Seit Wochen wartet die Welt auf 20 Millionen Tonnen Getreide aus dem Hafen von Odessa. Nun ist das Abkommen unterzeichnet, das den globalen Hunger lindern soll.
Getreide aus der Ukraine
In den Verhandlungen um Getreideexporte aus der Ukraine gibt es einen Fortschritt.
Bild: dpa
Istanbul Russland und die Ukraine haben mit den Vereinten Nationen und der Türkei eine Lösung für die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine vereinbart. Sowohl Russland als auch die Ukraine unterzeichneten am Freitag in Istanbul getrennt voneinander Vereinbarungen unter Vermittlung von UN-Generalsekretär António Guterres.
Guterres nannte die internationale Initiative über die sichere Ausfuhr von Getreide, Nahrungsmitteln und Dünger durch das Kriegsgebiet im Schwarzen Meer ein „Leuchtfeuer der Hoffnung“. Es sei ein Abkommen „für die ganze Welt“, erklärte er während der Unterzeichnungszeremonie am Freitag in Istanbul.
Guterres hob die besondere Bedeutung der Übereinkunft für die armen Regionen hervor: „Sie wird den Entwicklungsländern, die am Rande des Bankrotts stehen, und den am meisten gefährdeten Menschen, die am Rande einer Hungersnot leben, Erleichterung verschaffen“, betonte der Generalsekretär.
Der Deal werde „dazu beitragen, die weltweiten Lebensmittelpreise zu stabilisieren, die schon vor dem Krieg auf Rekordniveau waren“, warb er für das Abkommen. Guterres mahnte die beteiligten Parteien, die Abmachungen voll umzusetzen.
Laut den UN verschärfte der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die globale Nahrungsmittelkrise dramatisch. Rund 50 Millionen Menschen hungerten zusätzlich wegen der Folge des Krieges. Der Konflikt habe 70 Millionen Menschen in die Armut gestürzt.
Die beiden Vereinbarungen enthalten sichere Ausfuhrkorridore für den Verkehr von Frachtschiffen durch das Schwarze Meer. Die eine dreht sich um Lieferungen von Nahrungsmitteln aus der Ukraine. Die andere beinhaltet Agrar-Exporte aus Russland wie Düngemittel. Die Parteien einigten sich darauf, dass die Schiffe nicht angegriffen werden dürfen.
Die Abkommen sollen zunächst für 120 Tage gelten, können aber verlängert werden. Der Deal regelt die Ausfuhr über die Häfen von Odessa, Chernomorsk and Yuzhny. Die Gewässer um die Ukraine sollen nicht von Minen geräumt werden, eine solche Operation wäre zu zeitintensiv. Ukrainische Lotsen sollen die Schiffe sicher an den Sprengkörpern vorbei navigieren.
In Istanbul wird eine Überwachungsstelle eingerichtet, in der Personal aus der Ukraine, Russland, der Türkei und von den UN sitzen. Die Schiffe sollen inspiziert werden, um den heimlichen Transport von Waffen zu vereiteln. Die Ukraine und Russland gehören zu den größten Produzenten von Agrargütern der Welt, sie bauen Getreide an. Russische Streitkräfte blockierten und besetzten ukrainische Häfen, die Ukraine wiederum verminte Gewässer.
Guterres hatte im April bei Besuchen in Moskau und Kiew für einen sicheren Transport der Nahrungsmittel geworben. Danach nahmen die vier Parteien in der Türkei konkrete Verhandlungen auf, von denen kaum Details an die Öffentlichkeit gelangten.
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Mehr als sechs Wochen hatten Russland und die Ukraine verhandelt – gemeinsam mit Vertretern der Vereinten Nationen und des türkischen Militärs. Nun endlich kam der Durchbruch. Damit könnte ukrainisches Getreide künftig wieder auf den Weltmärkten angeboten werden, was die drohende Nahrungsmittelkrise eindämmen würde.
Bereits zuvor hatten die Preise für Getreide weltweit nachgegeben, nachdem die Beteiligten signalisiert hatten, dass eine Einigung unmittelbar bevorsteht. Die Ukraine zählte vor dem russischen Angriffskrieg zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt.
