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18.04.2022

09:43

Westbalkan

Ist Bosnien und Herzegowina Putins nächstes Einfallstor?

Von: Eva Fischer

30 Jahre nach Ausbruch des Bosnienkriegs droht dem Land wieder eine Spaltung – angetrieben von Serbien und Russland. Die EU hält sich mit Sanktionen bislang zurück.

Der Chef der bosnischen Serben zielt darauf ab, die Armee von Bosnien-Herzegowina zu spalten. Reuters

Milorad Dodik

Der Chef der bosnischen Serben zielt darauf ab, die Armee von Bosnien-Herzegowina zu spalten.

Brüssel Der Teufel kommt immer wieder in einer anderen Gestalt daher: Etwas, womit Literatur und Kunst spielen, lässt sich auch in der internationalen Politik beobachten. In Bosnien und Herzegowina ist der Teufel derzeit groß und massig und hat dunkles Haar. Sein Name: Milorad Dodik.

Dodik ist der Chef der größten bosnisch-serbischen Partei SNSD und Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, das von einem bosniakischen, einem kroatischen und einem serbischen Bosnier gebildet wird. Und er ist ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der ihn dabei unterstützt, Bosnien und Herzegowina in seiner jetzigen Form Geschichte werden zu lassen.

Im Gegenzug hält Dodik den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für gerechtfertigt und verlangt, dass der Staat Bosnien und Herzegowina sich im Ukrainekrieg als „neutral“ positioniert. Tatsächlich ist Bosnien und Herzegowina eines der sehr wenigen europäischen Länder, die sich den EU-Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen haben. Die Minister mit serbisch-bosnischem Hintergrund in Sarajevo hatten die entsprechende Entscheidung blockiert.

Derzeit besteht der Staat Bosnien und Herzegowina aus zwei sogenannten Entitäten: der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska, die beide flächenmäßig für jeweils etwa 49 Prozent des Staatsgebietes stehen. Zudem gibt es die Sonderverwaltungszone Brcko, die etwa zwei Prozent des Landes ausmacht und das Gebiet der Republika Srpska durchschneidet.

Die Republika Srpska, was wörtlich übersetzt Serbische Republik bedeutet und deren Präsident Dodik lange war, ist mit 81,5 Prozent überwiegend von Serben bevölkert. Die Bevölkerung der Föderation Bosnien und Herzegowina besteht gemäß der letzten, im Jahr 2013 durchgeführten Volkszählung zu 70,4 Prozent aus Bosniaken – den muslimischen Bosniern – und zu 22,4 Prozent aus katholischen Kroaten. Orthodoxe Serben machen dort nur 2,5 Prozent der Einwohner aus.

Die Sonderverwaltungszone Brcko ist wiederum gemischt bevölkert, weswegen sie nach dem Bosnienkrieg nicht der Republika Srpska zugeschlagen wurde: 2013 lebten dort 42 Prozent Bosniaken, 35 Prozent Serben und 21 Prozent Kroaten.

Das Ziel einer eigenen Armee

In der Republika Srpska gibt es seit Langem Separationsbemühungen, die in den vergangenen Monaten konkreter wurden. Im Oktober 2021 beschloss das dortige Parlament, eine eigene Arzneimittelagentur zu gründen, obwohl es auf Staatsebene in Bosnien und Herzegowina bereits eine gibt. Beobachter bewerteten dies als Test der Entitäts-Regierung in Banja Luka, wie weit man gehen kann, um Strukturen für einen eigenen Staat zu schaffen.

Der große Wurf kam kurze Zeit später: Im Dezember wurden in Banja Luka Gesetze erlassen, die einen Rückzug der Republika Srpska aus den staatlichen Strukturen Bosnien und Herzegowinas zur Folge haben. Konkret beschloss das Parlament, dem Zentralstaat die Kompetenzen in den Bereichen Steuern, Justiz sowie Sicherheit und Verteidigung zu entziehen.

Der Hauptinitiator dahinter: Dodik. Dieser hat zudem das Ziel, die Streitkräfte des Landes zu spalten und eine eigene Armee der Republika Srpska aufzubauen. Für die Bosniaken des Landes ein traumatisches Vorhaben: Der Völkermord von Srebrenica an 8000 Bosniaken – den Dodik im Übrigen leugnet – wurde unter anderem von der damaligen Armee der Republika Srpska verübt.

Bislang versucht die westliche Diplomatie noch, die Regierung in Banja Luka dazu zu bringen, die Gesetze wieder zurückzunehmen. Der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Olivér Várhelyi, bot Dodik dafür eine Belohnung von 600 Millionen Euro an – was bislang nicht überzeugte.

Viel Zeit bleibt nicht mehr: Die Gesetze sollen im Mai in Kraft treten. In Diplomatenkreisen gibt es die Befürchtung, dass Dodik dann auch die Unabhängigkeit der Republika Srpska ausrufen wird. Russland und Serbien würden diese vermutlich anerkennen.

Daraufhin könnte sie sich Serbien anschließen wollen – was der serbische Präsident Aleksandar Vucic, ebenfalls ein Freund Putins, natürlich befürwortet. Der Versuch, diesen Landesteil mit Serbien zu einem Groß-Serbien zu vereinigen, war einer der Gründe für den Bosnienkrieg und den Völkermord an den Bosniaken. Das Szenario würde außerdem die sicherheitspolitische Lage des Kosovos, das Serbien für sich beansprucht, erneut verschärfen.

Im Balkan droht also eine Wiederholung der Geschichte, angetrieben von Machtpolitikern an der Spitze Bosnien und Herzegowinas und Serbiens. Und ihrem mächtigen Freund Putin, der solch fragile Staaten leicht für seine geostrategischen Interessen ausnutzen kann.

