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15.06.2022

12:41

Unbekanntere Innovationszentren im Fokus

Neues aus dem „Discovery District“: Toronto hat sich in die globale Innovationselite vorgearbeitet

Von: Gerd Braune

Schon das Insulin kam aus Kanadas Metropole. Jetzt punktet die Stadt mit ihrer Finanzszene, den Universitäten und Krankenhäusern. Und einer großen Offenheit.

In der Region haben sich zahlreiche Unternehmen aus der Hightech- und Biotech-Industrie niedergelassen. Unsplash

Hochhäuser in Toronto

In der Region haben sich zahlreiche Unternehmen aus der Hightech- und Biotech-Industrie niedergelassen.

Toronto Jacky sitzt auf dem Boden, um ihn herum liegen Inbusschlüssel und Zangen. Er arbeitet an einem Druckgenerator, der Teil des Motors eines Ultra-Hochgeschwindigkeitszugs sein soll. Den entwickelt sein Arbeitgeber TransPod Inc., der hier Labor und Werkstatt hat.

Es ist später Freitagnachmittag, aber an Feierabend denken die jungen Männer und Frauen, die hier feilen, messen und schrauben, noch nicht. Es geht um Großes – um das Transportwesen der Zukunft, extrem schnell und umweltfreundlich ohne fossile Brennstoffe. „Es ist aufregend, Ingenieurarbeit an diesem Hochgeschwindigkeitsprojekt zu leisten“, sagt Jacky.

Sein Chef Ryan Janzen, Chief Technical Officer und mit Sebastien Gendron Gründer von TransPod, arbeitet an einem Bildschirm am Design des Hochgeschwindigkeitszugs. In einer Röhre soll auf Magnetfeldern der elektrisch angetriebene Zug eine Geschwindigkeit von 1000 Kilometern pro Stunde erreichen können.

2020 unterzeichnete TransPod mit der Regierung der Provinz Alberta ein Memorandum of Understanding über den Bau der als Hyperloop bezeichneten Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Edmonton und Calgary.

Für eine Probestrecke zwischen der Innenstadt von Edmonton und dem Flughafen hat TransPod eine Finanzierung durch private Geldgeber über 500 Millionen kanadische Dollar vereinbart. Die rund 300 Kilometer lange Verbindung zwischen Edmonton und Calgary wird dann rund 22 Milliarden kanadische Dollar kosten – und die mehrstündige Reisezeit auf weniger als eine Stunde reduzieren. „Es ist nicht magisch, sondern magnetisch“, sagt Transpod-CEO Gendron lachend.

Innovationen aus dem Discovery District

Der gebürtige Franzose, der einige Jahre bei Airbus in Hamburg gearbeitet hatte, bevor er 2010 nach Kanada kam, gründete 2017 gemeinsam mit Janzen TransPod. „Das Zentrum von Toronto ist ein hervorragendes Ökosystem“, sagt er. „Wir haben die Universitäten und viele wichtige Akteure aus der Forschung und der Finanzwelt direkt bei uns.“

Jahr für Jahr wächst in der kanadischen Millionen-Metropole Toronto die Zahl innovativer ausländischer Unternehmen. Sie sehen Kanada als guten Boden für Forschung, Entwicklung und Expansion. Das World Economic Forum führt Toronto auf einer Liste der innovativsten Städte auf Platz 17, knapp vor Berlin und gleich hinter Tel Aviv.

Der heutige Chief Technical Officer ist einer der Gründer von TransPod. Privat

Ryan Janzen

Der heutige Chief Technical Officer ist einer der Gründer von TransPod.

Der ,rising star' Toronto wurde als nordamerikanischer Standort oft übersehen. Ausländische Unternehmen blickten eher auf New York, Boston oder das Silicon Valley. „Seit vielen Jahren arbeiten wir daran, Toronto und die ganze Region als Innovationsstandort weltweit darzustellen. Endlich wirkt es“, sagt Daniel Hengeveld, Vizepräsident der 2017 gegründeten Agentur „Toronto Global“.

