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15.02.2022

18:29

Ukraine-Krise

Wie EU-Länder ihre Abhängigkeit von Gas aus Russland verringern wollen

Von: Gerd Höhler, Christian Wermke, Daniel Imwinkelried, Gregor Waschinski, Sandra Louven, Helmut Steuer

Athen, Rom, Wien und Prag versuchen sich gegen Lieferengpässe bei russischem Gas kurz- und mittelfristig zu wappnen. Die Staaten verfolgen dabei verschiedene Lösungsansätze.

Nicht nur Deutschland ist in Europa stark abhängig von den Gaslieferungen. imago images/ITAR-TASS

Gasförderung bei Murmansk, Russland

Nicht nur Deutschland ist in Europa stark abhängig von den Gaslieferungen.

Athen, Rom, Wien, Paris, Madrid, Stockholm Die Furcht vor einem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und dann folgenden wirtschaftlichen Auseinandersetzungen mit Moskau haben in einigen europäischen Hauptstädten zu Krisensitzungen in Sachen Gasversorgung geführt. Am Montag besprach in Athen der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit einem Team Notfallszenarien. Mit dabei waren unter anderem Energieminister Kostas Skrekas und die Chefs des staatlichen Gasversorgers Depa, der Regulierungsbehörde RAE sowie des Elektrizitätsversorgers Public Power Corporation.

Griechenland bezieht 40 bis 45 Prozent seines Gases vom russischen Staatskonzern Gazprom. Der Rest kommt über die Türkei aus Aserbaidschan sowie als Flüssiggas (LNG) aus Algerien, Katar und den USA. Erst Anfang Januar hatte Depa mit Gazprom einen neuen Liefervertrag für die Jahre 2022 bis 2026 abgeschlossen. Nun muss sich zeigen, was die Unterschriften wert sind.

Das Erdgas ist für Wärme, aber auch für die Stromproduktion in Gaskraftwerken zentral. Die für Griechenland gute Nachricht: Eine Unterbrechung der Pipelines, durch die russisches Erdgas über die Ukraine nach Europa fließt, würde das Land so gut wie nicht treffen, weil Gazprom es über Leitungen beliefert, die durch die Türkei und Bulgarien führen. Sollten auch sie ausfallen, könnte Griechenland nach Einschätzung von Experten etwa die Hälfte der Verluste durch zusätzliche Lieferungen aus Aserbaidschan sowie durch mehr LNG-Importe ausgleichen.

Die Speicher des Flüssiggasterminals Revithoussa bei Athen sind so gut gefüllt wie lange nicht mehr. Im Januar trafen dort neun LNG-Tanker ein, bis Ende Februar werden weitere sieben Lieferungen erwartet. Offen ist aber, wie viel LNG in einem Krisenfall auf dem Weltmarkt überhaupt zu bekommen ist – und zu welchem Preis.

Bei einem kompletten Wegfall der russischen Gaslieferungen will die Regierung Gaskraftwerke mit Heizöl betreiben. Außerdem trifft der staatliche Stromversorger DEI Vorbereitungen, im Notfall bereits vom Netz genommene Braunkohlekraftwerke wieder hochzufahren.

Auch Rom spricht mit Katar über Flüssiggas

Die italienische Regierung sucht nach Alternativen zum russischen Gas: Am Montag trafen sich Premier Mario Draghi und Außenminister Luigi Di Maio mit dem katarischen Vizepremier. Katar ist einer der größten Flüssiggasexporteure weltweit. Italien bekommt von dem Land schon heute knapp zehn Prozent seines Gases. Nun hofft Rom, dass diese Menge im Falle eines Krieges gesteigert werden kann.

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Italien gehört zu den Staaten, die mit 40 Prozent einen großen Anteil ihres Erdgases aus Russland beziehen. Im Januar, als Russland seine Lieferungen Richtung Europa drosselte, konnte Italien dies noch über verstärkten Zukauf von Flüssiggas aus anderen Ländern und über Vorräte ausgleichen.

Doch die Speicher sind auf einem kritischen Niveau. Immerhin spielt die Zeit für Italien: Der Winter ist in weiten Teilen des Landes schon vorbei, die Menschen müssen weniger heizen. Langfristig will Rom durch den Ausbau erneuerbarer Energien unabhängiger vom Gas werden, das im Energiemix mehr als 42 Prozent ausmacht.

In Österreich, das bis zu 80 Prozent seines Verbrauchs aus Russland bezieht, sprach sich Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck für das „Anlegen strategischer Gasreserven“ aus. Zudem brauche das Land neben den langfristigen Gaslieferverträgen mit Russland und Norwegen neue Energiepartnerschaften. Die Ministerin hat dazu eigenen Angaben zufolge mit Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate und des Oman Gespräche geführt. Geplant sind auch Sondierungsgespräche mit Saudi-Arabien.

Bau und verstärkte Nutzung von LNG-Terminals

Tschechien wiederum will sich an einem LNG-Terminal beteiligen. Das ist in einer Übereinkunft der seit vergangenem Herbst regierenden Parteien‧allianz festgehalten. Am wahrscheinlichsten scheint eine Beteiligung am polnischen Terminal in Swinoujscie. Um Gas aus Polen nach Tschechien zu leiten, muss allerdings die Pipelineverbindung zwischen den beiden Staaten noch verbessert werden.

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Bestätigt in ihrer Strategie, sich frühzeitig unabhängiger von russischem Erdgas zu machen, fühlen sich Finnland und die baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen. Im litauischen Klaipeda wurde vor Jahren ein LNG-Terminal errichtet, für das Norwegen der Hauptlieferant ist. Von Klaipeda aus wird das Flüssiggas auch in die Nachbarländer geliefert, sodass die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen deutlich abgenommen hat. Auch Estland plant den Bau zweier LNG-Terminals.

Auch Spanien sieht sich gut diversifiziert aufgestellt. Aus Russland importiertes Gas macht nur rund zehn Prozent der Gasimporte aus und kommt nicht über Pipelines, sondern in verflüssigter Form per Schiff. Spanien verfügt über sieben Häfen mit Anlagen, die Flüssiggas regasifizieren können.

Gazprom ist der Weltweit größte Erdgasförderer. Reuters

Gazprom

Gazprom ist der Weltweit größte Erdgasförderer.

Das entspricht 30 Prozent der europäischen Kapazitäten. Die helfen dem Rest Europas derzeit allerdings wenig, denn es fehlen Gaspipelines von Spanien nach Nordeuropa. „Nur damit macht der Transport aus Spanien Sinn“, sagt Diego Rodríguez Rodríguez, Energieexperte der Complutense-Universität in Madrid.

Auch Frankreich ist deutlich weniger abhängig von russischem Gas als andere europäische Länder. Der französische Energiekonzern Engie sieht die Versorgung in der Krise gesichert. Es gebe ein breit aufgestelltes Portfolio bei den Herkunftsländern, heißt es dort. Die Gasspeicher seien noch gut gefüllt.

Frankreich verfügt über vier LNG-Terminals, auf die das Land bei einem Engpass setzt. Zudem stammen 70 Prozent der französischen Stromerzeugung aus der Atomkraft. Und viele Franzosen heizen auch mit Strom.

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