko. Die früheren Sowjetrepubliken Belarus, Ukraine und Kasachstan, in denen einst Atomwaffen stationiert waren, hatten diese zwischen 1993 und 1996 an Russland übergeben. 1994 unterzeichnete Belarus das Budapester Memorandum und trat dem Atomwaffensperrvertrag bei, der bereits 1986 von der Sowjetunion, Großbritannien und den USA unterzeichnet wurde.

Ende August vergangenen Jahres hatte Moskau bei einer UN-Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags eine gemeinsame Abschlusserklärung blockiert. Verbindliche Fristen zum Abbau von Nuklearwaffen konnten so nicht wie vorgesehen festgelegt werden. Ende Februar setzte Russland zudem seine Teilnahme am „New Start“-Vertrag aus, der die strategischen Atomwaffenarsenale Moskaus sowie der USA begrenzt.

Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus: Bundesregierung kritisiert Putins Ankündigung scharf

Bei der Bundesregierung stieß Putins Ankündigung auf deutliche Kritik. Im Auswärtigen Amt in Berlin war am Samstagabend von einem „weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung“ die Rede. Die ukrainische Staatsführung reagierte demonstrativ unbeeindruckt auf die Ankündigung aus Moskau.

Auch Analysten des in Washington ansässigen Institute for the Study of War (ISW) zufolge ist Putins Ankündigung „für das nach wie vor äußerst geringe Risiko einer Eskalation zu einem Atomkrieg irrelevant“. Putin versuche, die Ängste des Westens vor einer Eskalation auszunutzen, schreiben die Experten des Instituts in einer aktuellen Analyse. „Russland setzt seit Langem atomwaffenfähige Waffen ein, die in der Lage sind, jedes Ziel zu treffen, das taktische Atomwaffen, die in Belarus stationiert sind, treffen können.“

Putin sei eher als „risikoaverser Akteur“ einzuschätzen, der mit dem Einsatz von Atomwaffen drohe, um die Entschlossenheit des Westens zu brechen. Putin hoffe jetzt darauf, die Moral der Ukraine und die westliche Unterstützung einzuschränken, um die Wirksamkeit einer möglicherweise bevorstehenden ukrainischen Gegenoffensive zu verringern.

Nach Informationen des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts Sipri verfügte Russland im Januar 2022 über einen Vorrat von etwa 4477 Atomsprengköpfen, etwa 20 weniger als im Jahr 2021. Rund 2500 davon seien strategische Sprengköpfe, knapp 1900 taktische Atomsprengköpfe.

Im Januar 2022 hatte Russland laut Sipri-Informationen damit das größte Atomwaffenarsenal der Welt, gefolgt von den USA mit 3708 Atomwaffen. Auf Platz drei steht China mit einer geschätzten Anzahl von 350.

Strategische Atomwaffen sind für den Einsatz über lange Distanzen konzipiert, sie können über 5500 Kilometer zurücklegen. Taktische Atomwaffen hingegen können weniger weite Strecke zurücklegen und haben eine geringere Sprengkraft, sie sind für den direkten Einsatz im Gefecht bestimmt. Zugleich weisen die Sipri-Forscher darauf hin, dass es sich lediglich um Schätzungen handelt.

Belarus und Russland engste Verbündete

Belarus und dessen Machthaber Alexander Lukaschenko gehören zu Moskaus engsten Verbündeten. Lukaschenko habe immer wieder um die Stationierung taktischer Atomraketen gebeten, sagte Putin. Der Dauer-Machthaber in Minsk – oft als „letzter Diktator Europas“ bezeichnet – hatte auch bedauert, dass Belarus sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor mehr als 30 Jahren von seinen Nuklearwaffen trennte. Die Ukraine hatte damals ebenso ihre Atomwaffen aufgegeben.

Russland und Belarus sind engste Verbündete. IMAGO/SNA

Alexander Lukaschenko (l.) und Wladimir Putin

Russland und Belarus sind engste Verbündete.

Russland habe Belarus schon beim Umbau von Flugzeugen geholfen, von denen nun zehn so ausgerüstet seien, dass sie ebenfalls taktische Nuklearwaffen abschießen könnten, sagte Putin. Taktische Atomwaffen haben eine geringere Reichweite als Interkontinentalraketen, aber auch noch von mehreren Hundert Kilometern. Die Sprengwirkung liegt zwischen einer und 50 Kilotonnen TNT. Russland stationiert aber keine strategischen Atomwaffen in Belarus, die etwa die USA erreichen könnten.

Mit der Stationierung reagiert Russland auf die zunehmenden Spannungen mit der Nato im Zuge von Putins Krieg gegen die Ukraine. Russland war vor mehr als einem Jahr in die Ukraine einmarschiert. Konkret empörte sich Moskau zuletzt über die mögliche Lieferung von Uranmunition aus Großbritannien an die Ukraine. Die Geschosse mit abgereichertem Uran haben eine besondere Schlagkraft, um etwa Panzer zu zerstören.

