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13.01.2022

13:19

USA

„Biden zerstört unser Land“: Die Inflation wird für den US-Präsidenten zum größten Problem im Wahljahr

Von: Astrid Dörner, Katharina Kort, Annett Meiritz

Die US-Wirtschaft erholt sich von Corona, die Aktienmärkte befinden sich in Rekordlaune. Und trotzdem ist Joe Biden im Jahr der wichtigen Kongresswahlen so angreifbar wie nie.

Mächtig unter Druck. Reuters

Joe Biden

Mächtig unter Druck.

New York, Washington Joe Biden versucht, gute Stimmung zu verbreiten. „Amerika hat das Glück, dass unsere Wirtschaft weltweit mit am schnellsten wächst“, sagte der US-Präsident diese Woche. „Wir werden es schaffen, Preiserhöhungen zu bewältigen und einen starken, nachhaltigen Aufschwung aufrechtzuerhalten. Das ist mein Ziel, und ich konzentriere mich jeden Tag darauf, es zu erreichen.“

Doch die jüngsten Zahlen zur Inflation zeichnen ein weniger optimistisches Bild. Zwar hat sich die US-Wirtschaft von den Folgen der Pandemie erholt, und die Aktienmärkte befinden sich in der Nähe von Rekordständen. Doch die mit erstaunlicher Dynamik steigenden Preise machen Millionen US-Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen.

Wie am Mittwoch bekannt wurde, sind die Verbraucherpreise im Dezember im Jahresvergleich um sieben Prozent gestiegen. Damit ist die Inflation in den USA so hoch wie seit fast 40 Jahren nicht mehr und liegt weit über dem Zielwert der Notenbank Federal Reserve, die eine jährliche Rate von zwei Prozent anpeilt. Besonders stark schnellen die Energiepreise in die Höhe: Sie lagen zuletzt 30 Prozent über dem Vorjahr. Die Kosten für Lebensmittel legten 6,3 Prozent zu.

Dabei müssen Amerikaner nicht nur mehr an der Tankstelle, im Supermarkt und beim Autokauf zahlen, vielerorts sind sie auch mit Warenmangel konfrontiert. Schneestürme an der US-Küste legten zuletzt die Lieferketten lahm, Bilder von leergefegten Regalen wandern durch die sozialen Medien.

Im Jahr der wichtigen Zwischenwahlen sind solche Entwicklungen politisches Gift für Biden und seine Demokraten. Nur noch 44 Prozent der US-Bürgerinnen und Bürger trauen Biden laut einer CNN-Umfrage zu, dass er die Wirtschaft im Griff hat. Das ist der niedrigste Wert für einen US-Präsidenten seit den 70er-Jahren.

Am 8. November, wenn die Demokraten ihre Mehrheiten in beiden Kongresskammern verteidigen müssen, droht der Partei ein Desaster. „Amerikaner zahlen nicht gern drauf, das werden sie die Politik wissen lassen“, heißt es in einer Analyse der Beratungsfirma Morning Consult. 

Die Inflation, so der Internationale Währungsfonds und US-Finanzministerin Janet Yellen im Einklang, bleibt bis mindestens Mitte kommenden Jahres auf hohem Niveau. Sie dürfte mit das wichtigste Wahlkampfthema werden, das zeichnet sich bereits ab. Die US-Republikaner rücken die hohen Preise in den Mittelpunkt ihrer Attacken, stellvertretend für Bidens Wirtschaftsbilanz.

US-Republikaner: „Die Amerikaner zahlen den Preis für Bidens Versagen“

„Unter Joe Biden kostet alles mehr, die Regale sind leer, und kleine Unternehmen müssen schließen oder finden keine Mitarbeiter“, sagte die Republikaner-Chefin Ronna McDaniel. „Die Amerikaner zahlen den Preis für Bidens Versagen, und Biden ist es egal.“ In einem Gespräch mit Journalisten wurde die Parteivorsitzende noch deutlicher: „Wir werden im Wahlkampf von nichts anderem reden als das: Biden zerstört unser Land.“

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In den Kampf um die Kongressmandate hat das Thema längst Einzug gehalten. Der ehemalige Football-Spieler Bo Hines, der im Bundesstaat North Carolina für die Republikaner antritt, twitterte nach den jüngsten Inflationszahlen: „Die Vorstellung, dass ein neuer Präsident Covid beendet, war falsch. Stattdessen haben wir jetzt eine Einwanderungskrise, eine Inflationskrise, einen Anstieg der Benzinpreise und leere Regale. Ich nehme Donald Trump wieder zurück.“  

Angriffe wie diese könnten im Wahlkampf leicht verfangen, das zeigen Umfragen. Die Prioritäten der US-Amerikaner verschieben sich, stellte eine Befragung der Nachrichtenagentur AP fest. War die Pandemie noch vor wenigen Monaten die Hauptsorge der Menschen, ist es nun der Zustand der Wirtschaft. Speziell die Inflation wurde von 14 Prozent als Hauptproblem genannt – vor einem Jahr sorgten sich darum noch weniger als ein Prozent der Menschen. 

Was die Notenbank tut – und warum ihr Einfluss begrenzt ist

Die Hoffnung der US-Regierung liegt jetzt auf der Fed. Der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, hatte am Dienstag in einer zweieinhalbstündigen Anhörung vor dem US-Kongress betont, mit allen Mitteln die steigenden Preise bekämpfen zu wollen. Das soll auf gleich drei Wegen passieren.

