Mehr Personal, mehr Service, weniger Warteschlangen: In Japan herrscht eine vollkommen andere Einkaufsmentalität. In Fernost steht der Kunde im Fokus.
Einkaufspassage in Hiroshima
In Japan wird Effizienz ganz anders definiert als in Deutschland – auch beim Einkaufen.
Tokio Heimaturlaube sind immer wieder ein Kulturschock für mich – wenn es ums Einkaufserlebnis geht. Beim Karstadt Sporthaus in Bremen kümmerte sich dieses Mal kein Verkäufer um mich, als ich nach Fußballschuhen suchte. Die einzige Fachkraft auf der Etage fühlte sich offenbar mit dem Bestücken der Regale ausgelastet.
Selbst beim Abkassieren wurde gegeizt. Die Kassen auf den Etagen waren geschlossen, nur die im Erdgeschoss besetzt. Ach, und beim Aldi hieß es wieder einmal Schlange stehen. Denn der Konzern spart zum Wohle der Preisminimierung und Profitmaximierung am Personal.
Diese Erlebnisse riefen mir wieder einmal ins Bewusstsein, dass Effizienz in Japan offenbar ganz anders definiert wird als in Deutschland. Nicht aus Anlegersicht als Kapitaleffizienz, sondern aus der Sicht der Kunden. Die Geiz-ist-geil-Todesspirale, die aus meiner fernen Warte mit zum Niedergang der Einkaufskultur in Deutschland beigetragen hat, wird in Japan zum Glück noch nicht goutiert.
Kaufhäuser in Japan leisten sich noch Personal, das sich für die Kunden interessiert. Betrete ich ein Areal, werde ich rasch gefragt, was ich denn suche. Und mein Discounter um die Ecke hat eine Batterie von zwölf Kassen aufgereiht. Selbst die Pfennigfuchser im Einzelhandel tun alles, um das Einkaufserlebnis kurzweilig – sprich zeitökonomisch – effizient für die Kundschaft zu gestalten.
Lange Wartezeiten will niemand den Kunden zumuten, nicht einmal in den rund um die Uhr geöffneten Mini-Supermärkten, den Convenience Stores. Kaum bildet sich der Hauch einer Schlange, wird prompt eine weitere Kasse bemannt. Nur zum Mittagsessen kann es in Filialen, die eine Monopolstellung in einem der riesigen Bürohochhäuser Tokios haben, zur Reihenbildung kommen.
Und das Rezept zieht, obwohl Lebensmittel in Japan teurer sind als in Deutschland. Denn erstens haben die Japaner keine Wahl. Zweitens erhalten sie weitaus bessere Ware als in Deutschland und insgesamt ein besseres Gefühl beim Einkauf.
Auch bei Restaurants wirkt sich der Drang der Japaner aus, den Kunden zu gefallen. Der Restaurantführer Guide Michelin hat in Tokio mehr Sterne vergeben als in ganz Frankreich. Selbst in normalen Restaurants tafelt man in der Regel vorzüglich. Ich pflege zu sagen: Wenn man mal in Japan enttäuscht wird, dann in der Regel auf einem hohen Niveau.
Als einen wichtigen Grund für den Unterschied zwischen japanischer und deutscher Servicekultur sehe ich ein grundsätzlich anderes Verständnis. In Deutschland gibt es das Sprichwort „Der Kunde ist König“. Und genauso werden die Kunden inzwischen oft auch behandelt: durch Weggucken oder -ducken, solange es eben geht.
Denn allem Anschein nach ist tief in unsere historische Erinnerung eingebrannt, dass dem Volk höhere Steuern, Kriegsdienst oder andere Mühsal drohen, wenn der Monarch ruft. Und dann will er womöglich auch noch die Preise drücken, weil er es für ein Privileg hält, ihm dienen zu dürfen. Da ist es nur rational, den Kunden zu meiden.
In Japan wird der Kunde selbst im Volksmund anders gesehen. Ein Sprichwort erhebt ihn zu einem Gott. Dabei denken die Japaner allerdings nicht an jenen allmächtigen, strafenden Alleinherrscher jüdisch-christlich-islamischer Glaubenswelten, sondern an die vielen Gottheiten ihrer Naturreligion Shinto. Und deren Gunst versucht man sich durch besonders zuvorkommendes Verhätscheln zu sichern. Sonst wenden sich die ausgesuchte Gottheit womöglich genauso wie die verwöhnten japanischen Kunden rasch gelangweilt ab.
Eine andere Lebensweisheit beschreibt den Kunden noch treffender – und zwar als Schatz. Und jeder weiß, dass man sich besonders anstrengen muss, um einen Schatz zu heben. Sonst schnappt womöglich ein noch eifrigerer Rivale den Reichtum weg. Und dieser Drang, mit aus westlicher Sicht absurd hohem Aufwand Kunden zu gewinnen und zu halten, zieht sich quer durch die Gesellschaft.
Mit diesem Eindruck stehe ich beileibe nicht allein. An Baustellen stünden oft mehrere Sicherheitsleute, die mit Fahnen in der Hand den Fuß- oder Autoverkehr regelten, beschreibt Marcel van Aelst, der niederländische Präsident der japanischen Luxushotelkette Okura Nikko Hotel Management, eines seiner Aha-Erlebnisse.
Zuerst dachte er, dass dieser Personalaufwand pure Verschwendung sei. Doch auf den zweiten Blick gewann der Manager, der jahrzehntelang beim Okura Hotel Karriere gemacht hat, einen anderen Eindruck: „Vielleicht führt der Aufwand dazu, dass sich die Passanten sicherer fühlen.“
Dieses Prinzip sieht er flächendeckend am Werk. „In Japan spielt Kundenzufriedenheit eine größere Rolle“, meint er. Dieses Kriterium habe für ihn daher in seinem Geschäft Priorität, „selbst auf Kosten der Gewinne.“ Andere Wirtschaftsteilnehmer sehen das ähnlich.
Denn Japans Käufer haben Alternativen, besonders im Hotel- und Restaurantgewerbe. Nicht von ungefähr werden diese Segmente als „Wassergeschäft“ bezeichnet: Selbst ein gutes Geschäft kann abrupt zwischen den Fingern zerrinnen, wenn sich die Mode ändert oder die eigene Qualität nachlässt.
Industriekunden gelten zwar als loyaler als der japanische Endkunde. Doch auch das Geschäft mit Unternehmenskunden diktiert hohe Anforderungen, an die sich ausländische Unternehmen besser anpassen, wenn sie Geschäfte machen wollen. Weil viele japanische Kunden sich nur kleine Lager leisteten, liefere sein Unternehmen viel kleinere Losgrößen und die dafür häufiger als in anderen Ländern der Welt, erklärt ein deutscher Manager.
Manchmal treiben die Ansprüche der Kunden und der Drang, diese zu befriedigen, fast schon absurde Blüten. „Der Lack von Fässern in Japan ist manchmal besser als der von Autos in Indien“, witzelt der Manager. Denn in Japan komme es manchmal schon zu Beschwerden, wenn Fässer mit Chemikalien Kratzer hätten. Die haben zwar keinen Einfluss auf die Qualität des Produkts. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass Kunden gerne umfassende Exzellenz erwarten. Und bislang versuchen viele Verkäufer noch, selbst extreme Wünsche zu befriedigen.
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