Toronto und Kanada würden nun nicht mehr nur als Sprungbrett in den US-Markt gesehen, sondern als Standort für Forschung und Entwicklung, sagt Hengeveld. Warum es so lange gedauert hat? „Vielleicht sind wir zu höflich. Wir drängen uns nicht vor.“

Der „Discovery District“ im Stadtzentrum Torontos ist eines der Innovationszentren. Er ist bekannt für seine Dichte an Krankenhäusern, Universitäten und Forschungsinstituten wie das „Ontario Institute for Cancer Research“, das „Vector Institute for Artificial Intelligence“ und das „Canadian Institute for Advanced Research“. Auch zahlreiche Start-up-Unternehmen haben sich hier angesiedelt.

Aus dem Innovationszentrum von heute kam vor 100 Jahren das Insulin in die Welt

An der College Street liegt MaRS, das 2005 eröffnete Zentrum für Forschung und Innovation. Die Abkürzung stand zunächst für „Medical and Related Sciences“, nun heißt es nur noch „MaRS“. Der Komplex aus vier Gebäuden bietet auf 140.000 Quadratmeter Fläche Büro- und Forschungsraum für rund 200 etablierte und Start-up-Unternehmen - darunter TransPod. „Wenn wir sagen, wir sind im MaRS, dann sagen unsere Gesprächspartner sofort: ,ein guter Ort für Innovation'“, sagt CEO Gendron.

Im MaRS-Komplex steht zwischen drei hoch aufragenden modernen Gebäuden, eines davon das Princess-Margaret-Krebsforschungszentrum, das „Heritage Building“, das alte Gebäude des Toronto General Hospital. In diesem mittlerweile vollkommen umgestalteten Bauwerk fanden vor 100 Jahre die ersten klinischen Versuche mit einer Substanz statt, die seitdem vielen Millionen Menschen das Leben rettete: Insulin. „Torontos Geschenk an die Welt“, wie es im Schaukasten in der Eingangshalle von MaRS heißt.

Die Gebäude des Zentrums bieten viel Platz für Büro- und Forschungsräume.

MaRS-Zentrum

Die Gebäude des Zentrums bieten viel Platz für Büro- und Forschungsräume.

In einem Labor auf der anderen Seite der College Street hatten sich der Mediziner Frederick Banting und der Medizinstudent Charles Best im Mai 1921 an die Arbeit gemacht, ein Mittel gegen Diabetes zu finden. Im Januar 1923 wurde ein Extrakt der Bauchspeicheldrüse, Insulin genannt, im Toronto General Hospital einem 14-jährigen Diabetes-kranken Jungen injiziert. Mit überwältigendem Erfolg - und dem Medizin-Nobelpreis noch im selben Jahr.

Sieben Milliarden Menschen und der große Finanzdistrikt nur ein paar Straßen weiter

In der Region Toronto, für die „Toronto Global“ über die Stadt Toronto hinaus zuständig ist, beschäftigen mehr als 25.000 Unternehmen der Hightech- und Biotech-Industrie – darunter mehrere Tausend Start-ups – rund 320.000 Menschen.

Unternehmen im Social-Media-Sektor wie Pinterest, Reddit, Twitter und Facebook haben Niederlassungen in Toronto, das Mutterunternehmen von Facebook und Instagram, Meta, expandiert in die Region, ebenso das E-Commerce-Unternehmen Wayfair, Doordash, der On-demand-Essenslieferservice, Netflix, Microsoft und HSBC sowie Groq Inc. und Nvidia, die in Künstlicher Intelligenz forschen.

