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12.07.2022

17:37

US-Präsident

Der mächtigste Mann der Welt rechtfertigt sich öffentlich für eine Dienstreise

Von: Katharina Kort, Pierre Heumann

Im Wahlkampf wollte er die saudische Königsfamilie noch ächten, jetzt stattet er ihr einen Staatsbesuch ab. Seinem Volk erklärt Joe Biden die Kehrtwende auf ungewöhnliche Weise.

Der US-Präsident hatte noch im Wahlkampf Distanz zum saudischen Königshaus versprochen. Reuters

Joe Biden

Der US-Präsident hatte noch im Wahlkampf Distanz zum saudischen Königshaus versprochen.

New York, Tel Aviv Dass ein US-Präsident seine Auslandsreise in einem Zeitungskommentar rechtfertigt, ist ein eher ungewöhnlicher Vorgang. Und er zeigt, wie umstritten und geopolitisch wichtig Joe Bidens Besuch in Saudi-Arabien an diesem Freitag ist. Am Wochenende meldete sich Biden mit einem Meinungsartikel in der Tageszeitung „Washington Post“ zu Wort und erläuterte dort unter dem Titel „Warum ich nach Saudi-Arabien fahre“ seine Beweggründe.

Im Wahlkampf vor zwei Jahren hatte Biden mit Blick auf den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul 2018 angekündigt, die saudische Königsfamilie zum „internationalen Paria“, also zu geächteten Personen, zu erklären.

Sein nun geplantes Treffen mit dem saudischen König Salman ibn Abd al-Aziz und dessen de facto regierenden Sohn, dem Kronprinzen Mohammed bin Salman, in der Hafenstadt Dschidda steht im Gegensatz dazu. Doch Bidens Ankündigungen stammen aus der Zeit vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

„Ich weiß, dass es viele gibt, die meine Entscheidung, nach Saudi-Arabien zu fliegen, nicht gut finden“, schreibt Biden in der „Washington Post“. Doch als Präsident sei es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sein Land stark und sicher bleibe. „Wir müssen Russlands Aggression begegnen, uns selbst in die beste Position bringen, um im Wettbewerb mit China zu gewinnen, und an einer größeren Stabilität in einer wichtigen Region der Welt arbeiten“, argumentiert Biden.

Ein sichererer und stärker integrierter Naher Osten helfe den Amerikanern vielfach. „Seine Wasserwege sind unabdingbar für den globalen Handel und die Lieferketten, von denen wir abhängen. Seine Energieressourcen sind lebenswichtig, um die Auswirkungen von Russlands Krieg in der Ukraine auf das globale Angebot abzufedern“, schreibt der US-Präsident.

Menschenrechtler kritisieren die Reise

Und der Präsident verspricht, auch auf dieser Reise stünden Menschenrechte und die Freiheit auf der Agenda – nicht nur in Saudi-Arabien, sondern ebenso in Israel und in dem von Israel besetzten Westjordanland, die er auf seinem dreitägigen Trip zuerst besucht.

Bereits im Juni hatten sich 13 Menschenrechtsorganisationen in einem Brief an den US-Präsidenten gewandt. Darin forderten sie Biden auf, vor einem Treffen mit dem Kronprinzen die Freilassung politischer Gefangener und mehr Rechte für Frauen und Menschenrechtsaktivisten zu verlangen.

Noura Erakat, eine amerikanisch-palästinensische Menschenrechtsanwältin, kritisierte gegenüber dem „Time“-Magazin, dass Biden die Politik seines Vorgängers fortsetze. So bringe er wie alle amerikanischen Regierenden „die imperialistischen Interessen der Vereinigten Staaten weiter voran, die in der Vorherrschaft Amerikas bestehen“.

Die Verlobte des ermordeten Khashoggi, Hatice Cengiz, erhob in einem Meinungsartikel in der „Washington Post“ schwere Vorwürfe gegen Biden: „Zu einer Zeit, da Angriffe auf die Pressefreiheit ein Rekordhoch erreichen, wird Ihr Besuch Ihr Ansehen beflecken und an Autokraten in der ganzen Welt die Nachricht aussenden, dass sie Journalisten inhaftieren, foltern und sogar ermorden können, ohne dass dies irgendwelche Folgen hätte“, schreibt sie.

Die Verlobte des ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi übte scharfe Kritik an der Reise. Reuters

Hatice Cengiz

Die Verlobte des ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi übte scharfe Kritik an der Reise.

Die renommierte Denkfabrik Council on Foreign Relations unterstützt mit ihrem aktuellen Bericht hingegen Bidens Argumentation für seine Reise. In dem Special Report argumentieren die Autoren, dass beide Länder Interesse an guten Beziehungen hätten.

„Russlands Krieg in der Ukraine, kombiniert mit der Inflation zu Hause haben zu einem steilen Anstieg der Energiepreise geführt“, schreibt der Präsident des Thinktanks Richard Haass. Damit sei das Interesse an Saudi-Arabien als einem der Top-Ölproduzenten und als dem Einzigen, der bedeutende Kapazitäten habe, um die Produktion schnell zu erhöhen, gestiegen. Gleichzeitig sei der Iran dabei, die Voraussetzungen für ein Atomwaffenprogramm zu schaffen, was sowohl Washington als auch Riad alarmiere.

