Als erste Frau und erste Persönlichkeit aus Afrika wird die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala Generaldirektorin der kriselnden WTO. Auf sie warten zahlreiche Handelskonflikte.
Designierte WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala
Die frühere Finanzministerin Nigerias soll neue Chefin der Welthandelsorganisation WTO werden.
Bild: AFP
Genf, Berlin Bei der Welthandelsorganisation WTO bricht eine neue Zeitrechnung an: Erstmals in der Geschichte der im Jahr 1995 gegründeten Institution wird eine Frau die Position der Generaldirektorin übernehmen. Und erstmals kommt eine Persönlichkeit aus Afrika bei der Besetzung des Topjobs in Genf zum Zuge: Sie heißt Ngozi Okonjo-Iweala.
Der Allgemeine Rat der WTO muss der Ernennung der 66-jährigen Nigerianerin noch formal zustimmen, dann wird Okonjo-Iweala für vier Jahre in das WTO-Chefbüro einziehen.
Dort dürfte die frühere Finanzministerin und kurzzeitige Außenministerin ihres Landes kaum Zeit und Muße finden, den grandiosen Blick auf den Genfer See und den Montblanc zu genießen. Zu groß sind die Herausforderungen: Die 164 WTO-Mitglieder streiten viel und schon viel zu lange – über globale Regeln für den E-Commerce, über unfaire Subventionen Chinas und über neue Handelshürden wie den Impfstoff-Nationalismus.
Die Nigerianerin wird zunächst helfen müssen, die Blockade der Berufungsinstanz des WTO-Schiedsgerichts aufzulösen. Dort blockieren die USA seit Langem eine Neubesetzung, weil sie mit den Schiedsverfahren unzufrieden sind.
Okonjo-Iweala will jedoch auch den großen Erwartungen gerecht werden, die Entwicklungsländer an sie richten. Die Frau aus dem Erdölstaat Nigeria ist überzeugt: „Handel zieht die Entwicklungsländer aus der Armut heraus.“
Auch gelobt die designierte WTO-Chefin: „Wir wollen die WTO verjüngen und reformieren.“ Genaue Pläne für eine Modernisierung legte Okonjo-Iweala noch nicht auf den Tisch. Leicht wird die Reform nicht, drängen doch die EU und die USA auf schärfere Regeln, um gegen unfaire Handelspraktiken Chinas vorzugehen. Peking hält dagegen.
Der Wechsel an der WTO-Spitze kommt zu einem kritischen Wendepunkt für die Weltwirtschaft: Durch die Corona-Pandemie ist der Welthandel im vergangenen Jahr um rund sieben Prozent eingebrochen. Bereits Ende 2020 erreichte der internationale Warenaustausch nach Angaben des niederländischen Büros für Wirtschaftsanalyse jedoch wieder das Niveau vor der Krise. Und in diesem Jahr soll der Welthandel nach einer Prognose von Adam Slater, Ökonom bei der Denkfabrik Oxford Economics, um bis zu neun Prozent wachsen.
Die WTO, die einen regelgebundenen und möglichst freien weltweiten Handel garantieren soll, steckt seit Jahren in einer Existenzkrise. Ein Ursprung für die Kalamitäten liegt in der 2001 begonnenen und nie beendeten Welthandelsrunde, die zu einem globalen Abbau von Handelshürden führen sollte.
Das grundsätzliche Problem der Genfer Organisation, die Abkehr vieler Staaten von multilateralen Abkommen zwischen allen Mitgliedern zugunsten von bilateralen oder regionalen Pakten wie der neuen Regional Comprehensive Economic Partnership im Pazifikraum, ist die größte Herausforderung für Okonjo-Iweala. Entscheidet sich doch hier, ob die WTO noch gebraucht wird.