So ist die Fed zum einen dabei, ihre Anleihekäufe zurückzufahren, die sie zu Beginn der Pandemie aufgelegt hatte, um die Märkte zu stützen. Im März schon könnte dann die Zinswende kommen. Die Geldpolitiker signalisierten bei ihrer jüngsten Sitzung im Dezember drei Anstiege zu je 0,25 Prozentpunkten. Ökonomen von Goldman Sachs rechnen mit vier Zinsschritten. Jamie Dimon, CEO der Großbank JP Morgan Chase, glaubt, dass es sogar noch mehr sein könnten.

Zum anderen soll auch die Bilanzsumme der Notenbank reduziert werden, die auf knapp neun Billionen Dollar angewachsen ist. „Sie ist deutlich größer, als sie sein muss“, stellte Powell am Dienstag klar. Er wurde von US-Präsident Biden für eine zweite Amtszeit nominiert, der Senat muss darüber noch abstimmen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir Preisstabilität erreichen können“, betonte Powell. Das sei wichtig, weil die Wirtschaft mit stabilen Preisen am meisten wachsen könne und somit auch der Arbeitsmarkt am meisten profitieren würde.

Leere Supermarktregale: Amerikaner sind vielerorts mit Warenmangel konfrontiert. AP

USA

Leere Supermarktregale: Amerikaner sind vielerorts mit Warenmangel konfrontiert.

„Die Preise laufen heiß, und wir sind jetzt in einer Phase, in der sich auch die Fed ernsthafte Sorgen darüber macht, dass sich die Inflation immer mehr festsetzt“, gab Diane Swonk, Chefökonomin von Grant Thornton, zu bedenken. Die Fed sei „im Panikmodus. Damit steigt das Risiko, dass sie die Zinsen zu stark anhebt.“ Sie antizipiere Entwicklungen nicht mehr, sondern laufe ihnen hinterher, sagte Swonk im US-Börsensender CNBC. „Das ist besorgniserregend.“

Der ökonomische Chefberater der Allianz, Mohamed El-Erian, warnte vor den vielschichtigen Folgen einer Inflationswelle. „Inflation ist nicht nur eine Zahl, die von einer Notenbank gemanagt werden muss. Sie beeinflusst wirtschaftliche, soziale und politische Ergebnisse“, sagte er am Mittwoch. „Wenn die Inflation zu hoch ist, so wie heute, dann fördert das finanzielle Unsicherheit unter denen, die am meisten verletzbar sind – sowohl unmittelbar als auch längerfristig.“

Tatsächlich bekommen vor allem Menschen mit geringeren Einkommen die Inflation stark zu spüren. Sie können höhere Preise nicht durch geschickte Investitionen ausgleichen, sondern merken sie täglich im Alltag. Autofahrer sind besonders betroffen: Benzinpreise sind um knapp 50 Prozent gestiegen, und wer ein gebrauchtes Auto kaufen will, muss 37 Prozent mehr hinlegen. 

Biden wirft Konzernen vor, Preise künstlich zu steigern

Noch ist nicht gesagt, dass die Fed die Inflation so leicht unter Kontrolle bekommt. Auf die Ölpreise oder die Lieferkettenprobleme hat die Notenbank kaum Einfluss. Auch der Handlungsspielraum von Washington ist begrenzt. Jüngste Maßnahmen, etwa eine Lieferketten-Taskforce, zeigen nur langsam Wirkung. Und bis die Gelder aus dem 1,2 Billionen schweren Infrastrukturpaket dort ankommen, wo sie gebraucht werden – an den Häfen, auf den Straßen, im Transport –, dauert es ebenfalls. 

Der Präsident will nun verstärkt gegen Kartelle im Verbrauchermarkt vorgehen. So wirft die US-Regierung Fleischproduzenten vor, die Preise während der Pandemie überzogen zu haben, um Gewinnspannen künstlich zu steigern. Eine ähnliche Untersuchung läuft gegen US-Ölkonzerne im Zusammenhang mit höheren Benzinpreisen.  

Der US-Notenbankchef wurde erst kürzlich vom US-Präsidenten für eine zweite Amtszeit nominiert. dpa

Jerome Powell

Der US-Notenbankchef wurde erst kürzlich vom US-Präsidenten für eine zweite Amtszeit nominiert.

Der neuen Vorsitzenden der mächtigen US Chamber of Commerce, Suzanne Clark, fallen vor allem Dinge ein, die Biden nicht tun sollte. Sie fordert von der Regierung, weniger Geld zu verteilen, um die Preisspirale nicht weiter anzuheizen. Der US-Kongress hatte unter Biden ein 1,9 Billionen schweres Covid-Nothilfepaket beschlossen und Konjunkturschecks an die Bevölkerung verteilt.

Auch unter Trump wurden knapp fünf Billionen Dollar Staatshilfe bewilligt, nach dem Ausbruch der Pandemie und einer Blitzrezession im Frühjahr 2020. „Die Regierung kann viele Dinge tun, die die Lage verschlimmern würden“, so Clark. „Aber es gibt auch Dinge, die sie tun kann, und da geht es vor allem um den Arbeitermangel.“ Hilfe bei der Kinderbetreuung und auch eine Verdopplung der legalen Immigration etwa könnten helfen, den Druck auf die Löhne zu dämpfen.

Neue Staatsausgaben dürfte es erst einmal nicht geben: Bidens Reformpaket „Build Back Better“, das zwei Billionen Dollar für Klimaschutz und Soziales vorsieht, liegt auf Eis – ein Grund dafür sind Sorgen vor zusätzlicher Inflation. 

Laut Douglas Holtz-Eakin, ehemaliger Chefökonom von George W. Bush, kann Biden nur auf eine Verbesserung der Lage bis zum Sommer hoffen: „Irgendwann im Juni oder Juli treffen die meisten Menschen eine Entscheidung, wen sie wählen. Dann zählt die Leistung der Wirtschaft in diesem Moment.“ 

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