Die Autoren der Studie schlagen eine Versöhnung der Länder vor, die sich auf die regionalen Ambitionen des Irans konzentriert. Dabei sollten die USA einen stärkeren Schutz Saudi-Arabiens versprechen. Die Saudis sollten dafür stärker als Vermittler beim Ölpreis, bei der Deeskalation im Jemen und bei der weiteren diplomatischen Normalisierung mit Israel auftreten.

„Auch wenn eine neue Vereinbarung für beide Seiten bedeutet, dass sie ihren Stolz herunterschlucken müssen, so wäre dies doch eine realistische Anerkennung der strategischen Interessen des jeweiligen Landes“, schreibt der Council on Foreign Relations.

Wladimir Putin hat enge Beziehungen in den Iran

Saudi-Arabien ist der traditionelle Gegenspieler des Irans im Nahen Osten. Kurz vor Beginn der Nahostreise Bidens veröffentlichte das Weiße Haus eine Einschätzung, wonach sich Russland für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine um die Lieferung Hunderter Drohnen aus dem Iran bemühe. Es gebe Hinweise, wonach Teheran noch in diesem Monat russische Soldaten die Bedienung der Drohnen beibringen wolle.

Am Dienstag wurde zudem bekannt, dass der russische Präsident Wladimir Putin in der kommenden Woche für politische Gespräche in den Iran reisen will.

Und nicht nur deshalb gilt der Iran aus US-Sicht als der große Unruheherd der Nahost-Region: Kurz zuvor hatte ein Sprecher der iranischen Atomenergiebehörde darüber informiert, dass aus leistungsfähigen Zentrifugen in der unterirdischen Atomanlage Fordo erstmals Uran entnommen worden sei, dessen Reinheitsgrad er mit 20 Prozent angab.

Der russische Präsident will schon kommende Woche zu seinem iranischen Amtskollegen reisen. AP

Ebrahim Raisi und Wladimir Putin

Der russische Präsident will schon kommende Woche zu seinem iranischen Amtskollegen reisen.

Unter dem Atomabkommen von 2015 waren die technischen Möglichkeiten des Irans zur Urananreicherung limitiert worden. Bidens Vorgänger Donald Trump hatte das Abkommen mit Teheran aber 2018 aufgekündigt, der Iran kam daraufhin seinen Verpflichtungen schrittweise nicht mehr nach. Neuverhandlungen laufen derzeit, eine Lösung scheint jedoch weit entfernt.

>>Lesen Sie hier: Zerfällt die Opec plus? Ölexporteure erwägen offenbar Ausschluss Russlands

Biden wird bei seiner Reise an einem in Saudi-Arabien geplanten Gipfeltreffen des Golfkooperationsrats teilnehmen, bei dem auch die Staats- und Regierungschefs von Ägypten, dem Irak und Jordanien anwesend sein werden. Die Golfstaaten nehmen die atomare Aufrüstung Teherans ebenso wie Israel als Bedrohung wahr, was sie einander näherbringt.

In Jerusalem, wo Biden am Mittwoch erwartet wird, hofft man, dass sich der Gast aus Washington für eine Ad-hoc-Verteidigungsallianz zwischen Israel und den Golfstaaten einsetzen wird, die gegen den Iran gerichtet wäre. Nur wenn es bei Bidens Reise wirklich um Russland und den Iran gehe, sei diese außenpolitisch sinnvoll, meint der israelische USA-Experte Alon Pinkas. Andernfalls könnte sie sich als „völlige Zeitverschwendung“ erweisen.

Bidens Verhältnis zum Königshaus ist wechselhaft

Biden hat zwar sein Wahlversprechen nicht gehalten, das saudische Königshaus zum Aussätzigen zu machen. Aber zumindest zu Beginn der Amtszeit ist der demokratische Präsident stärker auf Distanz gegangen als sein Vorgänger Trump: Nach seiner Amtseinführung hat Biden einen Monat verstreichen lassen, bis er mit dem saudischen König telefoniert hat. Dabei bat Biden explizit darum, dass der Kronprinz bin Salman nicht in der Leitung sei.

Das saudische Königshaus steht unter anderem wegen der Verwicklungen des Landes in den Jemen-Krieg in der Kritik. AP

Der saudische Kronprinz und der saudische König auf einem Bildschirm in Mekka

Das saudische Königshaus steht unter anderem wegen der Verwicklungen des Landes in den Jemen-Krieg in der Kritik.

Außerdem hat Biden Untersuchungsberichte veröffentlichen lassen, nach denen der Kronprinz hinter dem Auftragsmord von Khashoggi steckte. Auch gab es Visa-Verbote für mehr als 70 Personen, die mit dem Mord in Verbindung stehen sollen.

Dennoch hat die US-Regierung keine Sanktionen gegen den Kronprinzen direkt verhängt. Außerdem sind der saudische Botschafter und andere hochrangige Vertreter des Königsreichs im Weißen Haus empfangen worden. Anfang 2021 hatte Biden zwar nach Protesten den Export von Angriffswaffen nach Saudi-Arabien wegen des Jemenkriegs eingefroren, die Ausfuhr danach aber eingeschränkt wiederaufgenommen.

Als das Weiße Haus die aktuelle Reise vor einigen Wochen ankündigte, wurde der Kronprinz zunächst nicht erwähnt. Dann bestätigte die Regierung, dass Biden auch bin Salman treffen werde. Auf Nachfrage sagte die Sprecherin Karine Jean-Pierre: „Menschenrechte sind etwas, das der Präsident mit vielen Regierenden anspricht, und das plant er auch diesmal.“ Aber sie stellte auch klar: „Wir wollen nicht unsere Beziehungen zerbrechen.“

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