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19.06.2022

09:10

Wahlen in Kolumbien

Kolumbiens Wirtschaft ist Primus in Lateinamerika – doch die Stichwahl entscheidet über die weitere Entwicklung

Von: Klaus Ehringfeld

Der künftige Präsident übernimmt das Land in einer guten wirtschaftlichen Lage. Das liegt auch an Rohstoffen, die in Europa infolge des Ukrainekriegs dringend gebraucht werden.

Petro hatte die erste Wahlrunde Ende Mai klar gewonnen. AP

Gustavo Petro

Petro hatte die erste Wahlrunde Ende Mai klar gewonnen.

Bogota Wer auch immer am Sonntag in Kolumbien das Rennen um das Präsidentenamt macht, es ist ein Outsider. Der eine mehr, der andere weniger. Gustavo Petro, der frühere Bürgermeister von Bogotá, ist ein linker Kandidat, wie er in dem südamerikanischen Land noch nie regiert hat. Er hatte die erste Wahlrunde Ende Mai klar gewonnen. Sein Rivale ist Rodolfo Hernández, ein 77 Jahre alter populistischer Bauunternehmer, den bis vor Kurzem als Politiker niemand wirklich ernst genommen hat.

Analystin María Jimena Duzán, sagt, es komme in dem drittgrößten Land Lateinamerikas auf jeden Fall zu „tektonischen Verschiebungen“. Denn die klassisch konservative Elite, die das Land in den vergangenen 200 Jahren seit der Unabhängigkeit mal liberaler, mal rechter regiert hat, wird ihre Macht verlieren.

Das hat auch unmittelbare Folgen für die Wirtschaft. Während Überraschungskandidat Hernández Kolumbien „wie ein Unternehmen führen“ will, plant Petro einen grünen Umbau der Ökonomie und will dabei vor allem den Ausbau der Ölförderung stoppen.

Kolumbiens Wirtschaft hat den Einbruch durch die Pandemie überwunden und ist derzeit einer der großen Profiteure des Ukrainekrieges in Lateinamerika. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Region wird nach Prognosen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dieses Jahr um 6,1 Prozent wachsen und ist damit Primus in Lateinamerika.

Dem Bericht zufolge soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2023 um 2,1 Prozent anziehen. Der neue Präsident, der im August sein Amt antritt, übernimmt das Land damit in einer guten wirtschaftlichen Lage.

Rohölausfuhren machen mehr als die Hälfte der Exporte aus

Kolumbiens Rohölausfuhren machen 55,4 Prozent der Exporte aus, sind so der größte Beitrag zu den Staatsfinanzen. In dem OECD-Bericht heißt es: „Die Stärke der Rohstoffpreise stützt die Haushaltsergebnisse vor dem Hintergrund einer steigenden Auslandsnachfrage.“

Das südamerikanische Land gehört weltweit zu den zehn größten Exporteuren von Kohle. dpa

Kohle aus Kolumbien

Das südamerikanische Land gehört weltweit zu den zehn größten Exporteuren von Kohle.

Der durchschnittliche Preis für ein Barrel Öl lag in den vergangenen drei Monaten bei 105 Dollar, während er vor zwei Jahren noch bei rund 25 Dollar lag. Juana Téllez, Chefvolkswirtin bei BBVA Research, unterstreicht: „Kolumbien ist wirtschaftlich ein eindeutiger Gewinner des Ukrainekriegs.“ Steigende Preise für Öl, Kohle, Gold und Nickel könnten die Exporteinnahmen dieses Jahr um bis zu zehn Milliarden Dollar erhöhen.

Das südamerikanische Land gehört weltweit zu den zehn größten Exporteuren von Kohle. Einer der größten Abnehmer ist Deutschland. 2021 deckte die Bundesrepublik 5,5 Prozent ihrer Importe in Kolumbien.

Im Zuge des Plans, sich von russischen Energieträgern unabhängiger zu machen, spielt Kolumbien eine wichtige Rolle. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach bereits vor Wochen mit dem scheidenden Staatschef Iván Duque über die Möglichkeit, die derzeitige deutsche Importmenge aufzustocken.

Aber der mögliche Wahlsieg Gustavo Petros macht Märkte und Unternehmer im Land nervös. Während vor allem die konservative Elite fürchtet, Petro könne das Land in ein zweites Venezuela mit einem desaströsen Staatskapitalismus verwandeln, bemüht sich der Kandidat selbst, Vertrauen zu schaffen.

Hernández hingegen ist weniger konkret und viel populistischer in seinem Programm als sein Rivale. Reuters

Rodolfo Hernández

Hernández hingegen ist weniger konkret und viel populistischer in seinem Programm als sein Rivale.

In einem Interview mit „The Economist“ sagte der 62-Jährige, er strebe eine „soziale Marktwirtschaft“ nach deutschem Vorbild an – „mit allgemeinen Rechten, aber mit Respekt vor dem Privateigentum und freier unternehmerischer Initiative“. Allerdings müssten die Unternehmen mehr soziale Verantwortung übernehmen, unterstrich Petro.

Soziale Ungleichheit ist in Kolumbien besonders groß

Denn die wirtschaftlichen Erfolge kontrastieren mit der enormen sozialen Unzufriedenheit im Land, einer Informalität von 60 Prozent der Wirtschaft und einer offenen Arbeitslosigkeit von zwölf Prozent, wie es in dem OECD-Bericht heißt. Knapp 40 Prozent der 51 Millionen Kolumbianer leben demnach in Armut. Hier muss der künftige Staatschef ansetzen.

Seit Beginn der Pandemie sind die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich so groß, wie in keinem anderen Land in Lateinamerika. Die Steuereinnahmen machen nur 19 Prozent des BIPs aus und liegen damit weit unter dem OECD-Durchschnitt von 33 Prozent.

Kolumbien ist eines der wenigen Länder Lateinamerikas, das nie eine umfassende Landreform umgesetzt hat. Mehr als 80 Prozent der privaten landwirtschaftlichen Flächen befinden sich nach wie vor in der Hand von einem Prozent der Bevölkerung. Die Konzentration des Landbesitzes hat zwischen 2000 und 2015 sogar noch zugenommen. All das sind Tatsachen, die Petro in die Hände spielen.

Daher steht eine Landreform ganz oben auf seiner politischen Agenda. Zudem will er die Wirtschaft perspektivisch völlig umstellen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern.

So sollen keine neuen Ölfelder mehr erschlossen und keine neuen Förderlizenzen mehr vergeben werden. Kohle und Öl seien für die Wirtschaft nicht nachhaltig und schadeten dem Planeten. So sagte Petro: „Wir müssen die Wirtschaft dekarbonisieren.“ Es sollen die Landwirtschaft und der Tourismus gefördert werden.

Hernández hingegen ist wesentlich weniger konkret und viel populistischer in seinem Programm. Er will allein durch das Beseitigen der Korruption so viel Geld sparen, dass er damit die Wirtschaft ankurbeln kann. Zudem schlägt er die Abschaffung der Mehrwertsteuer und die Einführung einer Art Einheitssteuer von zehn Prozent auf den Konsum vor.

Hernández hat sich als Produkt positioniert, als Kandidat, der eine Lücke auf dem politischen Markt füllt und der dem Überdruss der Kolumbianer an der traditionellen herrschenden Klasse Ausdruck verleiht. Der ehemalige Bürgermeister seiner Heimatstadt Bucaramanga präsentiert sich bewusst als Außenseiter fernab der politischen Klasse.

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