Putin warnte im Staatsfernsehen vor dem Einsatz solcher Munition. Uranmunition gehöre „zu den schädlichsten und gefährlichsten für den Menschen“, da der Urankern radioaktiven Staub verursache und die Böden verseuche. „Wir haben ohne Übertreibung Hunderttausende solcher Geschosse“, sagte er. Bisher seien sie aber nicht eingesetzt worden.

Stationierung taktischer Atomwaffen: Einschüchterung der Nato, so Experten

Wissenschaftler werteten Putins Ankündigung als wichtiges Signal. „Das ist ein Teil von Putins Versuch, die Nato einzuschüchtern“, sagte der Experte Hans Kristensen von der auf Rüstungs- und Sicherheitsthemen spezialisierten Federation of American Scientists. Militärischen Nutzen ziehe Russland aus diesem Schritt allerdings nicht, da es bereits ein umfassendes Atomwaffenarsenal auf dem eigenen Staatsgebiet unterhalte.

Nikolai Sokol vom Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation bezeichnete Putins Entscheidung als wesentlichen Schritt. Dass Russland Atomwaffen außerhalb seines Territoriums stationiere, sei eine große Veränderung.

Das US-Präsidialamt erklärte nach Putins Ankündigung, es sei weder ein Grund zur Änderung der US-Nuklearwaffenpolitik zu erkennen noch gebe es Anzeichen für Vorbereitungen Russlands zum Einsatz einer Nuklearwaffe. Die USA beobachteten die Lage und blieben der kollektiven Verteidigung der Nato verpflichtet. Ähnlich äußerte sich das US-Verteidigungsministerium. Ein hoher Regierungsbeamter sagte, Russland und Belarus hätten bereits seit dem vergangenen Jahr über eine solche Vereinbarung gesprochen.

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, sprach hingegen von einer äußerst gefährlichen Eskalation. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sei die Gefahr einer Fehleinschätzung sehr hoch. Es bestehe das Risiko katastrophaler humanitärer Folgen, erklärte das Bündnis, das 2017 den Friedensnobelpreis erhalten hatte.

London wirft Putin Falschinformationen vor

Die britische Armee verwendet seit Jahrzehnten abgereichertes Uran in panzerbrechenden Geschossen. Das Verteidigungsministerium in London warf Putin Falschinformation vor, nachdem er von einer „nuklearen Komponente“ gesprochen hatte. Putin wisse, dass dies nichts mit nuklearen Waffen oder Fähigkeiten zu tun habe.

Die USA haben im Zuge der atomaren Abschreckung der Nato Atombomben in mehreren europäischen Ländern stationiert. Offizielle Angaben gibt es dazu zwar nicht, es sollen aber weiterhin in den Niederlanden, in Belgien, Italien und Deutschland Atomwaffen lagern – außerdem im asiatischen Teil der Türkei. Mit Großbritannien und Frankreich besitzen weitere Nato-Staaten eigene Atomwaffen.

Auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der rheinland-pfälzischen Eifel sollen noch bis zu 20 US-Atombomben stationiert sein, die im Ernstfall mit Tornado-Kampfjets der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. Die in Büchel stationierten Tornados sollen ab 2027 durch moderne Kampfjets aus US-Produktion vom Typ F35 ersetzt werden.

In dem Interview sagte Putin auch, dass Russland angesichts der westlichen Panzerlieferungen für die Ukraine die eigene Panzerproduktion erhöhen werde. „Die Gesamtzahl der Panzer der russischen Armee wird die der ukrainischen um das Dreifache übertreffen, sogar um mehr als das Dreifache.“ Während die Ukraine aus dem Westen 420 bis 440 Panzer bekomme, werde Russland 1600 neue Panzer bauen oder vorhandene Panzer modernisieren.

Putin sagte zudem, Russland könne das Dreifache der Munitionsmenge produzieren, die der Westen der Ukraine liefern wolle. Die nationale Rüstungsindustrie entwickle sich in hohem Tempo. Allerdings wolle er die eigene Wirtschaft nicht übermäßig militarisieren, behauptete der Kremlchef. Tatsächlich wurde in Moskau bereits eine Regierungskommission gegründet, die kontrollieren soll, dass die Wirtschaft den Anforderungen des Militärs gerecht wird. Während die russische Wirtschaft schwer unter den westlichen Sanktionen leidet, arbeitet die Rüstungsindustrie im Hochbetrieb.

Erstpublikation: 25.03.2023, 19:20 Uhr (zuletzt aktualisiert: 26.03.2023, 10:23 Uhr).

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