Während Deutschland den Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation unterstützt, stößt er andernorts auf Ablehnung – unter anderem in seinem Heimatland Äthiopien.
Tedros Adhanom Ghebreyesus
Das Grundproblem des WHO-Chefs: Er hat keine Weisungsbefugnis gegenüber den Mitgliedsländern.
Bild: dpa
Genf Die Stimme des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klang noch weicher, als sie ohnehin ist. „Als ein Kind des Kriegs, das ich selbst bin, weiß ich sehr gut, was die Ukrainer durchmachen“, sagt Tedros Adhanom Ghebreyesus. Dann appelliert der oberste Wächter der globalen Gesundheit an Russland, den Krieg zu stoppen. „Die Medizin, die die Ukraine jetzt am dringendsten braucht, ist der Frieden.“
Bei seinem Besuch Anfang Mai in der Ukraine zeigt sich der WHO-Chef von seinen besten Seiten: Tedros der selbstlose Helfer, Tedros der fürsorgliche Ratgeber, Tedros der aufmerksame Zuhörer. Ganz nebenbei dürfte sich der 57-jährige Äthiopier die Unterstützung der Ukraine bei seiner anstehenden Wiederwahl als WHO-Generaldirektor gesichert haben.
Eigentlich kann der frühere Außenminister und Ex-Gesundheitsminister einer autoritären Regierung in Äthiopien sorgenfrei auf die Abstimmung am Dienstag schauen. Tedros, der in öffentlicher Gesundheit promovierte und als Immunologe und Malariaspezialist wirkte, tritt als einziger Kandidat in der Weltgesundheitsversammlung an. Die Wiederwahl des Dr. Tedros in dem Gremium der 194 WHO-Mitgliedsländer sollte zustande kommen.
Zu seinen stärksten Befürwortern zählt Deutschland. Die Bundesrepublik, die mittlerweile die größten Zahlungen an die WHO leistet, hob Tedros zusammen mit anderen Ländern auf den Bewerberschild. In einem Schreiben der Gruppe um Deutschland hieß es, die WHO brauche eine „starke, pragmatische und visionäre Führung“. Genau diese Führung verspricht sich der Topzahler von Tedros.
In der nächsten fünfjährigen Amtszeit will der gewiefte Politstratege die Welt „wirklich bereit“ machen, um eine mögliche neue Pandemie zu bewältigen. Zunächst aber muss sich der WHO-Chef weiter mit der zähen Coronapandemie herumschlagen. Tedros äußert sich zwar zuversichtlich, dass die Welt die „akute“ Pandemiephase in diesem Jahr beenden könne. Doch noch immer haben viel zu wenige Menschen, zumal in den armen Ländern, eine Impfung gegen Covid-19 erhalten.
Tedros prangert unermüdlich dieses „katastrophale moralische Versagen“ und den „Impfnationalismus“ der reichen Staaten an. Aber auch das internationale Impfprogramm Covax, von Tedros mitgegründet, konnte in den einkommensschwachen Staaten noch nicht für eine ausreichende Vakzinierung sorgen.
Bei all seinen Bemühungen, die Killerseuche zu besiegen, stößt der Chef der 8000 Mitarbeiter starken WHO immer wieder auf ein Grundproblem: Tedros verfügt über keine Weisungsbefugnis gegenüber den Mitgliedsländern. Der erste Mann der obersten internationalen Gesundheitsbehörde kann gewissermaßen nur die notwendige Medizin verschreiben. Die Medizin schlucken müssen die Mitgliedsländer selbst.
Läuft es aber richtig schief, muss Tedros auch als Sündenbock herhalten. So lastete die US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump dem WHO-Chef seine Nähe zu China an, wo die Coronapandemie ihren unheilvollen Lauf nahm. Trump beschuldigte die WHO im Mai 2020 sogar, zusammen mit den Machthabern in Peking den Beginn der Seuche „vertuscht“ zu haben. Tatsächlich pries Tedros Chinas desaströse Coronapolitik zu Beginn des Ausbruchs als „neuen Standard“.
Fachleute wie David Fidler, Gesundheitsexperte des Council on Foreign Relations, halten Tedros zugute, dass China sich von niemandem reinreden lässt. Auch nicht vom WHO-Chef. „Ich glaube nicht, dass eine andere Person Chinas Verhalten im Januar 2020 oder danach geändert hätte“, erläutert Fidler.
Inzwischen haben sich die Fronten zwischen Tedros und den Schwergewichten USA und China völlig verkehrt. Während Tedros zu der neuen US-Regierung unter Präsident Joe Biden ein eher entspanntes Verhältnis pflegt, sind die Herrscher im Reich der Mitte nicht mehr gut auf Tedros zu sprechen. Den Zorn in Peking entfachte Tedros, als er einen gemeinsamen Bericht der WHO und Chinas über die Covid-19-Genese arg bemängelte: „Ich glaube nicht, dass diese Bewertung ausreichend ist.“ Tedros kritisierte unlängst sogar Pekings Null-Covid-Strategie als „nicht nachhaltig“.
Noch eisiger ist der Umgang zwischen Tedros und der Regierung seines Heimatlandes Äthiopien. Hintergrund ist der Konflikt in der Region Tigray, der 2020 zwischen der Zentralregierung und der Volksbefreiungsfront (TPLF) ausbrach. Zunächst nannte der Chef des Generalstabs der äthiopischen Armee, Berhanu Jula, seinen Landsmann Tedros einen „Kriminellen“ und unterstellte ihm, er habe Waffen für die TPLF erwerben wollen. Tedros hingegen beschuldigte die Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed, trotz Waffenstillstand keine Hilfstransporte nach Tigray zu erlauben. Die Lage der Menschen in Tigray, so urteilte Tedros, sei die „Hölle“.
Die TPLF hatte früher die Zentralregierung Äthiopiens kontrolliert, Tedros diente als Minister. Auf die Unterstützung der aktuellen äthiopischen Regierung darf Tedros wohl nicht mehr hoffen.
Mitarbeit: John Zarocostas
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