Joe Bidens Team für Außenpolitik
Biden hat ein Team aus Experten für die Außenpolitik, mit dem zusammen er die Politik gegenüber Russland macht.
Bild: Tagesspiegel
Ein verschwiegenes Team berät den US-Präsidenten zum russischen Angriffskrieg. Im Vordergrund die Frage: In welchem Fall müssten die USA aktiv eingreifen?
Washington Es ist das Worst-case-Szenario – eines, das längst nicht mehr so unwahrscheinlich wie in den vergangenen Jahrzehnten wirkt. Die Vorstellung, dass der russische Präsident Wladimir Putin Bio- und Atomwaffen mitten in Europa einsetzt oder ein Nato-Mitglied beziehungsweise ein weiteres Land wie Moldawien oder Georgien angreift, mag in diesen Tagen kaum noch ein Sicherheitsexperte ausschließen.
Die Politiker in den westlichen Hauptstädten mussten sich darauf einstellen und auf einmal Szenarien durchspielen, die längst ausgeschlossen sein sollten. Ganz zuvorderst die USA, die über die schlagkräftigste Armee der Welt verfügen – und über Atomwaffen. Auch wenn US-Präsident Joe Biden alles vermeiden will, was sein Land direkt in einen neuen Krieg verwickelt, kann er es sich nicht leisten, diese Gefahr zu ignorieren.
Daher hat das Weiße Haus schon vor mehreren Wochen ein Team von Sicherheitsexperten zusammengestellt. Vier Tage nach dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar unterzeichnete Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan ein entsprechendes Memorandum, wie er selbst Ende März bestätigte. Das „Tiger Team“ – mit diesem Titel wird schon seit Jahren eine Task Force bezeichnet, die in einer Krisensituation im Nationalen Sicherheitsrat (NSC) zusammengezogen wird – soll die Szenarien durchspielen, die möglichen Schritte, die der Westen im Fall des Falles ergreifen sollte.
Ein ähnliches Team war bereits im November 2021 gegründet worden für den Fall einer russischen Invasion. Damals leitete NSC-Strategiedirektor Alexander Bick das Team, dem Experten aus NSC, Pentagon, Außen-, Energie-, Heimatschutz- und Finanzministerium, von Geheimdiensten und der USAID, der US-Behörde für Entwicklungshilfe, angehörten.
Drei Mal in der Woche trifft sich die Gruppe. Was genau besprochen wird, bleibt geheim. Nicht bekannt ist, welche Personen der Gruppe konkret angehören. Aber sicher ist, dass durch sie die entscheidenden Weichenstellungen erfolgen, sei es bei Sanktionen oder bei Waffenlieferungen an Kiew. Im Vordergrund steht die Frage, wann Russlands Taten so extrem werden, dass Biden seine Haltung ändern müsste und die USA direkt zur Kriegspartei würden.
Joe Biden
US-Präsident Joe Biden hat ein Team von Vertrauten um sich.
Bild: AP
Eine „rote Linie“ will das Weiße Haus öffentlich nicht ziehen. Klar ist, dass der Angriff auf ein Nato-Mitglied das Verteidigungsbündnis zu Beistand verpflichtet. Ein „kleinerer“ Chemiewaffen-Einsatz könnte dagegen mit einem begrenzten Schlag beantwortet werden, der nicht zu einer größeren Eskalation führen würde. Solche Fragen werden in dem Gremium erörtert. Oder auch, wie die Europäer mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen zurechtkommen können.
Am Dienstag wurde bekannt, dass die USA derzeit ein weiteres, wohl 800 Millionen Dollar schweres militärisches Hilfspaket schnüren. Wie der Sender CNN berichtete, könnte dieses zeitnah beschlossen werden. Erst in der Vorwoche hatte die Biden-Regierung Militärhilfen in einem Umfang von 800 Millionen Dollar freigegeben, erstmals waren darin auch schwere Waffen wie Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Hubschrauber enthalten.
Zusammen mit dem aktuellen Paket hätten die USA dann seit Kriegsbeginn insgesamt 3,4 Milliarden Dollar an Militärhilfe eingebracht. Dass es gerade Schlag auf Schlag geht, zeigt, dass Washington die derzeitige Phase des Krieges für entscheidend hält.
Jake Sullivan, der jüngste Nationale Sicherheitsberater seit knapp 60 Jahren, verkörpert Bidens Transparenz-Strategie, die von den internationalen Partnern gelobt wird. Früh warnten Sullivan und andere Regierungsmitglieder vor einem russischen Angriff, Geheimdienstinformationen wurden geteilt.
Regelmäßig stellt sich Sullivan im Presseraum des Weißen Hauses den Fragen der versammelten Hauptstadt-Korrespondenten. Der 45-Jährige bleibt stets ruhig und höflich, erklärt ausführlich, warum er bestimmte Fragen nicht beantwortet. In einem Porträt kurz nach seiner Ernennung zum Sicherheitsberater wurde er als ein für Washington ungewöhnlich „netter Kerl“ bezeichnet.
Unter Barack Obama arbeitete er für Hillary Clinton im State Department und ab 2013 als Sicherheitsberater des damaligen Vizepräsidenten Joe Biden. Als der heutige Präsident ihn dann zum Nationalen Sicherheitsberater machte, prägte Sullivan den Satz, dass die US-Außenpolitik der amerikanischen Mittelklasse dienen müsse. Die Verbindung von Außen- mit Innenpolitik macht sein Amt noch mächtiger.
Jake Sullivan
Jake Sullivan ist der jüngste Nationale Sicherheitsberater seit knapp 60 Jahren.
Bild: X90178
Sein Job ist so einflussreich wie schwierig – nicht zuletzt wegen des für seine spontanen Äußerungen bekannten Präsidenten. Notfalls muss er den Kopf für außenpolitische Fehler seines Chefs hinhalten.
