PremiumIn Ankara sprachen die Außenminister Russlands und der Türkei über ein Ende der Seeblockade für ukrainisches Getreide. Die Regierung in Kiew reagiert massiv verärgert.
Lawrow (l.), Cavusoglu
Der russische und der türkische Außenminister gestern in Ankara: Obwohl Nato-Mitglied, versucht die Türkei, im Konflikt mit Russland eine neutrale Rolle einzunehmen.
Bild: IMAGO/SNA
Istanbul
Am Mittwochmorgen haben die Außenminister Russlands und der Türkei in Ankara über Ende der Blockade von Schwarzmeerhäfen für Getreideexporte verhandelt. Doch schon im Vorfeld gab es massiven Ärger: Der ukrainische Botschafter in der Türkei beschwerte sich darüber, dass sein Land bei den Verhandlungen außen vor bleibe.
„Entscheidungen über landwirtschaftliche Produkte in der Ukraine sollten unter Beteiligung aller interessierten Parteien getroffen werden“, erklärte Wassyl Bodnar – und wurde noch deutlicher: „Vereinbarungen, die die Interessen der Ukraine nicht berücksichtigen, werden von uns abgelehnt.“
Seine Regierung arbeite derzeit mit den Vereinten Nationen „und unseren Partnern“ an der Möglichkeit, einen humanitären Korridor für den Export von Agrarprodukten aus der Ukraine einzurichten. Die Türkei gehört offenbar nicht mehr zu den Partnern der Ukraine.
Das kommt einem Misstrauensvotum gegenüber der Türkei als Vermittler im Ukrainekrieg gleich. Tatsächlich war in dem Gespräch zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu über die Ukraine geredet worden, und zwar zuungunsten des Landes. Lawrow machte die Ukraine selbst für die Blockade von ukrainischem Getreide in Häfen am Schwarzen Meer verantwortlich. Die Ukraine weigere sich bislang, ihre Häfen zu entminen oder anderweitig Durchfahrten von Frachtschiffen zu gewährleisten.
Faktisch blockiert die russische Marine seit Beginn des Angriffskriegs auf das Nachbarland vor mehr als drei Monaten die ukrainischen Schwarzmeer-Häfen. Die Ukraine, weltweit der viertgrößte Getreideexporteur, sitzt deshalb auf den eigenen Vorräten fest.
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Nach ukrainischen Angaben können mehr als 23 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten nicht exportiert werden. Vor dem Krieg gingen 90 Prozent des Exports über die Häfen hinaus. Drei davon – Mariupol, Berdjansk und Cherson – sind unter russischer Kontrolle. Der Hafen in Mykolajiw ist schwer beschädigt, daher laufen nun die Verhandlungen in erster Linie über die Freigabe von Odessa.
Das Unbehagen in Kiew wächst aber nicht nur, weil man sich von den Gesprächen ausgeschlossen fühlt. Der ukrainische Botschafter in der Türkei behauptet auch, aus der Ukraine gestohlenes Getreide sei in der Türkei aufgetaucht und von dort aus in andere Länder verkauft worden. Wassyl Bodnar sagte, auch die Türkei gehöre zu den Empfängerländern des gestohlenen Getreides. Seine Botschaft bereite Strafverfahren gegen Einzelpersonen und Unternehmen vor, die am Verkauf der Ware beteiligt gewesen seien. Man werde dabei unterstützt von der internationalen Polizeibehörde Interpol.
„Jeder, der in den Verkauf gestohlener Waren verwickelt ist, wird gefunden und vor Gericht gestellt“, sagte der Botschafter. Bodnar warnte, dass Unternehmen, die mit Russland Geschäfte machten, von der Teilnahme an künftigen Projekten zum Wiederaufbau der Ukraine ausgeschlossen würden.
Für Verärgerung sorgt auch die Aussage des türkischen Landwirtschaftsministers Vahit Kirisci vom Wochenende: „Die Ukraine hat zugestimmt, uns einen Rabatt von 25 Prozent auf Getreide zu gewähren, wenn das Geschäft zustande kommt“, hatte Kirisci gesagt. Türkische Regierungsbeamte sprachen immer wieder von einem gemeinsamen Abkommen zwischen Ankara, Kiew und Moskau, in dem festgelegt werden soll, bis zu 25 Millionen Tonnen von Odessa nach Istanbul zu transferieren.
Hafen von Mariupol
25 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide können derzeit nicht verschifft werden, weil der Seeweg über das Schwarze Meer versperrt ist.
Bild: IMAGO/ITAR-TASS
Die Ukraine wirft der Türkei in diesem Zusammenhang massive Eigeninteressen vor. Viele Länder des Nahen Ostens, darunter Ägypten, Tunesien und Algerien, sind von Getreideexporten aus der Ukraine abhängig. Wenn die Türkei die Kontrolle über das Getreide erhält, würde das die Bedeutung Ankaras in der Region stärken – die Ukraine selbst geriete dabei aber ins Hintertreffen.
Und dann ist da noch das Unverständnis darüber, dass die Türkei den Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato blockiert. Die Ukraine sieht dadurch ihre eigene Position geschwächt. Würden die beiden Staaten dem Verteidigungsbündnis beitreten, würde Russland sein eigenes Militär in Nordeuropa verstärken und damit Kräfte binden, die dann nicht für den Krieg in der Ukraine zur Verfügung stünden.
Die Türkei sieht sich seit Kriegsbeginn Ende Februar in der Vermittlerrolle. Ankara hat sich nicht an Sanktionen gegen Moskau beteiligt – mit Ausnahme der Sperrung ihres Luftraums für militärische und zivile Flugzeuge, die Soldaten aus Russland nach Syrien bringen. Im März hatten sich ukrainische und russische Delegationen in Istanbul getroffen. Zuvor waren Lawrow und sein ukrainischer Amtskollege Dmytro Kuleba in der Mittelmeerstadt Antalya zusammengekommen.
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