In Österreich wird am 29. September gewählt. Für Sebastian Kurz stehen die Chancen auf eine Rückkehr ins Kanzleramt gut. Die Frage ist nur, mit welchem Koalitionspartner der ÖVP-Chef regieren wird.
Sebastian Kurz
Der österreichische Ex-Kanzler liegt in ersten Umfragen deutlich vorne.
Bild: AP
Wien Der Trip nach Kalifornien ist ganz nach dem Geschmack des ehemaligen Kanzlers. Wer, wenn nicht Sebastian Kurz wüsste sich mit all den Großen und Mächtigen im Silicon Valley, dem Epizentrum der digitalen Revolution, als weltgewandter Macher für den Wahlkampf daheim zu inszenieren.
Vertrauliches Gespräch mit Apple-Chef Tim Cook, eine entspannte Plauderei mit Netflix-Gründer und -CEO Reed Hastings oder ein Spaziergang durch die mit Robotern ausstaffierten Hallen des Elektroautopioniers Tesla – gerne im lässigen Outfit mit Leinensakko und Jeans, stets mit dem passenden Lächeln für die Kameras.
Nur von Google wird Kurz mit einem Treffen des obersten Lobbyisten Kent Walker abgespeist. Das aber hat einen guten Grund. Schließlich hat sich der Ex-Kanzler mit der Einführung der Digitalsteuer beim Internetgiganten keine Freunde gemacht. Aber selbst dieser Aspekt dient der Inszenierung für den Wahlkampf. Der Einsatz für internationale Steuergerechtigkeit kommt kurz vor der Wahl Ende September zu Hause gut an.
Den mitreisenden österreichischen Journalisten liefert er Wahlslogans: „Ich bin froh, dass wir hier Vorreiter sind. Es braucht Steuergerechtigkeit.“ In das Mikrofon des Privatsenders Oe24.tv formuliert er vor dem türkisblauen Himmel der Bay-Area populäre Kurz-Botschaften: „Meine größte Sorge gilt dem Arbeitsmarkt. Denn ein großer Teil der Jobs wird automatisiert werden.“
Auf Schritt und Tritt begleiten die Medien Kurz. Auf allen Kanälen können die Bürger daheim Worte und Taten des talentierten Kommunikators beobachten.
Kurz tritt in Kalifornien nicht wie ein Kanzlerkandidat auf, sondern wie ein Kanzler – der er nicht mehr ist. Innerhalb von wenigen Tagen war Kurz im Zuge der Ibiza-Affäre sein Amt losgeworden. Ein heimlich gedrehtes Video vom Vizekanzler und damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache brachte Ende Mai das Aus der konservativ-rechtspopulistischen Regierung – nach nur 17 Monaten.
Die Opposition machte den 32-Jährigen mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zum jüngsten Altbundeskanzler in der Geschichte der Zweiten Republik. Mit versteinerter Miene verließ Kurz, der sich um das Parlament in seiner Amtszeit nie viel gekümmert hatte, den Nationalrat in der Hofburg. Kein anderer Bundeskanzler hat bislang eine kürzere Amtszeit aufzuweisen. Das schmerzt.
Ob das Projekt Wiederwahl gelingt, ist auch aus deutscher Perspektive eine wichtige Frage. Der Österreicher profilierte sich als einer der großen Kontrahenten von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage, seine Regierung fuhr gegenüber Russland einen deutlich versöhnlicheren Kurs als Berlin, und insgesamt hat Kurz die christdemokratische ÖVP in eine rechtskonservative Bewegung verwandelt, die durchaus mit den Positionen des einen oder anderen Rechtspopulisten in Osteuropa sympathisiert.
Die Chancen auf eine Wiederwahl sind gut. Nach einer aktuellen Umfrage der Zeitung „Österreich“ kommt Kurz auf Zustimmungswerte von 44 Prozent. Platz zwei erreicht der designierte Chef der FPÖ, Norbert Hofer mit 20 Prozent, und dann erst kommt die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner mit nur 17 Prozent. Kurz ist allerdings beliebter als die eigene Partei (36 Prozent). Weit abgeschlagen dahinter die SPÖ und FPÖ mit um die 20 Prozent.
Doch beim zweiten Anlauf um die Macht läuft nicht alles nach Plan. Im Juni machte ihm eine heftige Diskussion über intransparente Großspenden aus der Industrie an seine Partei zu schaffen. Die Kontroverse mündete Anfang Juni in eine Neuordnung der Parteienfinanzierung, um private Großspenden einzudämmen.
