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28.02.2022

15:57

Verhandlungen in Wien

Hoffnung auf Ende der Sanktionen – Atom-Gespräche mit Iran stehen vor Durchbruch

Von: Pierre Heumann

Bei den Gesprächen zur Wiederbelebung des Atomabkommens melden Unterhändler deutliche Fortschritte. Der Iran fordert aber weiter Zugeständnisse des Westens – ist aber auf einen Deal angewiesen.

Atomvertrag mit dem Iran: Tage der Entscheidung dpa

Ebrahim Raisi

Der iranische Präsident macht ein Ende der US-Sanktionen zur Voraussetzung für einen erfolgreichen Abschluss der Gespräche.

Tel Aviv In der nächsten Woche werden die Verhandlungen über die Erneuerung des iranischen Nuklearprogramms in die entscheidende Phase gehen, sagen westliche Unterhändler. Alle Hindernisse sind allerdings noch nicht beseitigt: Zum einen fordert der iranische Präsident Ebrahim Raisi, dass „die USA ihren Willen zur Aufhebung größerer Sanktionen beweisen müssen“.

Unklar ist zudem, wie sich Teherans Parteinahme für Moskau in der Ukrainekrise auswirken wird. Der Krieg sei durch „die provokativen Aktionen der Nato“ verursacht worden, sagte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian einen Tag nach der Invasion.

Die Verhandlungen in Wien sollen das Atomabkommen zwischen dem Iran und den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China von 2015 erneuern. Der Iran verpflichtete sich mit dem Abkommen, sein Atomprogramm zu beschränken und keine Atomwaffen zu bauen. Im Gegenzug hoben die anderen Staaten ihre Sanktionen gegen das Land auf.

2018 stiegen die USA aus dem Abkommen aus und setzten Sanktionen wieder in Kraft. Der Iran begann daraufhin, erneut Uran anzureichern. Die Gespräche zur Wiederbelebung der Vereinbarung dauern mittlerweile zehn Monaten an.

Die iranische Währung scheint die Wahrscheinlichkeit eines Abschlusses bereits zu antizipieren. Erstmals seit der Wahl des Hardliner-Präsidenten Raisi legte der Rial gegenüber dem Dollar wieder zu.

Teheran ist wirtschaftlich unter Druck. Der Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei sagte Anfang Februar, die Wirtschaftszahlen des vergangenen Jahrzehnts seien „unbefriedigend“. Konkret nannte er das Wirtschaftswachstum, die Inflation und den Mangel an ausländischen Direktinvestitionen.

Hoffnung für die iranischen Staatskassen

Laut dem Iran-Kenner Maciej Wojtal, Direktor der Investmentfirma Amtelon Capital in Amsterdam und London, erhoffen sich die Iraner von den Atomverhandlungen in Wien eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Perspektiven. Ohne Einigung habe die Wirtschaft des Landes keine guten Aussichten, sagte er dem Handelsblatt.

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Ein Ende der Sanktionen würde die Exportmärkte entfesseln, meint Wojtal. Die Handelsbilanz wäre über kurz oder lang wieder im Plus, die Staatskasse würde sich wieder mit Einnahmen aus dem Ölgeschäft füllen.

Die wirtschaftliche Misere, die Teheran auf die Wirtschaftssanktionen zurückführt, hat zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt. Die Gesellschaft sei in einem „explosiven Zustand“, heißt es in einem streng vertraulichen staatlichen Dokument, das dem Radio Free Europe/Radio Liberty zugespielt wurde. Die Authentizität des Papiers kann allerdings nicht überprüft werden.

Die Verfasser warnen vor „möglichen sozialen Unruhen“, weil das Leben vieler Iraner aufgrund der Sanktionen unerträglich geworden sei. Das siebenseitige Dokument stammt angeblich vom Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC), der militärischen Elitetruppe des Landes.

Experte Wojtal wertet den möglichen Wegfall der Sanktionen als Befreiungsschlag für die iranische Wirtschaft. Mittelfristig könne dies zu einem Wachstum der Ökonomie im zweistelligen Bereich führen.

