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19.09.2022

14:07

UN-Vollversammlung

Wie die Vereinten Nationen bei ihren zentralen Aufgaben reihenweise Rückschläge erleiden

Von: Jan Dirk Herbermann

Hunderte Spitzenpolitiker beraten ab Dienstag auf dem UN-Gipfel über Klimawandel, Kriege und Hunger. Doch viele Krisen verstärken sich gegenseitig.

Tief beeindruckt: António Guterres in Pakistan. Reuters

UN-Generalsekretär

Tief beeindruckt: António Guterres in Pakistan.

Genf Eine Reise nach Pakistan hat UN-Generalsekretär António Guterres nachhaltig beeindruckt. Dort, wo der Klimawandel katastrophale Überschwemmungen mitverursacht hat, habe er wie durch ein „Fenster in die Zukunft“ geschaut, „eine Zukunft mit dauerhaftem und allgegenwärtigem Klimachaos in unvorstellbarem Ausmaß“.

So äußert sich Guterres kurz vor dem Gipfel der Vereinten Nationen, der an diesem Dienstag in New York beginnt. Die voranschreitende Erderwärmung mit ihren verheerenden Folgen ist dann aber nur eine von mehreren Krisen, die auf dem Programm der einwöchigen Generaldebatte der Vollversammlung stehen.

Bewaffnete Konflikte wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Hungersnöte in vielen Teilen der Welt, wachsende Armut, die noch nicht überstandene Coronapandemie und ein Trend zu Autokratie und Unterdrückung – auf dem Gipfel sehen sich US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, viele weitere Staats- und Regierungschefs, Minister sowie zahlreiche Fachleute mit riesigen globalen Herausforderungen konfrontiert.

Dabei beschleunigen einige dieser Krisen andere: So erschwerte Russlands Aggression gegen die Ukraine die Getreideexporte aus dem Land, was wiederum zu einer Lebensmittelknappheit und höheren Getreidepreisen weltweit führte.

Die Erderwärmung wiederum führt zu Dürren und Hunger – und bringt Länder auch politisch ins Wanken. „Eine weitere innere Schwächung des Atomwaffenstaates Pakistan etwa könnte unabsehbare Folgen haben“, warnt ein Diplomat mit Blick auf die Jahrhundertflut in dem asiatischen Land.

Insgesamt müssen die Vereinten Nationen auf ihren zentralen Aktionsfeldern, der Sicherung des Friedens, der Wahrung der Menschenrechte und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, in jüngster Zeit schwere Rückschläge erdulden. Die UN, so diagnostiziert die US-Botschafterin bei der Organisation, Linda Thomas-Greenfield, „sieht sich einer Vertrauenskrise“ ausgesetzt.

Diese Krise dürfte auch auf dem Gipfel nicht entschärft werden. Überhaupt werden laut Diplomaten von dem Treffen wenig Impulse ausgehen, die den Zustand der Welt verbessern und sie friedlicher machen.

Zwar soll der UN-Sicherheitsrat am Donnerstag erneut über den Krieg in der Ukraine beraten. Bei der hochrangig besetzten Sitzung ist aber nur mit Verbalangriffen der russischen Vertreter auf den Westen und andersherum zu rechnen – wie schon bei mehreren Ukraine-Zusammenkünften des mächtigsten UN-Gremiums zuvor. Als Vetomacht verhindert das ständige Mitglied Russland alle ihm unliebsamen Entscheidungen.

Diese Blockadehaltung ist kein neues Phänomen. „Jeder, der von der Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates in der Ukraine überrascht ist, hat das Gremium in den letzten Jahren einfach nicht richtig beobachtet“, erläutert Richard Gowan, UN-Direktor bei der International Crisis Group. „Bei anderen großen Krisen, wie dem Krieg in Äthiopien und dem Putsch in Myanmar, hat der Rat aufgrund von Spannungen zwischen den ständigen Mitgliedern auch nicht entschieden gehandelt.“ Zu den fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht gehören neben Russland die USA, China, Großbritannien und Frankreich.

Stillstand beim Thema Armutsbekämpfung

Der nicht enden wollende Konflikt in Syrien demonstriert ebenso die Lähmung des Sicherheitsrates. Erst vor wenigen Tagen warnte eine UN-Untersuchungskommission vor einer „Intensivierung“ der Gewalt entlang der Grenze Syriens mit der Türkei zulasten von Millionen Zivilisten.

Der Sicherheitsrat aber bleibt bei der Suche nach Friedenslösungen untätig – Russland bremst hier die Gemeinschaft aus. Bis auf Minimalkompromisse für die humanitäre Versorgung der Bevölkerung bringt der „Security Council“ im Syrienkonflikt nichts zustande.

Auf einem weiteren zentralen Arbeitsgebiet der UN, der Achtung und Förderung der Menschenrechte, scheinen nicht einmal mehr minimale Verständigungen zwischen den Großmächten erreichbar. So bleibt den US-amerikanischen und europäischen Vertretern nur, die Gräueltaten russischer Soldaten in der Ukraine oder die Vergehen Chinas in den staatlichen Umerziehungslagern in der Provinz Xinjiang – jeweils gestützt von Moskau und Peking – anzuprangern.

Auch beim Thema Entwicklung und Armutsbekämpfung kommt die Weltgemeinschaft nicht voran. Im Jahr 2021, also noch vor Russlands Angriff auf die Ukraine, litten laut UN etwa 828 Millionen Menschen unter Hunger. Das waren 150 Millionen mehr als noch 2019.

„Es besteht die reale Gefahr, dass diese Zahlen in den kommenden Monaten noch weiter ansteigen werden“, warnt der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms, David Beasley. „Das Ergebnis werden globale Destabilisierung, Hunger und Massenmigration in einem noch nie da gewesenen Ausmaß sein.“

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