Bosnien und Herzegowina hofft auf Nato-Beitritt

Sollten die Befürchtungen über eine Herauslösung des bosnischen Serbengebietes nicht eintreten, bleibt dennoch das Konfliktpotenzial um die Rolle der bosnisch und herzegowinischen Armee. Bosnien und Herzegowina strebt langfristig eine Mitgliedschaft in der Nato an und ist derzeit ein Partnerland. Nach Ausbruch des Ukrainekriegs sicherte das Verteidigungsbündnis Sarajevo noch stärkere Unterstützung zu. Die Republika Srpska hingegen lehnt eine Nato-Mitgliedschaft ab – genau wie Serbien, das stattdessen militärisch lieber mit Russland zusammenarbeitet.

Auch das bosnische Serbengebiet setzt auf die Kooperation mit Russland. Schon 2017 schickten die Russen Militäreinheiten und Geheimdienstleute dorthin und bildeten bosnische Serben als „Sonderpolizisten“ aus. Einen Nato-Beitritt Bosnien und Herzegowinas will Moskau mit aller Macht verhindern.

Das zeigte auch eine Aussage des russischen Diplomaten in Sarajevo, Igor Kalabuchow. Dieser drohte im bosnischen Staatsfernsehen, sollte sich Bosnien und Herzegowina entscheiden, Mitglied der Nato zu werden, könnte dem Land Ähnliches blühen wie der Ukraine.

Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Adis Ahmetovic ist das ein eindeutiges Alarmsignal. „Wir haben doch gelernt, dass wir die Aussagen von Putins Regime buchstäblich ernst nehmen müssen“, sagte der Außenpolitiker kürzlich auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung. Dem Handelsblatt sagte er: „Dies ist eine völkerrechtswidrige Drohung sowie ein weiterer Versuch der Destabilisierung des Westbalkans, des Mittelmeerraums und damit von Europa.“

Auch der Grünen-Europaabgeordnete Romeo Franz warnt: „Man muss die Drohungen Putins ernst nehmen. Nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist klar geworden, dass der russische Diktator eine neue Weltordnung anstrebt und dies auch mit Waffengewalt durchsetzen möchte. Den Westbalkan insgesamt hat Putin schon lange im Visier.“

In dem bosnischen Serbengebiet gibt es seit langem Separationsbemühungen, die in den vergangenen Monaten konkreter wurden. imago images/Pixsell

Parade am Jahrestag der Republika Srpska

In dem bosnischen Serbengebiet gibt es seit langem Separationsbemühungen, die in den vergangenen Monaten konkreter wurden.

In Großbritannien wurde die Gefahr, die sich anbahnt, erkannt: London hat bereits Sanktionen gegen Dodik und Zeljka Cvijanovic, die Präsidentin der Republika Srpska, erlassen. Beide dürfen nun nicht mehr in das Vereinigte Königreich einreisen, ihre etwaigen dortigen Vermögenswerte werden eingefroren. Sonderlich kümmern tut das die beiden Politiker aber wohl nicht. Dodik sagte, die Sanktionen des Vereinigten Königreichs gegen ihn seien ihm „egal.“ Die Briten seien den Serben ohnehin noch nie wohlgesinnt gewesen.

Sanktionen der USA gegen Dodik gibt es derweil schon seit vielen Jahren, im Januar wurden sie aufgrund des Armee-Vorhabens noch einmal verschärft. So sind US-Bürgern Finanztransaktionen mit Dodik untersagt.

Die EU konnte hingegen noch keine Sanktionen gegen Dodik auf den Weg bringen, obwohl ein entsprechender gesetzlicher Rahmen dafür bereits geschaffen wurde. Demnach können Personen, die versuchen, Bosnien und Herzegowinas Stabilität anzugreifen, zum Beispiel mit Einreiseverboten und Finanzsperren belegt werden. Dass dies aber auf Dodik angewendet wird, dagegen legten einzelne Länder bislang ein Veto ein.

Eins davon ist Ungarn, das Russland und Serbien gerne zuarbeitet. Ministerpräsident Viktor Orbán sagte dem Serbenführer Dodik zudem kürzlich Finanzhilfen von 100 Millionen Dollar zu. Eine deutliche Unterstützung, denn die Republika Srpska steht kurz davor, zahlungsunfähig zu sein.

Der Chef der größten Partei der kroatischen Bosnier kämpft für einen offiziellen kroatischen Teil Bosnien-Herzegowinas. imago images/Pixsell

Dragan Covic

Der Chef der größten Partei der kroatischen Bosnier kämpft für einen offiziellen kroatischen Teil Bosnien-Herzegowinas.

Ein anderes Land ist Kroatien. Und das birgt ein noch größeres Problem, denn Zagreb unterstützt nicht nur Dodik, sondern auch den anderen Teufel, den es in Bosnien und Herzegowina gibt. Seine Gestalt diesmal: ebenfalls wie Dodik über 1,90 m groß, aber mit grauem Haar. Sein Name ist Dragan Covic, er ist der Chef der größten Partei der kroatischen Bosnier. Covic kämpft für einen offiziellen kroatischen Teil Bosnien-Herzegowinas.

Damit ist die EU mit einer heiklen Situation konfrontiert: Auch in ihren eigenen Reihen wird dabei geholfen, Bosnien und Herzegowina in seiner jetzigen Form zu zerlegen.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikel war mehrfach von „Bosnien-Herzegowina“ die Rede. Wir haben das in „Bosnien und Herzegowina“ geändert.


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