Der Atomdeal könnte zudem weiteren sozialen Unruhen entgegenwirken. Die Sanktionen trafen besonders ärmere Schichten, deren Kaufkraft stark abgenommen hat. So hat der Rial in den vergangenen vier Jahren mehr als 80 Prozent seines Wertes verloren.

Bevor der ehemalige US-Präsident Donald Trump das Sanktionsregime ausdehnte, waren die Konsumentenpreise um jährlich rund zehn Prozent gestiegen, jetzt sind es mehr als 40 Prozent. Vor zwei Jahren erließen die Amerikaner zudem scharfe Sanktionen gegen den Finanzsektor, womit die iranische Wirtschaft vom Rest der Welt praktisch abgeschnitten wurde.

Darüber hinaus setzte die Financial Action Task Force (FATF), eine internationale Institution zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusförderung und der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen, den Iran auf die schwarze Liste.

Vorteil für die verarbeitende Industrie

Die US-Sanktionen trafen auch den Ölsektor hart. Die Erdöl-Ausfuhren fielen von 2,5 Millionen Fass pro Tag (2017) auf 0,4 Millionen im Jahr 2020.

Allerdings litten nicht alle Sektoren unter den Strafmaßnahmen. So hatte die verarbeitende Industrie im Iran wegen der schwachen Währung einen Konkurrenzvorteil im Mittleren Osten. Exportiert wurden zum Beispiel Zement, Papier, Strom und Autobestandteile.

Investor Wojtal fürchtet außenpolitische Folgen, sollten die Sanktionen nach den Atomverhandlungen in Wien nicht aufgehoben werden. Der Iran werde dann näher an Russland und China rücken. Moskau würde mit Investitionen in die iranische Ölindustrie deren Effizienz steigern und den Iran beim Ölhandel unterstützen, China würde vermehrt iranisches Öl importieren.

Erste Annäherungen an Peking gibt es bereits. In einem Zeitraum von 25 Jahren will die Volksrepublik 400 Milliarden Dollar im Iran investieren.

Der russische und der iranische Präsident bei einem Treffen in Moskau im Januar, bei dem sie über mögliche Kooperationen zwischen den Staaten sprachen. AP

Wladimir Putin und Ebrahim Raisi bei einem Treffen im Kreml

Der russische und der iranische Präsident bei einem Treffen in Moskau im Januar, bei dem sie über mögliche Kooperationen zwischen den Staaten sprachen.

In Jerusalem hofft die Politik derweil auf ein Scheitern der Atomgespräche. Israel warnt seit Jahrzehnten vor direkten und indirekten Gefahren eines nuklearen Irans und glaubt nicht, dass ein Abkommen die Gefahr bannen wird.

Eine iranische Atombombe wäre nicht nur für Israel eine existenzielle Bedrohung, heißt es dort. Zudem befürchtet Israel, dass ein Teil der zusätzlichen Einnahmen nach einem Ende der Sanktionen an vom Iran unterstütze Gruppierungen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen fließen werde.

Sollten die Sanktionen im Rahmen des Abkommens fallen, könnte der Iran seine Ölproduktion von derzeit zwei Millionen Barrel pro Tag auf rund vier Millionen Barrel pro Tag steigern. Die rasche Freigabe seiner Reserven aus den Öllagern könnte dem Iran einmalige Einnahmen von bis zu zehn Milliarden US-Dollar bescheren, während die erhöhte Produktion bei den derzeitigen Ölpreisen zusätzliche Einkünfte in Höhe von 50 Milliarden Dollar pro Jahr bedeuten würden.

Der Iran behauptet zwar, dass sein Atomprogramm ausschließlich zivilen Zwecken diene. Gleichzeitig treibt er aber sein Raketenprogramm voran. Die Kontrolleure der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die weltweit über angereichertes Uran Rechenschaft ablegen, werden ihren nächsten Bericht über die nuklearen Sicherungsmaßnahmen im Iran voraussichtlich veröffentlichen, bevor der Gouverneursrat der IAEO am 7. März tagt.

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