Westliche Partner drängen die Bundesregierung im Konflikt mit Russland zu mehr Klarheit. Zugleich bittet die Ukraine um zusätzliche Hilfen.
Pekka Haavisto, Außenminister von Finnland, und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock
Beratungen zur Lage in der Ukraine zwischen Finnland und Deutschland.
Bild: imago images/photothek
Berlin, New York Täglich erfährt die Öffentlichkeit derzeit, wie die US-Geheimdienste über Angriffsszenarien und einen russischen Einmarsch in die Ukraine spekulieren. In der Ukraine wächst die Angst vor einem Überfall, obwohl die Führung des Landes davor warnt, in Panik zu verfallen. In der EU und den USA werden bereits Szenarien für eine Flüchtlingswelle aus der Ukraine im Falle eines Einmarschs russischer Truppen erörtert. Und die Bundesregierung versucht nun, den wachsenden Druck ihrer Partner zu entkräften.
Dazu trifft Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am heutigen Montag erstmals im Weißen Haus US-Präsident Joe Biden. Außenministerin Annalena Baerbock reist parallel nach Kiew, um mit ihrem Amtskollegen Dmitro Kuleba und Präsident Wolodimir Selenski über deutsche Unterstützung zu reden.
Vor dem Eintreffen des Kanzlers ist in Washington die Verärgerung über Berlin gewachsen: „Deutschland gilt als unzuverlässiger Partner und das schwächste Glied in der Nato, wenn es darum geht, wie man mit Putin umgeht“, beschreibt Jackson Janes, Senior Fellow des German Marshall Fund in Washington, die Lage. Berlins Weigerung, Kiew statt Verteidigungswaffen Helme und ein Feldlazarett zu liefern, habe die Kritik nur verstärkt.
Ein „Überdenken der deutschen Haltung“ fordert der republikanische Senator James Risch. Dazu zähle die klare Ansage, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen werde sollte, falls Russland die Ukraine angreift: „Als Russland 2014 auf der Krim einmarschierte, haben wir ähnliche Beteuerungen gehört, aber einige Monate später hat Deutschland Nord Stream 2 wieder vorangetrieben.“ Das dürfe sich keinesfalls wiederholen.
Die Kritik an Deutschland hat in den USA so stark zugenommen, dass die deutsche Botschaft in Washington bei Abgeordneten und Senatoren seit einigen Tagen Handzettel mit dem Titel „German Support for Ukraine“ verteilt. Anhand von 14 Punkten wird darin aufgelistet, wie Deutschland der Ukraine seit Jahren hilft.
Die Diskussion um die Ostseepipeline Nord Stream 2 wird eine zentrale Rolle auf der Scholz-Reise spielen. Der Kanzler hat sich die Misere selbst eingehandelt. Wiederholt sprach er davon, die Pipeline sei als „privatwirtschaftliches“ Vorhaben zu behandeln, eine Formulierung, die in Washington erhebliche Irritationen auslöste.
>> Lesen Sie hier: Olaf Scholz trifft Joe Biden – doch die Reise ist mehr als nur ein Antrittsbesuch
Im vergangenen Sommer hatten sich Deutschland und die USA auf eine mühsam ausgehandelte Erklärung zu Nord Stream 2 verständigt, in der sich Deutschland verpflichtete, „dass Russland keine Pipeline, einschließlich Nord Stream 2, zur Erreichung aggressiver politischer Ziele einsetzt“. Auch wenn der Text in Teilen vage blieb, interpretieren die Amerikaner die Übereinkunft als implizite Zusage, dass die inzwischen fertig gebaute Erdgasleitung im Falle einer russischen Aggression gegen die Ukraine nicht in Betrieb geht.
Diese Deutung soll auch die Bundesregierung akzeptiert haben: In Koalitionskreisen ist zu hören, es habe eine informelle Zusage gegeben, die die Erklärung ergänzt. Demnach habe Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Biden zugesichert, dass Nord Stream 2 nicht ans Netz gehen werde, wenn Russland in der Ukraine einfällt. Merkel habe das, so heißt es weiter, auch im Namen von Scholz getan.
Als Scholz, kaum dass er im Amt war, die Pipeline zur unpolitischen Angelegenheit erklärte, fürchteten die Amerikaner, der neue Kanzler wolle den mühsam ausgehandelten Kompromiss infrage stellen.
Zu mehr Selbstbewusstsein im Auftreten gegenüber Russland ruft indes Finnlands Außenminister Pekka Haavisto auf: „Russland ist gezwungen zu einer anderen Kooperation mit dem Westen“, sagte Haavisto dem Handelsblatt. Denn: „Russland braucht Europa und westliche Technologien, wenn es aus der Rohstoffwirtschaft raus und eine höhere Produktionstiefe erreichen will.“ Moskau wisse, „dass wir noch vielleicht zehn Jahre abhängig sind von Öl und Gas, aber dann mit Erneuerbaren und grünen Technologien uns daraus lösen“.
US-Präsident Joe Biden mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel
Im Sommer 2021 hatten sich die deutsche und US-amerikanische Regierung auf eine Erklärung zu Nord Stream 2 geeinigt.
Bild: imago images/UPI Photo
Tatsächlich reagieren wichtige russische Konzerne bereits: Noch bevor die von den USA angedrohten Exportverbote für Hightech-Produkte nach Russland im Falle eines Einmarschs greifen, bereitet etwa die größte Bank Osteuropas, die staatlich dominierte russische Sberbank, ein Arbeiten ohne westliche Computer und Software vor.
Laut dem Moskauer Wirtschaftsblatt „Kommersant“ wurde bereits geprobt, ohne IT-Produkte von Microsoft, SAP, Nvidia und VMware auszukommen. Der massive Kauf russischer Hardware werde vorbereitet. Gazprom-Chef Alexej Miller hatte sich sogar in einem Brief an die russische Regierung über die hohen Kosten beschwert, die die Umstellung auf russische Hard- und Software dem weltgrößten Gasförderer bereite.
Als Anzeichen für eine möglicherweise bevorstehende Invasion haben US-Geheimdienste inzwischen ausgemacht, dass Russland seine Übung der strategischen Atomstreitkräfte vorziehen wolle.
Die findet normalerweise im Herbst statt, sei aber jetzt auf Mitte Februar bis März vorgezogen worden, verlautete aus amerikanischen Militärkreisen. Das Manöver könnte als Mahnung an den Westen dienen, im Falle eines militärischen Konflikts in der Ukraine nicht zu intervenieren.
Biden hat mehrfach erklärt, dass er keine US-Truppen zum Kämpfen in die Ukraine schicken wird. Er hat aber zusätzliche Einheiten nach Polen und Rumänien entsandt, um Moskau Amerikas Entschlossenheit zu demonstrieren.
Auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte an, das Bundeswehrkontingent in Litauen zu verstärken. Darüber hinaus würden Eurofighter zur Luftüberwachung nach Rumänien verlegt. „Jeder in der Nato kann sich auf uns verlassen“, betonte sie. Waffenlieferungen an die Ukraine schloss sie aber erneut aus.
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