Außerdem wurde aufgedeckt, dass ein enger Mitarbeiter von Kurz im Kanzleramt am Ende der Regierung unter falschem Namen fünf Festplatten von Druckern mit unbekannten Inhalten von der Firma „Reisswolf“ in Wien schreddern ließ. Er habe auf dreimaligem Schreddern bestanden. „Er hat unsere Mitarbeiter immer wieder aufgefordert, die schon geschredderten Partikel wieder auf das Förderband zu legen und neuerlich zu schreddern“, sagte „Reisswolf“-Chef Siegfried Schmedler der Wiener Wochenzeitung „Falter“.
In der 25-jährigen Unternehmensgeschichte sei es nie passiert, dass jemand „unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten vernichten hat lassen“. Wie Kurz im ORF einräumen musste, wurden auf den Druckern Daten aus dem österreichischen EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018 ausgedruckt. Das zweifelhafte Vorgehen war nur aufgeflogen, weil der Kurz-Vertraute die Rechnung über die Vernichtung des digitalen Inhalts von 76 Euro nicht bezahlt hatte und das betroffene Unternehmen daher Anzeige erstattete.
Immer wenn es eng wird, schweigt Kurz gerne und lange. Wenn das nicht hilft, versucht er, den Skandal zu einer Petitesse herunterzuspielen. „Es ist ein vollkommen normaler Vorgang, dass sensibel mit Daten umgegangen wird“, sagte er über die aufgeflogene Schredderaktion seines engen Mitarbeiters.
Anfangs tat er das mutmaßlich ungesetzliche Vernichten von Daten als „Schlamperei“ ab. Zuletzt redete er vom „Fehlverhalten“ seines Mitarbeiters. Das Ganze klingt ein wenig nach seinem ehemaligen Stellvertreter Strache, der sein heimlich aufgenommenes Treffen mit einer angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen auf Ibiza als „b’soffene G’schicht“ abgetan hatte.
Dabei hatte er der vermeintlichen Ost-Schönheit im Gegenzug für Wahlkampfhilfe zugunsten der FPÖ Vorteile in Aussicht gestellt, darunter die Vergabe öffentlicher Aufträge an ihre Firmen. Das einst so herzliche Miteinander mit Strache ist für Kurz längst Geschichte.
Der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache behauptete, Kurz selbst habe das Schreddern in Auftrag gegeben. Das weist der Kanzlerkandidat strikt von sich. Das sei „eine absolute Lüge“, sagte er an die Adresse von Strache, der sich in diesem Sommer auf Ibiza erholt.
Wenn die Strategie der Verniedlichung des Skandals wie im Fall des Schredderns von Kanzleramts-Festplatten nicht aufgehen sollte, hat Kurz eine andere Strategie. Dann inszeniert sich der ÖVP-Chef gerne als Opfer ungerechtfertigter Angriffe. So auch in diesem Wahlkampf. „Die letzten Tage haben das Ausmaß an Grauslichkeit deutlich gemacht, das dieser Wahlkampf mit sich bringen wird“, schreibt Kurz auf Facebook als Reaktion auf eine Schmuddelseite im Internet.
„Von links und von rechts hagelt es fast täglich neue Untergriffe, Diffamierungen und Dreck aus der allertiefsten Schublade.“ Er empört sich über gefälschte E-Mails. „Dem nicht genug, werden auch Gerüchte über Kinderpornografie, Drogenmissbrauch oder Korruption gestreut. Frei nach dem Motto: ‚Irgendwas wird schon hängen bleiben‘, wird nichts unversucht gelassen, uns und damit unseren Weg für dieses Land aufzuhalten.“
Die Strategie, sich als Opfer zu stilisieren, ist nicht neu. Bereits im Wahlkampf im Jahr 2017, als er gegen den damaligen Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern antrat, hat die Wahlkampfstrategie funktioniert. Viele Wähler nahmen dem mit exzellenten Manieren ausgestatteten damaligen Außenminister Kurz die Opferrolle ab.
Den damaligen Kanzler Kern mit seinem offenbar kriminellen Wahlkampfberater Tal Silberstein begriffen sie hingegen als Täter. Kern ist von der politischen Bildfläche längst verschwunden. Der frühere österreichische Bahn-Chef ist heute als Unternehmer aktiv.
Bis zur Wahl einer neuen Regierung wird Österreich von einer Beamtenregierung unter der Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein geführt oder besser verwaltet. Denn große Initiativen sind von dieser Regierung aus Staatsdienern nicht zu erwarten.
In der vergangenen Woche hat sich die Beamtenregierung in die Sommerpause verabschiedet. Zum zunehmend unappetitlich geführten Wahlkampf schweigt die Übergangskanzlerin beharrlich. „Wir erleben eine Diskussion zwischen der Vorgängerregierung und der Vorvorgängerregierung. Das wollen wir nicht kommentieren“, ließ sie über ihren Regierungssprecher ausrichten. Dann ging es in den Urlaub.