>> Serie: Unbekanntere Innovationsstandorte im Fokus:
Das Handelsblatt stellt im Rahmen der Innovation Week fünf international bedeutende, aber weniger bekannte Innovationsstandorte und ihre Stärken vor. Lesen Sie auch:
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Die Stadt Toronto zählt etwa 2,8 Millionen Einwohner, in der „Metropolitan Area“, zu der 24 Gemeinden gehören, wohnen rund sieben Millionen Menschen. Jährlich ziehen mehr als 100.000 Menschen aus aller Welt nach Toronto, dem Wirtschafts- und Finanzzentrum Kanadas. Die Region erzeugt mit etwa 365 Milliarden kanadischen Dollar rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Kanadas und rühmt sich, nach New York das zweitgrößte Finanzzentrum Nordamerikas zu sein. Der „Financial District“ ist nur wenige Straßenblocks vom „Discovery District“ entfernt.

Neben den großen kanadischen Finanzinstitutionen haben hier 41 internationale Banken und nahezu die Hälfte der Fortune-500-Unternehmen, der umsatzstärksten US-Unternehmen, einen Sitz. Doch neben diesen Vorteilen wird immer mehr Gewicht auf die Stärke der Region als Sitz von Universitäten, Colleges und anderen weiterführenden Bildungsinstitutionen gelegt.

18 Universitäten locken Studierende aus der ganzen Welt an. Mehr als 25.000 Studenten und Studentinnen graduieren jedes Jahr in den für Innovation so wichtigen STEM-Fächern, was für „Science, Technology, Engineering and Mathematics“ steht. „Die Universitäten sind sehr interessiert, Partnerschaften mit Unternehmen einzugehen“, beobachtet Hengeveld von Toronto Global.

Multikulti als Standortvorteil: „Offenheit für neue Ideen“

Er ist froh, dass seine Organisation nach zwei Jahren mit Covid-Restriktionen wieder direkt ausländische Unternehmen ansprechen kann, die Expansionen nach Kanada erwägen. „Der Wettbewerb um ausländische Investitionen hat sich verschärft“, beobachtet er. „Wir müssen sehr daran arbeiten sicherzustellen, dass internationale Investoren wissen, was Toronto und die Region bieten, vor allem als Tech-Hub.“

Mit seinem Kulturangebot, Konzerthäusern, Museen und ausgedehnten Grünanlagen bietet Toronto eine hohe Lebensqualität. Und nicht zuletzt wirbt die Metropole am Ontariosee damit, eine der multikulturellsten Städte der Welt zu sein. Hier sind 160 Kulturen vertreten, mehr als 100 verschiedene Sprachen werden gesprochen. 50 Prozent der „Torontonians“ wurden nicht in Kanada geboren.

Anders sein ist hier normal. Die ethnischen Gemeinden feiern enthusiastisch ihre Feste. „Offenheit für neue Leute bedeutet Offenheit für neue Ideen“, meint Hengeveld. Offenheit sei „das Rückgrat der Innovation“.

Grafik

Um das umzusetzen, helfen „Toronto Global“ und MaRS Unternehmen in der Anfangszeit, Kapitalgeber zu finden, erteilen Rat, wie ihr Geschäftsmodell strukturiert sein muss, welche Finanzhilfen und Steueranreize Bundes- und Provinzregierung für Forschung und Entwicklung bereitstellen. Und sie unterstützen mit Informationen über das Einwanderungsverfahren. 150 der 200 Unternehmen in Miete bei MaRS sind Start-ups. Darüber hinaus sind aber rund 1200 Unternehmen mit MaRS verbunden: Viele von ihnen starteten hier und zogen aus, als sie größer wurden.

