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Mit dem Angriff auf die Ukraine tobt auch der Informationskrieg im Netz. Russland-Experte Stefan Meister erklärt, wie die Desinformation aussieht – und wie der Westen sie bekämpfen kann.
Herr Meister, Russland greift aktuell die Ukraine an. In den sozialen Medien finden sich viele Stimmen, die die Invasion rechtfertigen. Welche Rolle spielt dabei Desinformation – also die bewusste Verbreitung von Falschinformationen –, durch Russland?
Desinformation ist neben Hackerattacken Teil der russischen Militärkampagne. Von Anfang an sollte das Verbreiten von Falschinformationen Ängste schüren, für Verwirrung sorgen und die Ukraine als „faschistischen“ sowie dysfunktionalen Staat diskreditieren.
Diese Desinformation zielt auf die russische, ukrainische und westliche Bevölkerung ab. Deshalb gilt es, sehr dabei aufzupassen, welchen Informationen man im Internet in dieser Lage Glauben schenkt, auch mit Blick auf den Kriegsverlauf. Besonders in Deutschland will Russland die Angst vor hohen Gaspreisen sowie Kriegsangst befördern und spielt mit historischen Narrativen von Schuld.
Wie sieht russische Desinformation konkret aus?
Sie findet vor allem in den sozialen Medien statt – zum Beispiel verbreiten auf Facebook oder Twitter offizielle Stellen wie Russlands Außenministerium Falschinformationen, um Verwirrung über den Angriff auf die Ukraine zu stiften. Aber auch russische Fernsehsender im In- und Ausland sind an Desinformation beteiligt und verwenden zum Beispiel gefälschte Bilder oder Videos, um ihre Propaganda zu stützen.
Es geht darum, falsche Narrative und Vorwände für einen Angriff zu befördern: Dass es in der Ostukraine einen Genozid an der russischen Minderheit gebe, die Ukraine nur ein Vasallenstaat des Westens sei, dass die USA gegen Russland Krieg führten und es schwächen wolle. Für keine dieser Behauptungen gibt es Belege.
Welche Gefahren gehen von diesem Vorgehen aus?
Wenn die westliche Bevölkerung durch Desinformation verängstigt, verunsichert oder zermürbt ist, trägt sie womöglich keine Sanktionen gegen Russland mit. Im schlimmsten Fall wäre der Westen also komplett unfähig, auf Russlands Angriff zu reagieren. Dann bliebe die Invasion ohne gravierende Folgen für das russische Regime. Teilweise hatte dieses russische Vorgehen bereits Erfolg: In Bulgarien, Tschechien und der Slowakei ist die Gesellschaft gespalten, ob und wie sie auf den Angriff reagieren soll.
Stefan Meister
Der Russland-Experte ist Programmleiter für Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zu seinen Fachgebieten gehört russische Desinformation und hybride Kriegsführung. Zudem beschäftigt sich Meister bei der DGAP mit Russlands Beziehungen zu seinen postsowjetischen Nachbarn – zu denen auch die Ukraine gehört.
Mit welchen Narrativen muss der Westen in den kommenden Tagen, Wochen oder Monaten rechnen?
Wir sind bereits mitten in einer Propagandaschlacht, was den Angriff auf die Ukraine und dessen Vorbereitung angeht. Rechnen würde ich mit Falschinformationen über russische Siege und ukrainische Niederlagen sowie gefälschte Berichte von ukrainischen Greueltaten zur Rechtfertigung der russischen Handlungen.
Wie kann der Westen die russische Propaganda bekämpfen?
Zum einen sollten Politiker oder offizielle Stellen bewusst gestreute Falschinformationen auch klar als Lüge benennen, vor allem da, wo keine Belege vorliegen – wie zum Beispiel die Erzählung von einem angeblichen Genozid an Russen in der Ostukraine. Langfristig sinnvoll wäre es, wenn Europas Geheimdienste und weitere Institutionen gemeinsam Informationen sammeln und mit ihnen Desinformation bekämpfen würden.
Und kurz- bis mittelfristig?
Es geht auch darum, Bildung im Umgang mit sozialen Medien und Falschinformation zu stärken. Dazu zählt zum Beispiel das Überprüfen von Meldungen durch verschiedene Quellen, die Klärung der Quellen von Informationen, die man teilt. Und der sorgfältige Umgang mit Bildern und Filmen.
Unabhängige Medien müssen zudem gestärkt werden, sie müssen aufmerksam bleiben und unbelegten Behauptungen auf den Grund gehen. Auch die europäische Einheit „East Stratcom Taskforce“, die russische Desinformation gezielt bekämpft, ist sinnvoll und sollte gestärkt werden. Doch solche Strukturen braucht es auch auf nationaler Ebene, also in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten.
Welche Verantwortung tragen Plattformen wie Facebook und Twitter?
Bislang haben die sozialen Medien eine negative Rolle gespielt, weil sie Desinformation befördert und nicht konsequent genug geahndet haben. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat die Verfolgung von gefährlichen Beiträgen deutlich nach vorne gebracht, auch wenn es dabei vorrangig um Hassrede geht. Es braucht klare gesetzliche Regeln und deutlich härtere Strafen für Verstöße gegen die Vorgaben. In Zukunft sollten die Betreiber von Facebook und Twitter transparent machen müssen, nach welchen Kriterien sie Falschinformationen und Fakes löschen – und auch mehr Ressourcen dafür bereitstellen.
Fake News
Russland lässt Falschinformationen über seinen Angriff auf die Ukraine verbreiten.
Bild: imago images/Christian Ohde
Welchen Einfluss hat Desinformation auf die russische Bevölkerung und ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine?
Die russische Bevölkerung war nicht wirklich vorbereitet auf den Angriff auf die Ukraine und ist durch die jahrelangen Kämpfe in Syrien und anderen Ländern auch kriegsmüde. Die Propaganda seit Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre hat zudem großes Misstrauen in der Bevölkerung geschürt – ein Teil glaubt dem Regime überhaupt nichts mehr, aber auch dem Westen nicht.
Für diesen Teil gibt es also keine Wahrheiten mehr, weil jeder nur noch lügt. Es ist ein tiefer Vertrauensverlust in jegliche Art von Politik, Institutionen und Informationen. Doch durch Propaganda und Desinformation wurde das Feindbild Westen und USA so stark geschürt, dass es jederzeit aktiviert werden kann.
Was bedeutet das konkret?
Ich rechne damit, dass die Russen ihre Skepsis sehr schnell ihrem Patriotismus unterordnen werden und sich hinter ihre politische Führung stellen.
Gibt es Hoffnung, dass Gegenkräfte in Russland die Desinformation zurückdrängen?
Da bin ich sehr pessimistisch. Seit 2012 operiert ein massiver Repressionsapparat in Russland. Wer anderer Meinung ist als die russische Führung, muss ins Ausland fliehen oder landet im Gefängnis. Freie Medien wurden systematisch dichtgemacht, oder von Oligarchen und staatlichen Unternehmen aufgekauft und gleichgeschaltet.
Die wenigen unabhängigen Medien operieren zunehmend aus dem Ausland und sind für viele Russen nicht erreichbar. Eine Opposition existiert praktisch nicht. Es gibt keine Öffentlichkeit in Russland, die Putin für seinen Krieg kritisieren könnte.
Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.
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