Für Kurz ist die parteilose Übergangsregierung eine ideale Konstellation. Denn sie unterstützt ihn indirekt. Sein enger Berater und Vertrauter Alexander Schallenberg fungiert als Außen-, Kultur- und Medienminister und macht darin eine „bella figura“. Kanzlerin Bierlein gilt ohnehin als konservatives Bollwerk.
Auch wenn sich die Juristin zu der Schredderaffäre nicht konkret äußert und auf die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft verweist, stellt sie sich hinter die Beamten und Mitarbeiter des Kanzleramtes, von denen viele aus der Regierungszeit von Kurz stammen. Alle würden „ganz hervorragende Arbeit“ leisten, „sind unglaublich loyal, und ich stehe hinter diesen Personen“, sagte die 70-Jährige kürzlich.
Kurz hat über Jahre das Image des Unantastbaren. Doch vor allem die Ibiza-Affäre und das unrühmliche Ende der Rechtskoalition haben ihn entzaubert. Selbst die Medien gehen auf Distanz. Der frühere Herausgeber der Zeitung „Kurier“ und jetzige Neos-Wahlkämpfer Helmut Brandstätter hat ein Buch veröffentlicht. „Kickl & Kurz – Ihr Spiel mit Macht und Angst“ heißt es.
Es ist eine Abrechnung mit Kurz und seinem früheren FPÖ-Innenminister. Beide hätten Österreich in eine autoritär-populistische Republik verwandelt. Der frühere Chef des Nachrichtensenders N-TV beklagt die zunehmende Medienkontrolle durch die Regierung. „Medien haben für ihn keine wesentliche Rolle in der Demokratie, er sieht sie eher als Verbreitungsorgane seiner Botschaften“, resümiert Brandstätter über den Ex-Kanzler. „Überall dieselben Botschaften, dieselben Formulierungen. Und wo nicht gespurt wird, erhalten Vorgesetzte und Eigentümer deutliche Anrufe.“
Brandstätter hat inzwischen den Beruf des Journalisten und Medienmanagers aufgegeben und steht auf Platz zwei der Liste der liberalen Neos. Die Partei, die vom Strabag-Gründer Hans-Peter Haselsteiner gefördert wird, hat gute Chancen, im Herbst eine Koalition mit Kurz und seiner ÖVP zu bilden. Im Gedächtnis von Kurz hat sich tief eingebrannt, dass die Neos die einzige Oppositionspartei waren, die im Juni gegen seine Abwahl als Kanzler gestimmt haben.
Kurz kann sich seinen Partner nach den Wahlen aussuchen. Die Optionen reichen von einer Neuauflage der Koalition mit der FPÖ über ein Bündnis mit der SPÖ bis zu einem Pakt mit den liberalen Neos und/oder mit den Grünen. „Ich schließe grundsätzlich keine Koalitionsvariante aus“, sagt Kurz. Doch eines ist für ihn klar, der ehemalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl ist für den ÖVP-Chef bei einem Bündnis zur Unperson geworden. „Kickl sollte keinen Platz in einer Regierung haben“, sagt der Kanzlerkandidat.
Kurz gibt sich siegesgewiss – nicht nur im Silicon Valley, sondern auch bei seinen inzwischen legendären Wahlkampf-Bergtouren. 900 Anhänger marschierten mit Kurz am letzten Julisonntag auf den Kreuzkogel in Großarl südlich von Salzburg – trotz des schlechten Wetters. „Es gibt mir unglaubliche Kraft und Motivation, dass so viele heute dem Wetter trotzen, um mit uns gemeinsam bergauf zu gehen“, sagt Kurz.
Und er ergänzt: „Während andere sich mit dem Verbreiten von Unwahrheiten beschäftigen, bleiben wir unserem neuen Stil treu und werben für unsere Ideen und Vorstellungen, um Österreich an die Spitze zu bringen“, sagt er.
Die wichtigste Idee ist eine steuerliche Entlastung der Arbeitnehmer und eine unternehmensfreundlichere Wirtschaftspolitik. Denn die Schwäche der Weltwirtschaft hat inzwischen auch das erfolgsverwöhnte Österreich erfasst: Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt nur noch um 0,3 Prozent gewachsen.
Kurz, der Ex-Kanzler, weiß, dass es die Entwicklung der Wirtschaft ist, die die Menschen wirklich umtreibt. Und er, der Macher, gibt ihnen das Gefühl, dass er die ökonomischen Probleme anpackt. Und Skandal hin oder her – das sollte reichen für seine Wiederwahl.
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