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27.05.2020

17:17

Wiederaufbaufonds

Milliarden-Paket der EU: Italien wird Hauptprofiteur, Deutschland kassiert 28,8 Milliarden Euro

Von: Ruth Berschens

Erstmals in ihrer Geschichte will die EU gemeinsame Schulden aufnehmen. Mit den frischen Milliarden soll Europa gestärkt werden. Die wichtigsten Antworten zum Wiederaufbaufonds.

Europäische Union

Von der Leyen wirbt für 1,1-Billionen-Euro-Plan

Europäische Union: Von der Leyen wirbt für 1,1-Billionen-Euro-Plan

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Brüssel Für Ursula von der Leyen ist es der wohl wichtigste Tag des Jahres, vielleicht sogar ihrer ganzen Amtszeit. Was die EU-Kommissionspräsidentin am Mittwoch im Europaparlament verkündete, hat es in der Geschichte der Europäischen Union so noch nicht gegeben: Die EU will sich erstmals im großen Stil verschulden, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu bewältigen. „Das ist Europas Moment“, sagte die erste Deutsche an der Spitze der wichtigsten EU-Institution. „Kein einziger EU-Staat“ könne die Folgen der Coronakrise „allein bewältigen“.

Für das Wiederaufbauprogramm mit dem Titel „Reparieren und Vorbereiten für die nächste Generation“ will von der Leyen europäische Anleihen von insgesamt 750 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten platzieren. Davon sollten 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuschüsse und weitere 250 Milliarden Euro als Darlehen an die von der Coronakrise am meisten betroffenen Staaten und Unternehmen ausgezahlt werden.

Dabei kommt es zu einer massiven Umverteilung von Nord nach Süd: Italien und Spanien sind die Hauptprofiteure des Wiederaufbaufonds. Sie allein sollen Transfers von knapp 160 Milliarden Euro bekommen. Mit der Hilfe für finanzschwache Länder stärke die EU den Binnenmarkt und davon würden alle profitieren, auch die leistungsstarken Exportnationen im Norden, argumentierte von der Leyen.

Sie betonte, dass die neuen schuldenfinanzierten EU-Subventionen vorrangig in die Zukunftsaufgaben Klimaschutz und Digitalisierung fließen müssten. Die Christdemokratin räumte ein, dass ihr Wiederaufbauprogramm beispiellos in der Geschichte der EU sei. „Die Kosten des Nichthandelns würden uns aber viel teurer zu stehen kommen“, sagte sie.

Neben dem Wiederaufbauplan legte die Kommission am Mittwoch zwei weitere Dokumente vor: einen neuen Entwurf für den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 und eine Analyse des finanziellen Wiederaufbaubedarfs nach der Coronakrise. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Plan:

Wie groß ist das Wiederaufbauprogramm?

Die Gesamtsumme beträgt 750 Milliarden Euro. Das Programm wird mit dem neuen mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027 verknüpft. Der MFR soll ein Volumen von 1,074 Prozent der jährlichen EU-Wirtschaftsleistung haben. Das entspricht knapp 1,1 Billionen Euro (zu Preisen von 2018). Insgesamt wird der siebenjährige EU-Haushalt also ein Volumen von gut 1,8 Billionen Euro haben – eine Rekordhöhe für die EU.

Welche Bedingungen müssen Empfänger erfüllen?

Interessierte Regierungen reichen in Brüssel einen nationalen Wiederaufbau- und Reformplan ein. Der Plan darf den politischen Prioritäten der EU nicht widersprechen. Das bedeutet: Investitionen werden von der EU nur dann gefördert, wenn sie mit den drei politischen Prioritäten der EU kompatibel sind. Erstens: den Klimaschutz stärken. Zweitens: die Digitalisierung vorantreiben. Drittens: die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft erhöhen. Außerdem müssen die Regierungen die individuellen wirtschaftspolitischen EU-Empfehlungen für ihr Land berücksichtigen.

Welcher Mitgliedstaat bekommt wie viel Geld aus dem Wiederaufbauplan?

Von der Coronakrise am meisten getroffene Staaten sollen am meisten bekommen: Italien steht mit nicht rückzahlbaren Transfers von 81,8 Milliarden Euro an der Spitze, gefolgt von Spanien mit 77,3 Milliarden Euro und Frankreich mit 38,8 Milliarden Euro. An vierter Stelle steht Polen mit 37,7 Milliarden, und dann kommt Deutschland mit 28,8 Milliarden Euro.

Die spanische Regierung begrüßt den Vorschlag entsprechend. „Er enthält viele Forderung Spaniens“, hieß es dazu aus der Regierung in Madrid und „er ist eine Basis für Verhandlungen“. Man hoffe nun, dass so bald wie möglich eine Einigung erzielt werden kann. Auch Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte sprach am Mittwoch auf Twitter von einem „hervorragenden Signal“ aus Brüssel. Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis bezeichnete das Programm als „beherzt“, nun sei es am Rat, sich der Lage gewachsen zu zeigen.