Okonjo-Iweala skizziert ebenso eine neue Rolle für die WTO – im Kampf gegen die Krankheit Covid-19. „Es muss einen gleichen Zugang zu Medizin geben, und die WTO könnte Teil der Lösung sein.“ Derzeit steht ein Vorschlag Indiens und Südafrikas im Raum: Sie wollen den Patentschutz im Handel mit Medikamenten und Impfstoffen gegen Covid-19 vorübergehend aussetzen, um armen Staaten zu helfen. Die EU und andere reiche WTO-Mitglieder wollen davon jedoch nichts wissen.
Okonjo-Iweala setzte sich gegen fünf Bewerber und zwei Bewerberinnen durch. Zum Schluss zog die einzig verbliebene Rivalin, Handelsministerin Yoo Myung Hee aus Südkorea, ihre Kandidatur zurück. Okonjo-Iweala konnte in der entscheidenden Phase des Rennens auf die EU-Unterstützung zählen. Die USA unter Ex-Präsident Donald Trump blockierten jedoch die Ernennung der Afrikanerin über Monate. Die neue Regierung von Joe Biden stellte sich jetzt hinter sie.
Seit Bekanntgabe ihrer Kandidatur im Juni 2020 ließ die vierfache Mutter und Großmutter an ihren Ambitionen keine Zweifel. „Ich bin für die Aufgabe qualifiziert“, betonte die energische Frau. Fachleute wie die frühere Handelsministerin Costa Ricas, Anabel González, trauen „Ngozi“ zu, den Job bei der WTO zu meistern. Okonjo-Iweala habe eine „starke Reputation auf dem internationalen Parkett“. Skeptiker halten Okonjo-Iweala vor, dass sie sich in ihrer Karriere kaum mit Handelsfragen befasst habe und die WTO wenig kenne.
So monierte der ehemalige US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer, dass die Nigerianerin über keinerlei Erfahrung in der Handelspolitik verfüge. „Es stimmt, ich bin kein WTO-Insider, aber das ist eine gute Sache“, sagte sie und verwies auf den „neuen Blick“, den sie auf die schwerfällige WTO werfen könne. Vielleicht wird auch die Führung durch eine Frau der WTO guttun – nachdem die Organisation und auch ihre Vorgängerin, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT, bislang nur von Männern geleitet wurden.
Dabei ist sich Okonjo-Iweala bewusst, dass sie als Generaldirektorin keine „direkte Entscheidungsbefugnis“ bei Verhandlungen der Mitgliedsländer hat. Aber sie will durch eine „proaktive Einflussnahme“ führen. Ihrem Vorgänger, dem Brasilianer Roberto Azevedo, wurde immer wieder vorgeworfen, dass er in seiner Amtszeit zu wenig Führungsstärke gezeigt habe.
Das Selbstbewusstsein Okonjo-Iwealas speist sich einerseits aus ihrer Herkunft, sie stammt aus einer einflussreichen Familie. Andererseits kann sie eine beeindruckende Karriere vorweisen: Bis zum vergangenen Jahr bekleidete sie die Position des „Chair of the Board“ der globalen Impfstoffallianz Gavi. Und sie rückte in das Board der Standard Chartered Bank und auch des Kurznachrichtendienstes Twitter ein – sie weiß also, wie Unternehmen ticken.
Als Chefin des Finanzressorts Nigerias erreichte sie einen Schuldenerlass für ihr Land. Bei der Weltbank schaffte sie es, zum „Managing Director“ aufzusteigen, also zur Nummer zwei. Allerdings scheiterte ihr Versuch, ganz an die Spitze der Institution in Washington vorzustoßen.
Die USA prägten Okonjo-Iweala nachhaltig. Im Jahr 1973 zog es sie über den Atlantik, die Studentin machte den Ökonomie-Abschluss in Harvard und erwarb einen Ph.D. am Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit einem entwicklungspolitischen Thema. Schließlich erlangte sie auch die US-Staatsbürgerschaft. Dass in der WTO an den USA nach wie vor kein Weg vorbeiführt, weiß die kommende Chefin. Das Engagement der Amerikaner sei „absolut wesentlich“.
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