„Wir von MaRS forschen nicht selbst, aber wir helfen und bringen alle Akteure zusammen“, sagt MaRS-Vizepräsidentin Krista Jones. „Wir helfen ihnen, Ideen zu kommerzialisieren und die Rendite zu optimieren.“

Kanada wirbt mit der Freihandelszone, die die USA und Mexiko umfasst

Im MaRS sitzt auch DNAstack, das vom World Economic Forum zu einem der 100 Technologie-Pioniere des Jahres 2022 ernannt wurde. Das Unternehmen hat eine Software entwickelt, die es Wissenschaftlern in Genom- und biomedizinischer Forschung erleichtern soll, die ständig wachsende Daten- und Informationsmenge zu verarbeiten, um damit Diagnose und Behandlungen seltener genetischer Erkrankungen zu beschleunigen.

„Genetik ist so komplex, und das Volumen der Daten wächst rasant“, sagt Marc Fiume, der mit Ryan Cook 2015 DNAstack gründete und es hier zu einem Unternehmen mit jetzt 30 Beschäftigten aufgebaut hat. Vier Jahre lang arbeiteten sie hier, in den vergangenen zwei Jahren aber „remote“ von zu Hause. „Wir hatten hier im Zentrum des ,Discovery Districts' ein wunderbares Netzwerk“, sagt er.

Das Konzerthaus ist eines der zahlreichen Kultur-Angebote in der Stadt.

Roy Thomson Hall

Das Konzerthaus ist eines der zahlreichen Kultur-Angebote in der Stadt.

Toronto Global wirbt auch um Investoren aus Westeuropa, Jan Willem Gille leitet eine Arbeitsgruppe, die sich speziell um diese bemüht. In diesem Jahr hat er auf der Hannover Messe darum geworben. Denn oft müssen die „Torontonians“ feststellen, dass sich die Europäer vor allem auf die USA konzentrieren. „Wir bringen dann Kanada und Toronto in ihre Überlegungen ein und entwickeln ein ,business case' für uns“, sagt Gille.

Ein wichtiger Aspekt ist, dass Kanada durch die Freihandelszone mit den USA und Mexiko eine Basis für Geschäfte in diesen Ländern ist und von Toronto aus im Umkreis von 800 Kilometern ein Markt mit 135 Millionen Menschen erreicht werden kann. Zugleich bedeuten die offenen Märkte aber auch, dass in Kanada ansässige Unternehmen in harte Konkurrenz zu Wettbewerbern in den USA auf dem weitaus größeren US-Markt treten müssen.

Auch europäische Unternehmen expandieren in Toronto

Die Ansiedlungsbemühungen zeigen Erfolge. Das in Berlin ansässige Agrarunternehmen Infarm expandiert im Raum Toronto, die österreichische „Go Student“-Plattform hat die Stadt als „Hub“ für ihre Nordamerika-Aktivitäten gewählt. Klarna, ein europäisches Fintech-Unternehmen, hat sich angesiedelt, und auch der deutsche Autovermieter Sixt gründet jetzt hier eine Niederlassung.

In den Gängen des hellen, lichtdurchfluteten MaRS-Gebäudekomplexes kommen junge Forscher in Sitzecken zusammen und besprechen ihre Arbeit. Studierende der Universitäten mischen sich unter die „Martians“, die MaRS-Menschen, wie sich die Mitarbeiter des Innovationsclusters nennen.

Andy Lam arbeitet seit fünf Jahren für MaRS. Er kümmert sich um Unternehmen, deren Technologie zur Reduzierung von Treibhausgasen führen kann. Er kam aus dem Finanzsektor, will aber jetzt an Lösungen mitarbeiten, die im Kampf gegen den Klimawandel helfen. Es ist ein Vollzeitjob. Nebenbei hat er aber noch eine andere Aufgabe: Er ist Mitglied des „MaRS Bee Committee“.

Auf dem Dach vom MaRS stehen zwei Bienenstöcke. Lam kümmert sich zusammen mit einigen anderen um das Wohlergehen der Bienenvölker. „Wir feiern die kleinen Helden, die Honig produzieren, die Pflanzen in unserer Stadt bestäuben und damit das Ökosystem in Balance halten.“ Nicht alles ist Hightech bei MaRS.

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