Wer genehmigt die Hilfszahlungen?

Die EU-Kommission erteilt die Genehmigung – allerdings erst nach Rücksprache mit den zuständigen Fachausschüssen der Mitgliedstaaten.

Wie wird der Fonds finanziert?

Die EU-Kommission will Anleihen mit einer Laufzeit von bis zu 30 Jahren auf den Finanzmärkten platzieren. Kurzfristige Papiere sollen umgeschuldet werden. Ab 2027 sollen die Schulden getilgt werden – und zwar von allen EU-Staaten gemeinsam. Dafür gibt es drei Möglichkeiten: höhere EU-Haushaltsbeiträge der Mitgliedstaaten, Einsparungen im EU-Haushalt oder die Einführung einer europäischen Abgabe.

In Brüssel wird in diesem Zusammenhang an die Einnahmen aus dem Emissionshandel, an eine Digitalsteuer oder eine andere Unternehmensabgabe gedacht. Falls nichts davon funktioniert, gäbe es theoretisch noch eine vierte Option: Die EU tilgt die Anleihen gar nicht, sondern schuldet um. Dafür müsste allerdings der EU-Vertrag von Lissabon geändert werden, denn er verbietet eine dauerhafte Verschuldung.

Warum nimmt die EU Schulden für den Wiederaufbau auf?

Die Finanzierung mit europäischen Anleihen hat vor allem für die hochverschuldeten EU-Staaten große Vorteile: Sie können zum jetzigen Zeitpunkt höhere Beiträge für den EU-Haushalt vermeiden. Zudem werden die von der EU aufgenommenen Schulden nicht auf die nationalen Schuldenquoten angerechnet – ein wichtiger Vorteil für die Bonität einzelner EU-Staaten.

Worin unterschieden sich die europäischen Anleihen von Euro-Bonds?

Die jetzt geplanten EU-Schulden sind nach oben begrenzt, befristet, und sie sollen eine absolute Ausnahme bleiben. Die EU-Staaten haften dafür nur gemäß ihres Anteils an der jährlichen Wirtschaftsleistung – im Falle Deutschlands also für 27 Prozent.

Für Euro-Bonds würde jeder EU-Staat gesamtschuldnerisch haften – was die Bundesregierung strikt ablehnt. Ungeachtet der Unterschiede kommen die jetzt geplanten europäischen Anleihen Euro-Bonds relativ nahe – auch wenn die EU-Spitze den politisch heiklen Begriff aus ihrem Wortschatz gestrichen hat.

Wann startet das EU-Wiederaufbauprogramm?

Ab dem 1. September 2020 will die Kommission beginnen, Hilfsgelder aus dem Wiederaufbauprogramm auszuzahlen – in diesem Jahr allerdings noch nicht schuldenfinanziert: Die EU-Mitgliedstaaten sollen kurzfristig für 2020 höhere Beiträge in den EU-Haushalt einzahlen. Mit der Ausgabe der Anleihen am Kapitalmarkt kann die Kommission erst am 1. Januar 2021 beginnen. Grund dafür ist das komplizierte politische Zustimmungsverfahren: In vielen EU-Staaten ist eine zeitraubende parlamentarische Ratifizierung dafür erforderlich.

Wer muss zustimmen, damit der Wiederaufbauplan in Kraft treten kann?

Die EU-Regierungschefs müssen den Plan beschließen. Das soll beim EU-Gipfel am 18. Juni geschehen. Ob der erforderliche Konsens dann zustande kommt, ist nicht sicher. Vor allem Österreich und die Niederlande sperren sich dagegen, dass die EU Schulden aufnimmt, um damit Transfers für bedürftige Mitgliedstaaten zu finanzieren.

Damit schaffe man durch die Hintertür eine „Schuldenunion“, und das könne er nicht akzeptieren, sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Österreich und die Niederlande verlangen, dass Empfängerländer nur Kredite, aber keine Zuschüsse erhalten. Schweden und Dänemark waren ursprünglich ebenfalls gegen Transfers, zeigen sich inzwischen aber gesprächsbereit.

Die Niederlande reagierten entsprechend verschnupft auf den EU-Vorschlag. „Die Positionen liegen weit auseinander und die Verhandlungen werden Zeit in Anspruch nehmen“, sagte ein niederländischer EU-Diplomat. Verärgert ist die Regierung in Den Haag insbesondere darüber, dass vor allem Südeuropa und auch Polen von dem Wiederaufbaufonds profitieren. Damit sei ein schneller Kompromiss der Regierungschefs unwahrscheinlicher geworden.

Nach den EU-Chefs sind die nationalen Parlamente an der Reihe. Für die europäische Schuldenaufnahme muss die sogenannte Eigenmittelobergrenze von derzeit 1,2 auf 2,0 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts erhöht werden. Es handelt sich dabei um das Limit, bis zu dem nationale Steuerzahler für den EU-Haushalt haften. Die Ratifizierung in den nationalen Parlamenten könnte sich in manchen EU-Staaten wie den Niederlanden als schwierig erweisen.

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