Die Blockade ukrainischer Häfen durch Russlands Schwarzmeerflotte hat die Getreidepreise in den vergangenen Monaten weltweit drastisch ansteigen lassen und eine internationale Nahrungsmittelkrise ausgelöst. Dutzende Schiffe sitzen fest, rund 20 Millionen Tonnen Getreide stehen in den Silos des Hafens von Odessa zur Ausfuhr bereit.
Seit Anfang des Jahres ist Weizen auf dem Weltmarkt um 60 Prozent teurer geworden. „Die weltweiten Lagervorräte reichen nur noch für die nächsten zehn Wochen“, warnt ein Analyseunternehmen, das Daten für die Vereinten Nationen erhebt. Statistiken des US-Landwirtschaftsministeriums bestätigen die Einschätzung.
Hohe Preise für Agrarprodukte bedrohen die Ernährungssicherheit auf der ganzen Welt, vor allem auf der Südhalbkugel. Um sich selbst zu schützen, schotten sich viele Schwellenländer ab, erlassen Exportbeschränkungen und befeuern damit die Krise noch weiter.
Details des Abkommens sind noch nicht bekannt, aber die Grundzüge zeichnen sich bereits ab. Die Aussicht auf die Einigung ließ die Preise für Weizen am Freitag bereits sinken. Der europäische Future steuerte zwischenzeitlich mit einem Minus von 5,6 Prozent auf 316,50 Euro je Tonne auf den größten Tagesverlust seit viereinhalb Monaten zu. Der US-Kontrakt büßte knapp vier Prozent ein.
Diplomaten hatten vor rund einer Woche erklärt, es gehe im Kern um Garantien für eine sichere, minenfreie Passage für ukrainische Getreideschiffe. Zudem solle die Türkei mit Unterstützung der Vereinten Nationen die Frachter inspizieren, um russische Bedenken über Waffenschmuggel zu zerstreuen.
Das ukrainische Außenministerium erklärte am Donnerstag, der Vertrag verpflichte Russland und die Ukraine darauf, sichere Exportrouten im Schwarzen Meer zu gewährleisten. Die Ukraine werde aber nur zustimmen, wenn die Sicherheit der südlichen Regionen der Ukraine gesichert sei. Auch müssten „starke Positionen“ der ukrainischen Streitkräfte im Schwarzen Meer und sichere Exporte ukrainischer Agrarprodukte garantiert seien.
Tatsächlich kann die Türkei dies gewährleisten, da sie dazu in der Lage ist, Seetransporte mit eigenen Militärbooten abzusichern. Kriegsschiffe aus Ländern, die nicht an das Schwarze Meer grenzen, dürfen aufgrund der sogenannten Montreux-Konvention derzeit nicht den Bosporus durchfahren. Die Türkei hingegen ist als Rechteinhaberin der Konvention und als Schwarzmeeranrainer weiterhin legal mit der eigenen Marine im Schwarzen Meer präsent.
Stau von Frachtschiffen auf dem Bosporus
Die Minengefahr lähmte Frachtrouten auf dem Schwarzen Meer. Nun sollen türkische Militärboote ukrainische Getreideschiffe absichern.
Bild: IMAGO/ZUMA Wire
Zwei türkische Fregatten, zwei U-Boote und ein halbes Dutzend Patrouillen- und Schnellangriffsschiffe des Nato-Mitglieds liegen derzeit im Schwarzen Meer bereit. Und für eine Schutzmission könnten zügig noch weitere Schiffe gerufen werden, sagte Yörük Isik, Leiter der Beratungsfirma Bosphorus Observer mit Sitz in Istanbul, der Nachrichtenagentur Reuters.
Dagegen sprachen bisher vor allem die Belange der Ukraine. Dem Vernehmen nach hatten sich Russland und die Türkei sowie die Vereinten Nationen schon früh auf diesen Mechanismus geeinigt. Ukrainische Diplomaten hatten entsprechend kühl reagiert, als Ankara im Juni angeboten hatte, die für den Getreidetransport benutzten Wasserwege von Minen zu räumen.
„Es besteht die Sorge, dass die Entfernung der Verteidigungselemente die ukrainischen Häfen anfällig für russische Angriffe macht“, hieß es damals in einer diplomatischen Note aus dem Kiewer Außenministerium.
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