Als der US-Abzug aus Afghanistan im vergangenen Sommer in Chaos abzugleiten drohte, wurde darüber spekuliert, dass Sullivan möglicherweise zurücktreten müsse. Das ist Geschichte. In der derzeitigen Krise gibt es zumindest bis jetzt noch deutlich mehr lobende Worte über die Ausrichtung der US-Außenpolitik.
Neben Sullivan wird der Präsident in dieser Krise von einem Kreis ihm seit langem vertrauter Experten beraten – denen auch die Versäumnisse der Vergangenheit bewusst sind. Da ist vor allem sein Außenminister Antony Blinken, der ihm schon in seiner Zeit als Vizepräsident als Sicherheitsberater zur Seite stand. 2014, als Putin die Krim annektierte, war der heute 62-Jährige stellvertretender Sicherheitsberater Obamas und Vizeaußenminister.
Wie Andrea Kendall-Taylor dem Radio-Sender NPR sagte, wird die Regierung „heimgesucht von dem Unwillen“ ihrer Vorgänger, eine entschlossene Haltung einzunehmen. Kendall-Taylor beriet Bidens Übergangsteam in Russland-Fragen und leitet heute beim Center for a New American Security das Transatlantic Security Program.
Die Kosten der Vergangenheit waren für Präsident Putin nicht hoch genug. Andrea Kendall-Taylor, Expertin beim Center for a New American Security
„Die Tatsache, dass wir wieder an diesem Punkt angelangt sind, legt nahe, dass die Kosten der Vergangenheit für Präsident Putin nicht hoch genug waren“, sagte sie. Und: „Ich denke, das ist eine schwierige Lektion, die viele in dieser Administration in der Obama-Regierung gelernt haben.“
Ähnlich klingt es bei einer der engsten Beraterinnen Blinkens: Außenstaatssekretärin Victoria Nuland. Die 60-Jährige wurde in Europa vor allem mit ihrem Satz „Fuck the EU“ bekannt, den sie 2014 in einem später geleakten Telefonat mit dem damaligen US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, ausgestoßen hatte. Der Unmut der damaligen für Europa zuständigen Staatssekretärin im US-Außenministerium galt der aus amerikanischer Sicht allzu zögerlichen Haltung der Europäer im Ukraine-Konflikt.
Die Karrierediplomatin verbrachte mehrere Jahre in Russland, China, der Mongolei und bei der Nato, sie spricht Russisch, Chinesisch und Französisch. Verheiratet ist sie mit dem Historiker Robert Kagan, einst prominenter Vertreter der Neokonservativen und bis heute Befürworter einer robusten amerikanischen Führungsrolle in der Welt.
Vor zwei Wochen schrieb Kagan in der Zeitschrift „Foreign Affairs“, die Ukraine-Krise sei durch die „Untätigkeit“ Washingtons ausgelöst worden. Der Krieg erinnere die Amerikaner, dass sie Teil eines „nie endenden Machtkampfes seien“, ob sie dies wollten oder nicht, argumentierte er da, und dass es „Schlimmeres“ gebe als eine US-Hegemonie.
Dass Washington entschlossener auftreten müsse, meinen auch andere prominente Stimmen in den USA. So forderte etwa Obamas ehemaliger Botschafter in Moskau, Michael McFaul, immer wieder deutlich mehr militärische Unterstützung für die Ukraine – „besonders Waffen, die russische Flugzeuge und Raketen abschießen oder Artillerie zerstören können“, erklärte er in der „Washington Post“.
Der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Jonathan Finer war als einer der wenigen Amerikaner vor Ort, als Russland 2008 Separatisten in der georgischen Provinz Südossetien unterstützte und damit einen Krieg auslöste.
Finer wurde als Reporter der „Washington Post“ Zeuge einer Krise zwischen den USA und Russland, wie es sie seit dem Ende des Kalten Krieg nicht mehr gegeben habe, schrieb er damals selbst. Wie das Magazin „Politico“ analysierte, beschäftigte sich Finer in seinen Artikeln viel mit dem Leid, das der Krieg über Zivilisten bringe.
Dann ist da noch CIA-Direktor Bill Burns, der Russland und Putin ebenfalls aus seiner Zeit als Botschafter in Moskau von 2005 bis 2008 kennt. Vor wenigen Tagen mahnte er, die Gefahr durch das russische Atomwaffenarsenal nicht zu unterschätzen.
Keiner darf die Bedrohung durch Atomwaffen auf die leichte Schulter nehmen. CIA-Direktor Bill Burns
„Angesichts der möglichen Verzweiflung von Präsident Putin und der russischen Führung mit Blick auf die bislang erfahrenen militärischen Rückschläge kann keiner von uns die Bedrohung durch einen möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen oder Atomwaffen geringer Sprengkraft auf die leichte Schulter nehmen. Wir tun es nicht“, sagte Burns bei einem Vortrag an einer Universität im Bundesstaat Georgia.
Burns war es auch, den Biden im November 2021 nach Moskau schickte, als die CIA Anzeichen dafür hatte, dass Russland einen Angriff auf die Ukraine plante. Burns sprach mit Putin und erklärte danach, seine Reise sei wenig ermutigend gewesen.
Putin habe auf ihn den Eindruck gemacht, dass er nur noch ein schmales Zeitfenster dafür sehe, die Ukraine in seine Richtung zu lenken und er deshalb zu einer Invasion tendiere. Biden entschied sich damals, diese Einschätzungen öffentlich zu machen – ein Schritt, der der Welt frühzeitig zeigte, was in der Ukraine passieren würde.
Mehr dazu: Amerikas Wirtschaft droht die Rezession
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